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Kölner Serie „Spurensuche“Wie der weltberühmte Lochner-Altar entdeckt wurde

Lesezeit 5 Minuten
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Der „Altar der Stadtpatrone“ von Stephan Lochner stand ursprünglich in der Ratskapelle und wurde 1810 in den Kölner Dom gebracht. 

  1. Wie hat Annette von Droste-Hülshoff Köln erlebt? Wo hat Christo seine Verpackungskunst gezeigt?
  2. In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Zeit in Köln vor.
  3. Heute geht es um die Entdeckung des heute weltberühmten Lochner-Altars.

Atemmasken waren in Mode im Köln des Jahres 1451: Die Pest, von der man annahm, dass sie mittels giftiger Dämpfe übertragen wurde, grassierte furchtbar wie noch nie in der Stadt. „Es begann zu Pfingsten und dauerte bis Christmess“, heißt es in einer Stadtchronik von 1499. Anfang Dezember saß der Stadtschreiber im Rathaus zu Köln und aktualisierte die Wahllisten. Als einer der etwa 20 000 Todesopfer in der Stadt strich er hierbei auch einen Ratsherrn namens Stephan Lochner.

Niemand würde sich heute an diesen Stephan Lochner erinnern, hätte nicht Albrecht Dürer 1520 Köln besucht. Als penibler Mensch, der über seine Ausgaben genau Buch führte, notierte er in seinem Reisetagebuch, er habe hier Geld bezahlt, damit man ihm eine Tafel des Meisters Stephan aufschließe. Wo sich diese Tafel befand und was auf ihr zu sehen war, berichtet Dürer nicht. Sie scheint aber eine bekannte Sehenswürdigkeit gewesen zu sein, sonst hätte sie kaum Dürers Interesse geweckt. Außerdem war in einer Zeit, da Maler ihre Bilder noch nicht signierten, der Name des Urhebers noch immer bekannt. Das fragliche Bild muss gewöhnlich verschlossen, aber an einem Ort gewesen sein, wo es für ein Trinkgeld besichtigt werden konnte. Dies alles trifft zu auf das Altarbild der Stadtpatrone aus der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Ratskapelle St. Maria in Jerusalem, in der die Mitglieder des Senats vor ihren Sitzungen Gottesdienst feierten.

Lochners Weltgericht gehört zum Bestand des Wallraf-Richartz-Museums

Dort hing das Triptychon noch, als die Franzosen 1794 nach Köln kamen. Im Zuge der Säkularisation wurde die Rathauskapelle für Gottesdienste schlossen und das dort befindliche Silber öffentlich versteigert. Und das Altargemälde? Wurde von Stadtbaumeister Peter Schmitz heimlich von seinem Platz genommen und in einem hinteren Winkel des Rathausturms vor den neuen Machthabern versteckt. Hier blieb es, bis sich die Lage etwas normalisiert hatte, um 1804 wieder hervorgezaubert und in einem der Säle des Rathauses wieder aufgestellt zu werden.

In den verstrichenen Jahren war die zuvor lange Zeit verpönte christliche Kunst des Mittelalters neu bewertet und, in Abgrenzung zur französischen Aufklärung, zur deutschen Kunst schlechthin erklärt worden. Plötzlich kam das Publikum, darunter Sulpiz Boisserée und Friedrich Schlegel, aus dem Staunen über das wunderbare Bild nicht heraus. Die Frage wurde laut, welches Genie dieses Werk geschaffen habe.

Kölner Schreinsbücher von 1442 verrieten, dass Lochner eine Hälfte des Hauses Roggendorp, Große Budengasse 13, gekauft hatte. Heute steht dort ein Wohn- und Geschäftshaus.

