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Kultwirt am EigelsteinMichelangelo Petrarca ist eine Kölner Institution

Lesezeit 7 Minuten

„Köln ist für mich das Eigelsteinviertel“, sagt Michele Petrarca, der Wirt des „San Remo“ in der Weidengasse.

Köln – Michele, wie er im Viertel genannt wird, erwartet mich auf seinem Stammplatz im San Remo. Auch im Sitzen stützt er sich auf seinen lackierten Holzstock. Nachdem Sohn Pino uns ein Bier gebracht hat, kann es losgehen.

Michelangelo Petrarca: Sie tragen zwei sehr berühmte Namen.

Ein Freund meines Vaters hieß Michelangelo, nach ihm wurde ich getauft. Der Schriftsteller Petrarca hieß ja mit Vornamen Francesco. Aber ich bin meinen Eltern sehr dankbar für den Michelangelo. Wir waren sechs Brüder und ein Mädchen. Alle meine Brüder haben nur Mädchen bekommen. Deshalb ist mein Sohn Pino nun der Einzige, der den Namen Petrarca weiterträgt. Und Pino hat ja auch schon wieder einen Sohn.

Wie sah es hier 1975 aus, als Sie das Lokal übernahmen?

Offiziell war das eine Eisdiele. Unten wurden Hörnchen gefüllt, aber eigentlich nur zur Tarnung. Denn oben wurde Karten gespielt. Der Laden gehörte der Mafia.

Was Sie nicht daran hinderte, hier mal hereinzuschauen?

Mein Bruder hatte mir verboten, das zu tun. „Geh da nie hin“, hat er gesagt. Aber ich habe mich mit dem Chef angefreundet, der kam aus dem selben Viertel wie ich. Und irgendwann hat mein Bruder hier auch mal Eis gegessen.

Mafia, Pizzeria und das damalige Köln

War das mit der Mafia dann ´75 erledigt, als Sie hier der Chef wurden?

Oh nein, es wurde alles noch viel schlimmer. Anfang der 80er hatten wir sogar eine Schießerei am Eingang. Hier im Eigelstein trieben sich zum Beispiel viele italienische Autoschmuggler herum, in dem Geschäft gab es auch Tote. Die ersten zwei Jahre habe ich alles so gelassen: unten die Eisdiele und ein paar Spielautomaten, oben die Kartenspiele. Der Umsatz war okay, können Sie mir glauben.

Warum dann der Schwenk zur Pizzeria?

Zum einen gab es Probleme mit der Stadt Köln. Denen war plötzlich die Küche nicht mehr recht. Dann habe ich es eine Weile mit Fertigeis versucht. Aber das verkaufte sich nicht gut.

Und zum anderen?

Nun ja, die Straße hier war damals voller Nutten. Jedes zweite Lokal, auch gegenüber die heutige Kneipe Durst, war Rotlicht. Die Mädchen kamen auch zu mir rein, und eigentlich haben sie sich immer gut benommen. Aber einmal beschwerte sich meine Frau: „Guck mal, die da am Flipper spielt, da kann man ja die Unterhose sehen.“ Da habe ich gesagt, gut, dann kaufe ich morgen einen Pizzaofen. (lacht)

Änderte sich dadurch das Publikum?

Anfangs haben sich viele beschwert deswegen. Aber wer hier drin Ärger machen wollte, den habe ich rausgeschmissen. Das war manchmal schwierig, aber was sollte ich machen. Irgendwann wurde es dann auch ruhiger, und die deutschen Gäste wurden mehr und mehr.

Wie sieht es heute aus mit kriminellen Vereinigungen im Eigelstein?

Dazu will ich nicht viel sagen. Aber die krummsten Geschäfte laufen in den Spielhallen und Wettbüros. Zu viele Idioten sind süchtig nach der Spielerei. Die gehen jeden Tag da rein und verzocken alles, was sie haben.

„Bis heute ist Köln für mich das Eigelsteinviertel“

Aus welcher Ecke Italiens stammen Sie?

Aus Avellino, östlich von Neapel. Zwei Brüder von mir waren schon in Köln. Ich verstand mich nicht gut mit meinem Vater, wie das so ist. Meine Mutter hat geklagt, und sie hat das den Brüdern erzählt, als sie mal zu Besuch waren. Also haben sie mich auch nach Köln geholt.

Wussten Sie irgendetwas über Köln, bevor Sie kamen?

Ich wusste gar nichts. Und bis heute ist Köln für mich das Eigelsteinviertel. Das ist meine Heimat, woanders kriege ich keine Luft. In 52 Jahren bin ich hier fast nie rausgekommen, außer mal eine Weile nach Kalk. Aber die Schäl Sick ist nichts für mich. (lacht)

Heutzutage leben im Eigelstein viele Türken und Marokkaner. Aber die ersten Einwanderer nach dem Krieg waren die Italiener?

