Kölner Serie „Spurensuche“Architekt Franz Schwechten – umstritten und bejubelt
- Wo hat Christo Verhüllungskunst gezeigt, wann war Queen Victoria zu Gast?
- In der „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Kölner Zeit vor.
- Anselm Weyer schreibt über Franz Schwechten, der vor 125 Jahren die Berliner Gedächtniskirche gebaut hat.
Köln – „Franz Schwechten, in dessen Händen die monumentale Ausgestaltung der heute vollendeten Hohenzollernbrücke liegt, ist einer der hervorragendsten Architekten der Gegenwart.“ Die Kölner Presse war voller Euphorie am 18. Mai 1911. Die Brücke stand vor der offiziellen Eröffnung in Anwesenheit des Kaiserpaares. „Besonders auf dem Gebiete des romanischen Stils ist er Meister, und die wuchtigen, in diesem Stile errichteten Türme und Tore der Brücke mit ihrer Fülle von architektonischen Feinheiten zeugen für die Künstlerschaft des Erbauers.“ Als Schwechtens Hauptwerk gilt aber die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin, eröffnet am 1. September 1895.
Geprägt von seiner Heimatstadt
Dabei war der Architekt schon zu Lebzeiten umstritten. „Die Zeit in die das Hauptschaffen Schwechtens fällt, war nach heutigen Begriffen der Baukunst nicht eben günstig“, klagt die Kölnische Zeitung am 16. August 1924 in ihrem Nachruf auf den fünf Tage zuvor verstorbenen Architekten: „Sie klebte an alten Formen fest und suchte mit ihnen die neuen Aufgaben zu lösen, welche die Entwicklung der Technik und des Verkehrs stellten. Es ist da mancher unerquickliche Mischmasch von überlebter Romantik und Stimmungsmache mit neuzeitlichen Baugedanken zustande gekommen.“
Geprägt haben Schwechten laut landläufiger Meinung die großen kunstgeschichtlichen Eindrücke seiner Vaterstadt. Nach seiner Geburt am 12. August 1841 in Köln wohnte er An St. Katharinen 2, um schon bald in die Christophsgasse 2 direkt gegenüber St. Gereon umzuziehen. Als sein Vater, der Landgerichtsrath Johann Heinrich Schwechten, starb, zog seine Witwe Justine Schwechten, geborene Herrstatt. zunächst in die Wolfstraße, später zum Weidenbach 17.
Nach Ende seiner Schulkarriere am Friedrich Wilhelm-Gymnasium 1860 begann Schwechten seine Karriere in der Waisenhausgasse 35 beim damaligen Stadtbaurat Julius Raschdorff, der den Gürzenich umgebaut hatte, Renovierungsarbeiten in den romanischen Kirchen St. Andreas und St. Gereon beaufsichtigte und später Architekt des Berliner Doms sein sollte. Anschließend besuchte Schwechten die Bauakademie in Berlin und arbeitete bei Berühmtheiten wie Martin Gropius, um zurück in Köln beim Königlichen Garnisons-Baumeister Hermann Pflaume anzuheuern. Nach einer Italienreise zog er 1871 ins Reichshauptstadt gewordene Berlin, Lützowstraße 65, wo er die Leitung des Projektionsbüros für die Berlin-Anhalter Bahn übernahm. Deren Bahnhof weihten am 15. Juni 1880 Kaiser Wilhelm I. und Otto von Bismarck ein. Schwechten wurde berühmt durch die im Renaissancestil aus rohen Ziegeln mit Terrakotten aufgebaute Stirnwand, die den Zeitgenossen geradezu futuristisch schien.
