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Mal kommen Einbrecher, mal MäuseNachts allein im Kölner Dom, das ist sein Job

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Domschweizer Günter Brodka wacht nachts über den Kölner Dom.

Köln – Jeder, der im oder am Dom arbeitet, betrachtet Kölns Kathedrale aus seiner ganz persönlichen Perspektive. Und er entwickelt oft eine besondere Vorliebe für einen bestimmten Platz. Für Günter Brodka ist das jede Nacht ein anderer. „Wenn es knackt und ächzt, knarrt und klopft – dann ist das ein gutes Zeichen“, meint Günter Brodka.

Er muss es wissen. Nacht für Nacht, Stunde um Stunde ist er auf dem Posten, geht jedem verdächtigen Geräusch nach. Im Lauf der Jahre hat er ein todsicheres Gespür dafür entwickelt, wann die Lage ernst ist, er zum Notfalltelefon greifen sollte oder nur mal wieder ein harmloser Sturm um das Gemäuer pfeift, ein Blitz für bizarre Lichtspiele auf Wände und Pfeilern sorgt oder irgendwo zufällig eine Tür zuschlägt.

Der Kölner Dom führt ein hörbares Eigenleben

„Was anderen unheimlich ist, hört sich in meinen Ohren wie Musik an“, schmunzelt der Nachtwächter des Kölner Doms. „Auch wenn einen schon mal undeutlich huschende Schatten das Gruseln lehren können. Geister? Ich weiß nicht recht. Der Dom lebt und atmet – eben auf seine Weise: mal entspannt, mal unruhig, im Winter leiser, im Sommer lauter. Wenn man so will, ist er unermüdlich in Bewegung.“ Gerade nachts führe er ein intensives Eigenleben. „Da hört und sieht man schon mal Dinge, die tagsüber völlig untergehen.“

Trotzdem sei es meisten mucksmäuschenstill. Apropos: Ab und zu verirre sich tatsächlich schon mal einer dieser kleinen grauen Nager in der riesigen Kathedrale und fange an zu fiepen, wenn er hilflos zwischen den Kirchenbänken umherirre. „Tja, die sprichwörtlich armen Kirchenmäuse gibt es wirklich, aber die tun ja keinem was; spannend wird es erst, wenn ein solcher Winzling unbeabsichtigt die Alarmanlage in Gang setzt oder von Randalierern eine Scheibe eingeschlagen wird, es heftig klirrt und jemand glaubt, mal eben so in den Dom einsteigen zu können.“

Nachtwächter hat schon etliche Einbrüche verhindert

Doch da hat er die Rechnung ohne Brodka gemacht. Denn der groß gewachsene Mann mit dem breiten Kreuz hat schon manchen Einbruchsversuch vereiteln können und unerwünschte Eindringlinge in die Flucht geschlagen. „Vor Ruhestörern oder Spaßvögeln, die keinen Respekt vor dem Dom haben, mache ich mich nicht bang.“

Die Domschweizer

Bis zu 30 Männer – und seit Mai 2019 auch Frauen – sorgen als Domschweizer dafür, dass im Kölner Dom alles mit rechten Dingen zugeht. Sie achten darauf, dass sich Besucher anständig benehmen, Gläubige auch dann die Möglichkeit zur Andacht haben, wenn der Touristenansturm groß ist.

Die Domschweizer arbeiten in Schichten, tagsüber sind in der Regel vier bis sechs Kräfte eingeteilt, die während der Pandemie auch darauf achten, dass die Besucher die Hygieneregeln einhalten. Sie kontrollieren zudem, dass Gäste den Dom nicht mit großen Taschen oder Koffern betreten. So sollen Terroranschläge verhindert werden.

Domschweizer sind seit dem 16. Jahrhundert erstmals dokumentarisch belegt. Ihre berühmte „Uniform“, den roten Talar mit dem schwarzen Kragen, tragen sie seit dem 19. Jahrhundert.

