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Jüdische Gemeinde Köln nach dem 7. Oktober„Immer weniger wissen, was in Israel los ist“

Lesezeit 7 Minuten
Bringt sie jetzt nach Hause steht an der Synagoge an der Roonstraße.

Bringt sie jetzt nach Hause steht an der Synagoge an der Roonstraße.

Der Angriff der Hamas auf Israel vor einem Jahr hat auch das Leben in der jüdischen Gemeinde verändert.

„Das würde ich mich nicht trauen, niemals!“ In einer Mischung aus Bewunderung und Sorge blickt die Schülerin auf den vor ihr stehenden Rennradfahrer. Dieser trägt den Dress des israelischen Teams, das bei der Tour de France teilnimmt. „Hast Du denn noch nie Probleme bekommen, hast Du keine Angst?“, fragt die 16-Jährige den Sportler, der sie beruhigen möchte: „Nein, und ich kenne noch andere Fahrer, die gerne diese Kleidung tragen, um Solidarität mit Israel zu zeigen.“ Überzeugen konnte der Sportler die Schülerin nicht. Die Begebenheit, die sich während des Israel-Tages Ende August auf dem Rathenauplatz zutrug, ist bezeichnend für das gegenwärtige Lebensgefühl jüdischer Menschen. Die Jugendliche ist Mitglied der Synagogen-Gemeinde Köln (SGK), doch ihre jüdische Identität traut sie sich außerhalb der Gemeinde oder bei Veranstaltungen wie dem Israel-Tag nicht offen zu zeigen.

Seit dem 7. Oktober 2023, dem Beginn des Krieges der Hamas gegen Israel und dem damit verbundenen schlimmsten Massaker an Menschen jüdischen Glaubens nach dem Holocaust, sind das Vertrauen und der Glaube von Juden in eine gesicherte Gegenwart und Zukunft in Köln, Deutschland erschüttert. Hinzu kommt ein immer unverhohlener und aggressiver auftretender Antisemitismus. Seit Monaten hängt an der Fassade des neuromanischen jüdischen Gotteshauses im Gedenken an die nach wie vor über 100 Geiseln in den Händen der Hamas ein riesiges Plakat mit der Aufschrift „Bring them home now (Bringt sie jetzt nach Hause).“

„Wir sind näher zu Gott gerückt“: Yechiel Brukner ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Köln.

„Wir sind näher zu Gott gerückt“: Yechiel Brukner ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Köln.

Es gibt kein Gemeindemitglied, das nicht Verwandte, Bekannte oder Freunde in Israel hat und mit ihnen mitleidet, sagt eine langjährige Mitarbeiterin des jüdischen Wohlfahrtszentrums in Ehrenfeld. Die Sorge sei noch viel größer als vor einem Jahr. „Wir sind noch viel vorsichtiger und haben ein mulmiges Gefühl, wenn wir in die Synagoge gehen, weil wir nicht wissen, wer uns alles beobachtet.“ Daher wolle sie ihren Namen auch nicht in der Zeitung lesen.

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Yechiel Brukner, der Rabbiner der nachweislich ältesten jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen mit rund 4000 Angehörigen, hat im zurückliegenden Jahr ein „dreifaches Rücken“ innerhalb der SGK beobachtet. „Wir sind alle näher an Israel und seine Gesellschaft, an die Bevölkerung, unsere Soldaten, vor allem aber an die Geiseln und deren Angehörige gerückt“, betont Brukner und verweist darauf, dass die SGK aus der israelischen Perspektive eine Diaspora-Gemeinde ist. Zweitens seien die Mitglieder der Gemeinde durch den 7. Oktober einerseits sowie den aufwallenden Antisemitismus andererseits näher zusammengerückt. „Drittens sind wir alle näher zu Gott gerückt“, hebt der jüdische Geistliche hervor. „Wir horchen mehr auf Gott, wir beten und hoffen mehr und reflektieren über die Aufgabe des jüdischen Volkes.“

Wir horchen mehr auf Gott, wir beten und hoffen mehr und reflektieren über die Aufgabe des jüdischen Volkes.
Yechiel Brukner, Rabbi der Jüdischen Gemeinde Köln