Die Türken kamen erst im Laufe der 80er. Die Weidengasse war praktisch komplett italienisch, von vorne bis hinten. Aber viele Läden sind kaputtgegangen, und inzwischen bin ich hier der letzte Italiener.

Gab es schon Angebote für das San Remo?

Viele! Da kamen Türken an, die fragten nur, wie viel ich will für den Laden, die hätten alles bezahlt. Aber ich habe immer abgelehnt, hier kriegt mich keiner raus. Meine Frau sagt manchmal zu mir, ich liebe das San Remo mehr als sie. Und ich antworte: Das ist doch normal, das San Remo gibt uns unser Essen.

In Ihrer Pizzeria läuft fast ausschließlich italienische Musik. Wer gefällt Ihnen besser: Adriano Celentano oder Rocco Granata?

Rocco hat mit meinem Bruder bei Ford gearbeitet. Der war schon hier im Lokal, bevor es mir gehörte. Der Titel seines berühmten Hits „Marina“ hat er übrigens nicht von einem Mädchen übernommen, wie viele glauben. Der stammt von einem gleichnamigen Bier.

Seinen Evergreen „Marina“ komponierte Rocco Granata 1959. Marina-Bier gibt es tatsächlich. Andere Quellen behaupten allerdings, Granata habe dabei die gleichnamige Zigarettenmarke im Sinn gehabt, die er auch selber rauchte. Wie es der Zufall wollte, lief das Lied just in dem Moment, als wir in dem Interview darauf zu sprechen kamen.

Sie sprechen auch heute noch recht gebrochen Deutsch. Haben Sie mal versucht, die Sprache besser zu lernen?

Meine Enkel sagen: Du bist über 50 Jahre hier und kannst kein Deutsch. (lacht) Als ich meine deutsche Frau kennenlernte, habe ich es versucht zu lernen. Mit Büchern. Aber die deutsche Grammatik ist sehr schwer. Und noch schlimmer finde ich die Aussprache der Wörter. Wir Italiener schreiben alles, wie es gesprochen wird.

Das behaupten die Deutschen auch von ihrer Sprache.

Aber Ihr sagt „Michelangelo“ statt „Mikelangelo“ und „Petrarza“ statt „Petrarka“.

Wie verbunden sind Sie noch mit Ihrer alten Heimat? Sind Sie zum Beispiel Fan des SSC Neapel?

Aber wie!

Für wen halten Sie, wenn der FC nächstes Jahr in der Europa League gegen Neapel spielt?

Napoli! Da gibt’s gar keine Frage.

Mittlerweile führt der Sohn die Geschäfte

Inzwischen führt Ihr Sohn Pino das San Remo. Ist es schwierig, die Verantwortung nach über 40 Jahren abzugeben?

Ich war lange der Chef, und jetzt bin ich alt. Pino macht das alles toll, ich bin sehr stolz auf ihn. Genau wie meine Frau hat auch seine mit ihm einen Sechser im Lotto gezogen. (lacht)

Sie haben lange selbst in der Küche gestanden.

Als ich nach Köln kam, habe ich eine Weile in einem anderen Restaurant im Eigelstein gearbeitet. Ein halbes Jahr nur, aber das war eine gute Vorbereitung. Da habe ich viel gelernt über Pizza und Teig, und ich habe viele Rezepte von da übernommen.

Wie macht man einen guten Pizzateig?

Vor allem mit Liebe! Ich hatte hier Pizzabäcker, die kriegten es einfach nicht hin. Wenn ich denselben Teig knete wie die, wird er bei mir besser als bei denen. Das ist die Liebe, das kann man nicht erklären.

Und nach dem Essen: eher ein Grappa oder ein Jägermeister?

Jägermeister trinken die Deutschen. Und Grappa trinkt man im italienischen Norden. Bei uns im Süden nimmt man als Digestif eher einen Averna oder Fernet Branca.

Über Michelangelo Petrarca

Michelangelo Petrarca wurde 1945 in Avellino im Süden Italiens als eines von sieben Kindern geboren. Mit Anfang 20 folgte er zweien seiner Brüder nach Köln. 1975 übernahm er eine Eisdiele im Eigelstein und machte aus ihr ein Kultlokal.

Das San Remo auf der Weidengasse (www.sanremo.jimdo.com). Die Pizzeria ist weit über das Viertel hinaus bekannt – nicht nur wegen des Essens, sondern auch wegen ihres 50er-Jahre-Charmes, dem musealen Wandschmuck und der geschwungenen Freitreppe. Heute führt Sohn Pino hier Regie, während „Michele“ auf seinem Stammplatz neben der Theke Hof hält.

Michelangelo Petrarca wohnt mit seiner deutschen Frau im Eigelstein, wo sonst.