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„Das Härteste ist es, trotzdem funktionieren zu müssen“Eine Kölner Palästinenserin erzählt, was ein Jahr Krieg mit ihr gemacht hat

Lesezeit 5 Minuten
Zeynep Karaosman lehnt an einer Bank

Zeynep Karaosman kämpft als Aktivistin für einen Waffenstillstand.

Weil sie Familie im Libanon hat, schläft Zeynep Karaosman kaum. Warum die Mitgründerin von „Palestinians and Jews for Peace“ trotzdem Hoffnung auf Frieden hat.

Mit müden Augen sitzt Zey am Tisch vor einem Café im Agnesviertel. Erst in den Morgenstunden meldete sich ihre Cousine aus Beirut. Bevor das Lebenszeichen kam, war an schlafen nicht zu denken. Sie, ihr Mann und ihr Baby wurden nicht von den israelischen Luftangriffen getroffen. Zey zeigt ein Foto von einem Säugling, der sich in eine rosa Decke kuschelt. Ein halbes Jahr ist das Kind jetzt alt – und erlebt Krieg. Kurz vor dem Jahrestag des Angriffs der Hamas eskaliert die Lage weiter. Das Ziel der Kölner Friedensaktivistin, die mit vollem Namen Zeynep Karaosman heißt, scheint nach monatelangen Anstrengungen weiter weg zu sein als je zuvor.

Ihre Familie väterlicherseits ist palästinensisch. Nach der Gründung von Israel und dem darauffolgenden arabisch-israelischen Krieg flüchteten ihre Verwandten 1948 in den Libanon. Eigentlich kommen sie aus Jaffa, einem Stadtteil in Tel Aviv. Als ihr Vater vor rund 12 Jahren starb, besuchte sie die Stadt auf einer Reise zu ihren Wurzeln und war begeistert: Jüdisches und palästinensisches Leben fanden gemeinsam statt. Seitdem hat sich die 37-Jährige dem Frieden zwischen den Völkern verschrieben.

Mit einer jüdischen Freundin aus Köln gründete sie im vergangenen Oktober als Antwort auf den Krieg die Friedensorganisation „Palestinians and Jews for Peace“ (PaJfP). Ein Ort der gemeinsamen Trauer und keiner, an dem Leid verglichen wird, sollen ihre Veranstaltungen sein. Flaggen von Israel oder Palästina sind deshalb nicht erwünscht. Hunderte Menschen kamen zu ihrer bisher größten Demo in Köln und verliehen ihren Forderungen Nachdruck: darunter ein dauerhafter Waffenstillstand und die Rettung der israelischen Geiseln.

Zeynep Karaosman (vorne l.) und Kristina Bublevskaya (r.) gründeten PaJfP. Hier führen sie einen Demozug durch die Altstadt an.

Zeynep Karaosman (vorne l.) und Kristina Bublevskaya (vorne r.) gründeten PaJfP. Hier führen sie einen Demozug durch die Altstadt an.

Zeys Handy vibriert auf dem Tisch und unterbricht sie, sofort greift sie danach. Es ist eine Sprachnachricht von ihrer Cousine. „Wir verstecken uns im Haus und kommen nur raus, um das Nötigste zu besorgen“, erzählt eine angestrengte Frauenstimme. Tage zuvor schickte sie ein Video: Gebäude in Trümmern, Asche rieselt vom Himmel und bedeckt alles auf der engen Straße, Menschen rufen panisch durcheinander.

Ganz in der Nähe des Hauses der Cousine wurde die Aufnahme gemacht. An dem Tag, an dem Israel den Chef der islamistischen Miliz Hisbollah, Hassan Nasrallah, tötete. „Wir wissen nicht, wo und wann die nächsten Bomben fallen. Wenn wir rausgehen müssen, beten wir, dass wir sicher zurück nach Hause kommen. Milch und Windeln, aber auch manche Medikamente gibt es in den Geschäften nicht mehr“, hatte die Cousine dazu geschrieben.