Als man endlich 1823 auf den Tagebucheintrag von Albrecht Dürer stieß, durchforstete man die Archive, wer dieser Meister Stephan sein könnte. Fündig wurde man schließlich bei Stephan Lochner, den man zuerst falsch Lothner las. Dieser war als Maler durch seine Dekorationsarbeiten für den Besuch von König Friedrich III. im Jahr 1442 aktenkundig geworden. Die Kölner Schreinsbücher des Jahres 1442 verrieten, dass „Stephan Lochner aus Konstanz“ zusammen mit seiner Frau Lysbeth eine Hälfte des Hauses Roggendorp, Große Budengasse 13, gekauft hatte. Für 1444 ist beurkundet, dass er diesen Besitz wieder verkaufte zugunsten zweier so teurer wie schmaler Häuser, den „Carbunkel“ und den „Alden Grynen“, die an der Ecke Quatermarkt/In der Höhle lagen. Somit richtete er sich seine Wohnung und seine Werkstatt einerseits in der Verlängerung der Schildergasse ein, die so benannt ist, weil dort die Schildermaler ansässig waren. Andererseits residierte er nun nahe dem Rathaus, dem politischen Zentrum der Stadt. 1447 erwarb Lochner das Kölner Bürgerrecht, weil er sich Chancen ausrechnete, als Repräsentant der Maler-Gaffel in den Rat gewählt zu werden.

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Am 16. August 1451 schließlich schrieb der Kölner Rat nach Meersburg am Bodensee, der Bürgermeister von Köln habe „Steffain dem Maler, genannt Lochner, dem ehelichen Sohn des Gorgen Lochner und Alheten Lochnerynnen“ gemeldet, dass ihm von „genannten Eltern etliche Habe zugefallen“ sei. Irgendwann zwischen diesem Brief und Anfang Dezember 1451 verstarb Lochner – als einer von damals täglich 200 Menschen, so dass man mit den Beerdigungen kaum hinterher kam. Ohne Kreuz und Grabstein wurden sie in aller Schnelle unter ungelöschtem Kalk bestattet. Im heißen Spätsommer muss es auf dem überfüllten Kirchhof von St. Alban furchtbar gestunken haben. Deshalb war nach Antrag vom 22. September 1451 ein unbebautes Grundstück am Quatermarkt, direkt neben Lochners Haus, zum Pestfriedhof umgewandelt worden.

Autobiografische Züge im Werk

Hier fand wohl auch Stephan Lochner mit seiner ungefähr gleichzeitig verstorbenen Ehefrau seine letzte Ruhe. Mit der Zeit wurden immer mehr Bilder aufgrund von Stilanalysen dem Œuvre von Stephan Lochner zugeschrieben. Aber auch die Spekulationen nahmen zu: Ist ein wohl von Lochner gemalte heilige Lukas vielleicht ein Selbstbildnis? Ähneln Lochners Heilige und Madonnen vielleicht deshalb einander so sehr, weil sie die Züge von Lochners geliebter Frau tragen? Und ist vielleicht das langbezopfte Mädchen mit verwegenem Stupsnäschen im Gefolge der Heiligen Ursula im Vordergrund des Bilds der Stadtpatrone Lochners eigene Tochter?

Das Bild aus der Rathauskapelle, das die Recherchen ausgelöst hatte, hing da schon lange im Kölner Dom. Das Domkapitel hatte in einem Brief vom 4. November 1809 gebeten, das Bild seiner ursprünglichen frommen Bestimmung entsprechend zeigen zu dürfen. Dem kam die Stadt, die damals noch über kein eigenes Museum verfügte, gerne nach. Am Dreikönigstag, 6. Januar 1810, wurde es in der Agneskapelle aufgestellt. Sein Ruhm wuchs stetig, so dass es die Stadt zurückforderte. Man habe es dem Dom nur ausgeliehen und sei besorgt, dass das zugige, feuchte Klima im Dom dem Erhalt des Bildes abträglich sei. Das Domkapitel jedoch dachte gar nicht daran, das Meisterwerk zurückzugeben. Es kam zum Prozess. Im September 1858 wies der Rheinische Appellations-Gerichtshof die Klage der Stadt Köln auf Herausgabe des nunmehr Dombild genannten Werkes ab.

Es mangele zwar an zeitgenössischen Belegen, doch sei die Übergabe des Bildes als „Entäußerung der Stadt zu Gunsten der Domkirche“ zu werten. Die Stadt habe nur das Recht zu verlangen, dass Stephan Lochners Triptychon stiftungsgemäß für immer im Dom von allen Menschen besucht und bewundert werden kann.

Anselm Weyer hat als Literaturwissenschaftler in Köln promoviert und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Kölner Stadtgeschichte.