Er selbst und seine Frau Sarah erleben dieses Zusammenrücken auch innerhalb ihrer Familie in Israel – sechs Kinder, 25 Enkelkinder. Das Heulen der Sirenen, der Lärm der Raketen und Raketenabwehr sowie das Flüchten in einen Bunker gehören zum Lebensalltag. Während des Gesprächs mit der Kölnischen Rundschau erreicht ihn ein Foto von vier seiner Enkelkinder, die sich vor iranischen Raketen in einen Schutzraum geflüchtet haben. „Schauen Sie, wie die Kinder zusammengerückt sind“, sagt Brukner und fügt nachdenklich hinzu: „Ich glaube, dass in Deutschland viele Menschen immer weniger wissen, was in Israel los ist, denn es wird eigentlich immer nur darüber berichtet, wenn Israel sich wehrt.“

Die alltägliche Erschütterung erfährt seit dem Massaker der Hamas auch Andrei Kovacs. „Seitdem kommt es zu einem merklichen Anstieg des Antisemitismus, der vor allem bestehende Freundschaften zu Nichtjuden belastet“, berichtet der ehemals leitende Geschäftsführer des Vereins „321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Er war federführend an der Konzeptionierung und Durchführung des Festjahres mit bundesweit über 2200 Veranstaltungen beteiligt. „Während dadurch in den Jahren 2021 und 2022 das Judentum in ganz Deutschland deutlich positiver wahrgenommen wurde, beobachten wir heute, wie der seit langem existierende Juden- und Israelhass aus der Mitte der Gesellschaft auf den Straßen und an Universitäten zelebriert und durch soziale Medien sowie Fake News in Deutschland und Europa angeheizt wird.“

Kovacs, der Mitglied der SGK ist, mahnt aber auch hoffnungsvoll an: „Wir dürfen nicht durch Angst oder Paranoia gelähmt werden, sondern sollten stattdessen weiterhin aktiv nach einem respektvollen gesellschaftlichen Miteinander streben.“ Ob dies gemeinsam erreicht werden könne, hänge seiner Ansicht nach von innovativen und entschlossenen Initiativen ab. Kovacs will dazu einen nachhaltigen Beitrag leisten, denn er ist Gründungsmitglied und amtierender Generalsekretär des in Köln neu gegründeten Vereins JEWLIF – Jüdisches Leben in Europa. Kovacs wörtlich: „Ich glaube immer noch fest an die Kraft der Demokratie und an eine pluralistische Gesellschaft, um Hass zu überwinden. Lasst uns gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen.“

Dass diese gemeinsame Zukunft gelingen kann, zeigte sich beispielsweise im Februar 2022: Erstmals seit rund 80 Jahren rollte beim Rosenmontagszug wieder ein jüdischer Festwagen über die Straßen der Domstadt. „Schalömchen un Alaaf – 1700 Jahre fest verwurzelt in Deutschland“ war der Wagen bezeichnet, der wie selbstverständlich am Höhepunkt des Kölner Karnevals teilnahm und von den Zehntausenden Jecken am Streckenrand begeistert gefeiert wurde. „Mit dem Festwagen wollten wir zeigen: Juden leben seit über 1700 Jahren in dieser Stadt, und auch in schwierigen Zeiten werden wir uns von nichts und niemandem vom gemeinsamen Feiern abbringen lassen“, so Andrei Kovacs damals. Und heute? Eine neuerliche Teilnahme eines jüdischen Wagens am Rosenmontagszug erscheint völlig unrealistisch.

Der Präsident der Kölsche Kippa Köpp, Aaron Knappstein, auf dem jüdischen Friedhof in Bocklemünd.

Der Präsident der Kölsche Kippa Köpp, Aaron Knappstein, auf dem jüdischen Friedhof in Bocklemünd.