Das Härteste ist es, trotzdem funktionieren zu müssen.
Zeynep Karaosman über die Zeit seit dem 7. Oktober

Als sie die Nachrichten vorliest, klingt Zeys Stimme fast monoton. Die ehrliche Antwort darauf, wie es ihr mit all dem geht, ist schon lange keine einfache mehr. Manchmal fühle sie so viel, dass sie auf einmal nur noch Leere spüre. „Da ist diese Taubheit. Das Leben um dich herum geht normal weiter, während du einfach nichts mehr fühlen kannst. Das Härteste ist es, trotzdem funktionieren zu müssen.“

Ein Gefühl, dass sie sich mit vielen, die Bezug zum Krieg haben, teile. „Während wir das aushalten, haben wir auch Jobs und persönliche Probleme. Manchmal wünschte ich, die Menschen würden sensibler damit umgehen.“ Statt Einfühlsamkeit, erleben die Betroffenen hingegen gerade zusätzlich, wie die AfD erstarkt und überall Abschiebungen gefordert werden, erklärt sie.

„Ich bin müde. Sehr, sehr müde.“ Jeder Tag spült neue Bilder vom Krieg auf ihr Handy. Als Aktivistin ist sie über soziale Medien gut vernetzt. Zu gut, um nachts ruhig zu schlafen. Das Leid von allen Betroffenen des Konflikts taucht gebündelt auf ihrem Display auf – und Zey guckt nicht weg. Während andere schlafen, plant sie die nächste Demo, schreibt ihre Reden, postet auf Instagram.

Frieden wird es nur geben, wenn wir ihn fordern.
Zeynep Karaosman

Bisher sind keine der Forderungen der Organisation wahr geworden, ganz im Gegenteil. „Nicht nur, dass der Krieg schon ein Jahr lang dauert, er ist auch schlimmer geworden. Jetzt sind noch mehr Länder involviert“, sagt sie. „Meine Wut darüber ist viel größer als meine Trauer und das ist gut so. Ich habe zwar konstant Kopfschmerzen deshalb, aber die Wut bringt mich dazu, weiter aktiv zu werden.“ Ausgesucht habe sie sich das alles nicht. „Für den Frieden zu kämpfen, ist nicht mein Hobby. Aber es ist schwer, nichts zu tun, wenn man betroffen ist.“

Was ist es, das ihr in dieser Zeit noch Hoffnung für Frieden gibt? Sie überlegt, dann zitiert sie den Israeli Maoz Inon, einen Friedensaktivisten, dessen Eltern und viele Freunde am 7. Oktober von den Hamas ermordet wurden. „Hoffnung ist eine Handlung. Es ist nichts, was man finden, verlieren oder von jemandem bekommen kann, es ist etwas, das man schafft.“ Zey glaubt weiterhin fest daran, dass eine Gesellschaft etwas bewegen kann, wenn sie sich zusammentut. „Frieden wird es nur geben, wenn wir ihn fordern“, betont sie. „Ich werde bis zu meinem letzten Tag für den Frieden kämpfen.“


Gedenkveranstaltung zum 7. Oktober in Köln

Heute aber will PaJfP innehalten. Anstatt zu einer großen Demo aufzurufen, möchte die Organisation betroffenen Menschen einen Raum bieten, in dem sie in Ruhe gemeinsam trauern können. Sie veranstaltet am Abend des 7. Oktober deshalb eine Gedenkveranstaltung unter dem Motto „In gemeinsamer Trauer: Für das Leben und die Menschlichkeit“. Dabei soll es nicht um Politik, sondern um den Schmerz aller Beteiligten gehen. Auch ein kleines Programm wird es geben. Für die Teilnahme ist eine Anmeldung nötig, der Veranstaltungsort wird danach per Mail mitgeteilt.