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Pilotprojekt am NeumarktDiese Fassade in Köln kühlt und reinigt die Luft

Lesezeit 4 Minuten
An der viel befahrenen Cäcilienstraße in der Kölner Innenstadt reinigt die 320 Quadratmeter große Textilfassade nun die Luft.

An der viel befahrenen Cäcilienstraße in der Kölner Innenstadt reinigt die 320 Quadratmeter große Textilfassade nun die Luft.

Standort des Projektes ist die viel befahrene Cäcilienstraße. Bevor die Fassade in Köln an den Start ging, gab es zwei Generalproben.

Früher hieß es immer, die Wirtschaft lebt von Innovationen. Heutzutage dienen große neue Ideen aber nicht nur zum Geldverdienen, in Zeiten des Klimawandels benötigt vor allem die Umwelt neue Lösungen für bestehende Probleme. Eine solche Lösung soll eines Tages die luftreinigende Textilfassade von Dr. Jan Serode und seinem Forschungsteam sein. Diese hängt nun am Studienhaus der Volkshochschule an der Cäcilienstraße.

Serode, der Kopf hinter dem Projekt, stellte gestern mit Oberbürgermeisterin Henriette Reker, dem Vorstandsvorsitzenden der Stiftung „Lebendige Stadt“, Andreas Mattner, und Andreas Engelhardt, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Firma Schüco, die Fassade vor. Mit 320 Quadratmetern Fläche ist sie die größte, die es bisher in Deutschland gibt. Sie filtert dank aufgebrachter Wirkstoffe gesundheits- und umweltschädliche Stickoxide aus der Luft. Die Rundschau hatte bereits im vergangenen Juni über die Planungen berichtet.

Das VHS-Gebäude in Köln

Das VHS-Gebäude in Köln

Viele Partner waren nötig, damit das Projekt realisiert werden konnte. Zum einen Serode und sein Forschungsteam, zum anderen die Stiftung „Lebendige Stadt“, die das Projekt als Innovation erkannte und vorantrieb, sowie die Stadt Köln, die bereit war, ein so großes Vorhaben im Herzen einer Millionenstadt umzusetzen. Fehlte nur noch ein Profi für Fassaden, da kam die Firma Schüco ins Spiel, die auch als finanzieller Motor des Projekts fungiert. Das Unternehmen mit Stammsitz in Bielefeld hat für die Herstellung und Montage der Fassade durch die münsterländische Firma Hillebrandt 250 000 Euro beigesteuert. Die Stiftung finanziert mit rund 100 000 Euro die laufenden Kosten und vor allem die fortlaufenden Messungen und Auswertung durch das Forschungszentrum Jülich. Die Stadt Köln stellte die Fläche bereit und hat die Gebühren in Höhe von 20 000 Euro erstattet.

Der Gesundheitsschutz hat für uns höchste Priorität. Daher suchen wir nach immer neuen Möglichkeiten, die Luftqualität in unserer Stadt zu verbessern.
Henriette Reker, Oberbürgermeisterin Stadt Köln

Bevor die Fassade in Köln realisiert wurde, hatte das Pilotprojekt sozusagen zwei Generalproben. Eine in Hamburg (rund 80 Quadratmeter) und eine weitere in Wuppertal (115). Dabei fiel den Wissenschaftlern und Verantwortlichen nicht nur auf, das die Idee der Luftreinigung durch aufgebrachtes Nano-Titandioxid funktionierte, sondern auch noch ein positiver Nebeneffekt: Die Häuser blieben wesentlich kühler unter Sonneneinstrahlung. In der Hansestadt hat die Fassade die Schadstoffbelastung in der Luft um ein Drittel reduziert, die Kühllasten von Häusern allerdings bis zu 78 Prozent. Dadurch wurde viel weniger Energie zum Kühlen nötig. Somit konnte der Energieverbrauch gesenkt werden, obwohl das Projekt große Messanlagen und Sensoren hat. In Köln sind es zwei unabhängige Messsysteme und zehn Sensoren. Diese funktionieren ohne Strom. „Alles, was wir benötigen, ist Sonnenlicht“, erklärt Jan Serode. Henriette Reker sagt: „Der Gesundheitsschutz hat für uns höchste Priorität. Daher suchen wir nach immer neuen Möglichkeiten, die Luftqualität in unserer Stadt zu verbessern.“

Stellten die Fassade vor: (v.l.) Andreas Angelhardt (Schüco), OB Henriette Kerer und Andreas Mattner, Vorstand der Stiftung Lebendige Stadt.

Stellten die Fassade vor: (v.l.) Andreas Angelhardt (Schüco), OB Henriette Kerer und Andreas Mattner, Vorstand der Stiftung Lebendige Stadt.

Neben vielen anderen Großstädten hatte Köln 2016 das Problem, dass die Grenzwerte für Stickoxide weit überschritten wurden. Besonders an der vielbefahrenen Cäcilienstraße, die vom Neumarkt zum Rheinufer und nach Deutz führt, wird die Textilfassade also nun dem Härtetest unterzogen. Andreas Mattner sprach von einer herausfordernden Situation einer Art „Canyon“, also der Hauptverkehrsader in der Mitte und der hohen Bebauung auf beiden Seiten der Straße. Neben dem Gebäude der VHS steht das Rautenstrauch-Joest-Museum, gegenüber ein großes Hotel mit Parkhaus. „Luftverschmutzung ist ein zentrales, weltweites Problem“, sagt Mattner, „die Weltgesundheitsorganisation sagt, dass 91 Prozent der Weltbevölkerung diesen schädlichen Stoffen ausgesetzt sind.“

Option auf Verlängerung

Die Fassade soll nun ein Jahr lang das Stickstoffdioxid (NOX) mittels Fotokatalyse aus der Innenstadt-Luft filtern. Der Regen spült das entstehende Nitrat von der Fassade. Das Pilotprojekt soll die Funktionsweise erneut unter Beweis stellen. Ein Jahr lang wollen die Wissenschaftler testen, beobachten und auswerten, wie die Wirkung an einer so zentralen Stelle einer der größten Städte Deutschlands ist. Der Vertrag zwischen Stiftung, Stadt und Co ist für ein Jahr unterschrieben worden. Aber warum soll etwas abgebaut werden, wenn es tatsächlich am Ende funktioniert? Wie die Rundschau erfuhr, darf die Innovation dann auch bleiben, denn es gibt eine Option auf Verlängerung. Im Hintergrund laufen wohl auch schon Planungen für weitere Ausführungen, in Köln, aber auch in anderen Metropolen Deutschlands.


„Lebendige Stadt“ in Köln

2004 startete die Stiftung „Lebendige Stadt“ mit ihrem ersten Projekt in Köln. Am 10. Juli schalteten der damalige Oberbürgermeister Fritz Schramma und der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Andreas Mattner, das Licht für das Illuminationsprojekt „Leuchtende Rheinpanoramas“ ein.

2009 pflanzte Schramma mit Bürgermeistern aus dem Umland und dem damaligen Vorsitzenden des Stiftungsrates, Hanspeter Georgi, einen Nussbaum. Es war der Auftakt für ein Großprojekt im Bezug auf den Grüngürtel. Dazu gehörten unter anderem die Vernetzung von Freiflächen, auch in der Region, sowie ein Waldlabor im Kölner Grüngürtel.

2011 folgte das Projekt der künstlerischen Illumination von Bahnunterführungen — „Lichtpassagen“. Dank LED-Konstruktionen erstrahlten die Unterführungen in buntem Licht. Das sollte Passanten die Angst vor dunklen Durchgängen, Tunneln und Passagen nehmen. (rom)