„Ich bin wahrscheinlich der einzige Karnevalspräsident, der aufgrund seines Amtes vom Staatsschutz angerufen wird“, berichtet Aaron Knappstein mit Blick auf die Veranstaltungen des jüdischen Karnevalsvereins „Kölsche Kippa Köpp“. Knappstein ergänzt: „Leider muss jetzt auch der Karneval von privaten Sicherheitsleuten bewacht werden aufgrund des Judenhasses in Deutschland.“ Zwei Mitglieder des 2017 gegründeten Vereins hätten das Massaker der Hamas in einem Bunker im Süden Israels überlebt, etliche andere seien Opfer des ansteigenden Antisemitismus hier in Deutschland geworden, sagt Knappstein und resümiert: „Die Veränderung zeigt sich für den Verein vor allem in der Hochstufung der Sicherheitsmaßnahmen für all unsere Veranstaltungen.“

Ich bin wahrscheinlich der einzige Karnevalspräsident, der aufgrund seines Amtes vom Staatsschutz angerufen wird.
Aaron Knappstein, Kölsche Kippa Köpp

Das erfährt auch Chana Bennett. Sie zeichnet für die Kultur- und Eventveranstaltungen der SGK verantwortlich. Daneben sind es aber vor allem die persönlichen Erfahrungen, Gedanken und Gefühle, die sie und nicht nur viele Kölner Juden seit dem 7. Oktober tagtäglich beschäftigen. „Das Leben ist bestimmt von den Ereignissen in Israel und der Angst um Angehörige und Freunde.“ Neben einem Gefühl der Einsamkeit, Vulnerabilität und Verletzlichkeit kämen alltägliche Einschränkungen hinzu wie etwa die Frage, ob sie überhaupt noch ihre Halskette mit dem Davidsstern tragen könne. Darüber hinaus erlebten ihre studierenden Kinder aufgrund der immer häufigeren Anfeindungen, auch und gerade im universitären Bereich, „einen Bruch“.

Rachel Rado ergänzt in diesem Zusammenhang: „Ganz vereinzelt haben sich nach dem 7. Oktober Freunde und Bekannte außerhalb meiner Gemeinde mitfühlend geäußert. Viel war das nicht, es war beschämend wenig.“ Die aus Kölns israelischer Partnerstadt Tel Aviv-Yafo stammende, seit Jahrzehnten in der SGK engagierte Jüdin hatte bis zum 7. Oktober „immer das Gefühl, im Falle eines Falles nach Israel gehen zu können und mich dort sicher zu fühlen“. Ihre Schwester mit Familie lebe in Israel: „Neuerdings bekomme ich immer wieder eine SMS, dass es ihnen gut geht. Dann weiß ich, dass sie wieder im Bunker oder sonstigen Schutzräumen sind und mit Raketen beschossen werden, und jedes Mal bekomme ich Herzschmerzen.“

Ihr Mann Michael, Vorstandsmitglied der SGK, betont, dass die Gemeinde nicht nur sprachlos und erschüttert darüber ist, dass ein solches Verbrechen überhaupt möglich gewesen sei. „Was uns in Köln noch sprachloser gemacht hat, ist die Gleichgültigkeit, mit der die Gesellschaft und Öffentlichkeit um uns herum die Hamas-Verbrechen zur Kenntnis genommen haben. Kein Aufschrei gegen diese Bestialität, obwohl jeder hier durch die Medien über die Unmenschlichkeit informiert war.“ In Köln hätten keine humanitäre Vereinigung oder ein Frauenbündnis diese Verbrechen gegeißelt. „Stattdessen gab es antiisraelische Demonstrationen und zunehmende antisemitische Aktivitäten, und daraus ist dann plötzlich eine riesige Woge geworden.“ Gleichwohl wollen Rado und seine Vorstandskollegen die wenigen Zeichen der Solidarität, der Unterstützung und des Zuspruchs nicht vergessen. „Es ist schön zu erleben, dass die Gemeinde und ihre Mitglieder in dieser schweren Zeit nicht alleine sind“, schreiben sie im Gemeindeblatt.

Michael Rado sagt mit Blick auf die zunehmende Eskalation im Nahen Osten: „Wie in jedem Krieg wirkt das Vorgehen auch eines völlig regulären Militärs von außen gesehen nicht immer verhältnismäßig. Es gibt im Krieg immer Tote. Wir trauern um jeden Toten – egal auf welcher Seite er steht oder besser: stand.“ Unmissverständlich stellt er jedoch klar: „Was wir nicht ertragen, ist die Verwendung von Menschen als Handelsware in Form von Geiseln. Keine kultivierte Nation nimmt Geiseln. Kein kultivierter Mensch versteckt in seiner Umgebung Geiseln oder duldet, dass in seiner Umgebung Geiseln versteckt werden.“