Die Gedächtniskirche – Fluch und Segen
Fluch und Segen war für ihn die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, damals noch am Auguste-Viktoria-Platz. Enkel Kaiser Wilhelm II. nahm am Bauwerk für seinen vergötterten Großvater derart Anteil, dass die Fachwelt spottete, Schwechten sei nur Erfüllungsgehilfe für die altertümelnden Ideen des Kaisers, der ständig höchstpersönlich auf der Baustelle auftauchte und viel Pomp verlangte – der höchste der fünf Türme überragte mit 113 Metern alle anderen Bauwerke der Stadt. Um die Kirche herum wünschte der Kaiser eine Art „Romanisches Forum“.
Hofarchitekt Schwechten nickte verständnisvoll und erbaute an den spitzwinkligen Grundstücken gegenüber Hauptportal und Chor romanische Häuser, die gemäß kaiserlichem Wunsch „hochherrschaftliche“ Wohnungen enthielten – und später das berühmte Romanische Café.
Die Kirche selbst „ist in Haustein in den Formen des romanischen Stiles der Rheinlande gehalten und soll mit den beiden ihr gegenüber gelegenen Profanbauten, die durch Schwechten den gleichen Stil und das gleiche Material erhalten haben, das Romanische Haus und das Romanische Kaffee, eine einheitliche Baugruppe bilden und an dem unglücklichen Sternpunkte, an dem die Kirche steht, retten, was nicht mehr zu retten ist“, erklärt die Deutsche Bauzeitung 1916.
Weniger gnädig urteilt die Frankfurter Zeitung am 11. August 1911 über die „höfische Baukunst“ im wilhelmischen Berlin, vor allem das Areal um die Gedächtniskirche: „Für dieses ganze Viertel und seine romanisch-romantische Altertümelei ist Franz Schwechten der verantwortliche Baumeister, ist er zumindest der Vermittler gewesen, der die kaiserlichen Wünsche in den gefügigen Stein umsetzte; und auf ihn und seinen künstlerischen Ruf färbt dieses Experiment ab, das schon so viel kritisiert worden ist.
An der Moderne gelitten
Längst wissen wir, dass wir Stilmoden aus ihrem natürlichen Milieu nicht einfach herausreißen und auf den Wunsch irgend eines gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Sterblichen anderswo einpflanzen können.“ So sei die „Kaiser Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in ihrer erzwungenen Größe ohne jeglichen Reiz geblieben“, weshalb es zu bedauern sei, „dass just dieser Künstler, der bei jeder freieren und selbstständigen Aufgabe, wie beim Anhalter Bahnhof, beim Berliner Bechstein-Saal, bei vielen geschmackvollen gotischen Backsteinkirchen, seine hohe Schulung bewiesen hat, gezwungen wurde, diesen pseudoromanischen Stil von Berlin aus auch auf andere Städte zu übertragen.“
Die Moderne war angebrochen, und darunter hatte der Hofarchitekt zu leiden. „Es ist nicht alles unbedingt zu loben, was von Schwechten ausging“, relativiert die Berliner Allgemeine Zeitung am 12. August 1911, „aber wenn man auf einer Seite gegen ihn Kritik freimütig anwenden will, verlangt es die Gerechtigkeit, dass man in ihm auf der anderen Seite auch den großen Künstler anerkennt, der viel kann und mit starkem Willen Großes geschaffen hat“.
Der Geheime Baurat und Professor an der Bauakademie, der 1914 Präsident der Akademie der Künste geworden war, geriet nach seinem Tod 1924 in Vergessenheit. Die Gedächtniskirche wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, nach einem Streit um den Wiederaufbau wurde das Kirchenschiff abgerissen und als vierteiliges Ensemble neu gebaut. Die Ruine ist heute ein Mahnmal gegen den Kriegsirrsinn. Vom Anhalter Bahnhof steht nur noch ein Fassadenfragment, vergangen ist die Philharmonie in Kreuzberg, und auch die Portalbauten der Hohenzollernbrücke und der Südbrücke in Köln. Die Meisterwerke eines gereiften Künstlers fielen dem Krieg zum Opfer.
Anselm Weyer hat als Literaturwissenschaftler in Köln promoviert. Er schreibt Architekturführer und bietet Stadtführungen an.