Auch undefinierbare Stimmen aus der Tiefe der Bischofsgruft will Brodka schon bei seinen nächtlichen Rundgängen gehört haben. „Alles Einbildung, beruhige ich mich dann, sehe aber trotzdem nach dem Rechten. Und im Zweifelsfall hätte ich dann eh einen kurzen Draht zur Polizei. Bei einem Notruf aus dem Dom steht die zwei Minuten später auf der Matte.“

Nachtwächter wacht von 22 Uhr bis 6 Uhr früh über den Dom

Doch das seien Ausnahmefälle, berichtet der 63-Jährige Domschweizer. In der Regel verlaufe für ihn und seinen Kollegen – der Nachtdienst im Dom wird aus Sicherheitsgründen immer zu zweit ausgeführt – die Schicht zwischen 20 und 6 Uhr früh ohne nennenswerte Zwischenfälle. Man lerne mit der Zeit, die Gefahrenlage einzustufen und Außen- von Innengeräuschen zu differenzieren.

Manchmal gehe es ja auch nur um einen Streich. Menschen, die sich bewusst einschließen ließen und sich dafür zum Beispiel in den Beichtstühlen oder hinterm Altar versteckten, seien ihm in seiner fünfjährigen Amtszeit zwar noch nicht begegnet, das habe es aber auch schon gegeben. „Damit so etwas nicht Schule macht, machen wir alle halbe Stunden unseren Rundgang, bis zu 17, 18 in der Nacht, kontrollieren sowieso als erstes alle Schlösser und schauen außerdem in jede Nische.“

Auch Wachsreste wegkratzen gehört dazu

Auch zu tun gibt es nachts im Dom eine Menge. Stundenlang ist Brodka damit beschäftigt, vor der Schmuckmadonna, aber auch am Eingang oder vor dem Heiligen Christopherus die Wachsüberreste von den Kerzentischen zu kratzen, abgebrannte Kerzen zu entsorgen und neue für den nächsten Tag einzusortieren.

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Bei Dienstantritt eine Kerze anzuzünden und ein Gebet sprechen, ist ein Ritual von Günter Brodka.

„Für mich hat diese Arbeit gerade vor der Schmuckmadonna fast etwas Meditatives. Hier bin ich gerne: einer meiner Lieblingsorte. Dann denke ich darüber nach, dass Menschen aus aller Welt ihre Anliegen hier an dieser Stelle vor Maria bringen.“

Dabei vergisst der Vater von zwei Töchtern und dreifache Großvater nie, selbst jeden Abend bei Dienstantritt eine Kerze anzuzünden und ein Gebet zu sprechen. „Dieses Ritual gehört für mich dazu. Es gibt ja immer genug, wofür man danken kann“, argumentiert Brodka, dem sein Glaube in den letzten Jahren immer wichtiger geworden ist. „Wer nicht glaubt, ist blind für das Leben. Und blind für den Dom.“

Seit 40 Jahren ein Nachtarbeiter

Für den ehemaligen Schichtleiter beim Kölner Stadt-Anzeiger ist sein nächtliches Patrouillieren in Kölns Wahrzeichen so etwas wie ein Traumberuf. „Als ich damals von der Ausschreibung erfahren habe, wusste ich sofort: Das ist was für dich. Ich bin ein Nachtmensch; tagsüber arbeiten – das funktioniert für mich nicht.

Seit 40 Jahren arbeite ich nun nachts. Und auf den Dom aufpassen“, betont er nicht ohne Stolz, „ist ein Privileg. Wenn ich längere Zeit mal nicht hier war, fehlt mir etwas ganz Wesentliches. Einen schöneren Arbeitsplatz gibt es in ganz Köln nicht“, ist Brodka überzeugt.

Das mag auch an der einzigartigen Atmosphäre des Doms liegen, dessen Innenarchitektur während der Nachtstunden nur von spärlichen Lichtquellen umrissen wird. Diese kommen vom Altarbild der Marienkapelle und dem Dreikönigenschrein. Denn beides wird Tag und Nacht angestrahlt. Das schafft ein Minimum an Orientierung und sorgt für eine geradezu geheimnisvolle Stimmung, während der Rest in fast vollkommener Dunkelheit versinkt.

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Am glücklichsten aber ist Brodka, wenn bei Vollmond das Richter-Fenster in einem ganz eigentümlichen Glanz erstrahlt. „Je nach Blickwinkel und Lichteinfall sieht das aus, als funkelten lauter kleine bunte Edelsteine. Dann setze ich mich zum Genießen in die erste Bank, sehe in der Achse den Dreikönigenschrein, werde ganz andächtig, lasse meine Gedanken schweifen und weiß: Mehr geht nicht.