Köln-Serie „Fundstücke“Wie die WDR-Jugendsendung „Klatschmohn“ über Vingst berichtete
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Für unsere Serie „Fundstücke“ steigen wir hinab in unser Foto-Archiv im Keller und greifen willkürlich Bilder heraus.
Diana Haß ist dabei auf die Fotos zu einer WDR-Sendung gestoßen.
Weite Schlaghose, enger Rippenrolli, Prinz-Eisenherzschnitt mit Pony und scharfer Kante – die Jungs und Mädchen, die in Vingst auf dem Zaun sitzen, sind eindeutig Kinder ihrer Zeit. 1970er Jahre in Reinkultur. Das zeigen auch die Gefährte: Klappräder mit hohen Lenkern, Mopeds, ein Mercedes 200/8 parkt hinter dem typischen Heck des Hippie-Lieblings „Bulli“.
Entschlossen und aufmerksam schauen die Jugendlichen auf dem Zaun in dieselbe Richtung. Da vorne ist etwas, was sie auf keinen Fall verpassen wollen. Spannung liegt in der Luft. Der Grund: Am 18. April 1974 gastiert die WDR-Jugendsendung „Klatschmohn“ in Vingst. „Rotfunk“ oder „Telekolleg für Linksradikale“ schimpft die CSU zu jener Zeit über das WDR-Magazin, das ein Kontrastprogramm zu „Disco“ mit Ilja Richter oder zu „Bonanza“ mit Ben Cartwright und seinen Söhnen Adam, Hoss und Little Joe bildet.
„Wat solle mer dann ovends he mache?“
Im „Klatschmohn-Zelt“ diskutieren an jenem Donnerstag im April 1974 rund 400 Menschen über eine Sozialreportage, die der WDR im „Problem-Stadtteil“ gedreht hatte. Die Stimmung ist aufgeheizt. „Wir sind in einem Stadtteil, der verrufen ist“, zitiert die Rundschau eine Hausfrau, die an der „erregten Diskussion“ teilnimmt. „Wat solle mer dann ovends he mache?“, fragt ein Junge. Die Stadtpolitik wird angeklagt. Sozialdezernent Hans Erich Körner gibt zu: „Vingst muss in Bezug auf seine Infrastruktur aufgeforstet werden.“
Mit dabei an diesem Frühlingstag sind Akteure, die später bundesweit bekannt werden. Rolf Bietmann beispielsweise. Damals steht er kurz vor seinem 20. Geburtstag. Ab den 1990er Jahren war er einer der einflussreichsten CDU-Politiker in der Kölner Stadtpolitik. Er erinnert sich gut: „Das war für mich als junger Mann sehr aufregend, dass ich im Fernsehen interviewt wurde. Wir waren alle sehr engagiert und waren uns alle einig, dass in Vingst etwas passieren musste. Wir hatten damals eine große Initiative gestartet. Es ist dann ja auch etwas passiert.“
Gut im Gedächtnis hat den Tag auch Erry Stoklosa von den Bläck Fööss. „De Mama kritt schon widder e Kind“ spielte die kölsche Mundart-Band im Zelt. Anfang, Mitte 20 waren die Fööss damals. Bei „Klatschmohn“ traten sie in einer ungewöhnlichen Besetzung auf. „Bömmel ist damals nach einem Autounfall für eine Zeit ausgefallen“, erinnert sich Stoklosa − und schlägt den Bogen zu heute: „Momentan ist er ja auch nicht bei uns wegen seines Schlaganfalls.“ Mike Gong vertrat Bömmel in Vingst. Ebenfalls kein Fööss-Stammspieler ist der Mann am Schlagzeug. „Das ist Eugen Römer, späterer Musikproduzent von Andrea Berg.“ Dass der WDR in den 1970ern noch außerhalb des Karnevals kölsche Musik spielte , erinnert das Fööss-Urgestein mit Wehmut. „Wir waren hochpolitisch. Das war unsere Sturm- und Drangzeit.“
Die politischen Anstöße, die der WDR in den wilden Jahren im Schatten der 1968er geben wollte, haben − zumindest was Köln-Vingst angeht − nur bedingt Wirkung gezeigt. Im Januar 2019, 45 Jahre nach der Sendung, beklagte der Vingster Pfarrer Franz Meurer im Gespräch mit der Rundschau die Missstände in seinem Stadtteil: 26 Prozent der Haushalte seien überschuldet, 42 Prozent der Kinder lebten in Armut.