Das Festkomitee hat nach den jüngsten Zwischenfällen die Anforderungen für Pferde und Reiter verschärft
Die Sorge ist groß, dass ein neuer Unfall das Ende einer langen Tradition bedeuten könnte
Wir haben mit Hans-Joachim Jennes (51), Reiterkorpsführer der Ehrengarde, gesprochen
Köln – Im langsamen Trab kehrt „Sensation“ zurück auf „Gut Scheuerhof“ in Flittard, am Rande Kölns. Im Sattel sitzt Hans-Joachim Jennes (51), Reiterkorpsführer der Ehrengarde, brauner Helm, braune Lederhandschuhe. Vor zehn Jahren trug er für eine Session blonde Zöpfe, damals gehörte er als Jungfrau zum Kölner Dreigestirn. Im Rosenmontagszug stand er hoch oben auf dem vorletzten Wagen, neben ihm der Bauer. „Das war bei Weitem nicht so schön wie zu Pferd. Man ist so weit weg von den Menschen. Es gibt keinen Kontakt“, bedauert er. Dieses Mal wird er wieder auf einem Pferd sitzen. Nach dem Kutschunfall des Vorjahres und dem Zusammenbruch des Pferdes „Querida“ im 2017 stehen Pferde und Reiter unter besonderer Beobachtung.
Werden Sie nach der Debatte um das Für und Wider von Pferden im Rosenmontagszug mit anderem Gefühl in den Sattel steigen?
Die Sensibilität für das Umfeld ist höher. Mittlerweile muss man mit gefährlichen Eingriffen in Richtung der Pferde rechnen. Wir leihen seit 20 Jahren von einem Lieferanten immer dieselben Pferde für den Zug. Mein Pferd, das ich 13 Jahre im Zug geritten habe, ist 2016 eines natürlichen Todes gestorben, deshalb reite ich seit 2017 ein neues Pferd. Es heißt Giovanni. 2019 zum dritten Mal.
Verhalten sich die Zugbesucher denn wirklich rücksichtsloser als früher?
Es ist durchaus schlimmer geworden, aber nicht dramatisch. Auch vor 20 Jahren gab es schon Menschen, die eine Pralinenschachtel zurückgeworfen oder in die Zügel gegriffen haben. Bei meinem ersten Zug als junger Reiter hat jemand eine Zigarette an meinem Pferd ausgedrückt. Die Polizei hat ihn festgenommen. Aber die Pferde sind an Umzüge gewöhnt. Mein eigenes Pferd würde das nicht schaffen.
Wie oft sehen Sie im Jahr die Leih-Pferde?
Wir gehen mehrmals im Jahr in die Reitställe, einige Pferde stehen im direkten Umland. Von den 35 geforderten Reitstunden, die wir im Jahr nachweisen müssen, absolvieren viele Reiter die Hälfte auf den Leih-Tieren.
Als Reaktion auf den Kutschunfall hatten sich die Verantwortlichen des Festkomitees mit Juristen beraten, ebenso mit Dr. Willa Bohnet von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Das Ergebnis sind neue Kriterien (siehe Seite 2) für den Einsatz der Tiere. Auch im Stadtrat wurde über die Zwischenfälle diskutiert, im Sommer musste sich der Beschwerdeausschuss mit einem Antrag von Tierschützern befassen, der einen Verzicht von Pferden im Karneval vorsah. Hans-Joachim Jennes saß als Verhandlungsführer der Reiterkorps am Mikrofon des Ratssaals, dort, wo sonst die Dezernenten die Fragen der Politiker beantworten. Die Mehrheit stimmte am Ende für einen Verbleib der Pferde im Rosenmontagszug.
Ohnehin ist die Anspannung beim Festkomitee und den Karnevalsvereinen enorm, hinter den Kulissen dominiert die Befürchtung, dass den Verantwortlichen bei einem weiteren Zwischenfall mit Beteiligung von Pferden wohl nur noch eine Konsequenz bleibt: den Ausschluss der Tiere. Und damit das Ende einer Tradition, die vor bald 200 Jahren begonnen hat. Seit einigen Jahren lassen Traditionskorps wie die Prinzen-Garde bereits ihre Kutschen umbauen oder schaffen neue Kutschen an, die notfalls auch von einem Traktor gezogen werden könnten. Vor drei Jahhren war im Kölner Zug vorsorglich auf Pferde verzichtet worden – wegen einer Sturmwarnung.
Die Debatte trifft nicht nur den Karneval, auch in Zirkussen sind Tier-Nummern verpöhnt. Voriges Jahr hatte der „Circus Roncalli“ den Verzicht auf Tiere verkündet, vor allem Pferde und Ponys waren dort immer wieder eingesetzt worden.
Herr Jennes, lassen sich Tierliebe und Karnevalsreiterei im Rosenmontagszug vereinen?
Die Polarisierung, die in dieser Diskussion teilweise geführt wird, stört mich. Es gibt Karnevalisten, die sich stark im Tierschutz engagieren, zugleich gibt es Tierschützer, die Karneval feiern. Wir sind gegen Walfangquoten und gegen Hundeschlachtung in China. Ich versuche immer für eine sachliche Debatte zu sorgen.
Die Karnevalsvereine hatten Sie als Fürsprecher auserkoren. Wie kam es dazu?
Die Festkomitee hat gemeinsam mit der Ehrengarde einen Vertreter mit großer Erfahrung und Fachwissen gesucht, der dies mit Herzblut nach außen vertreten kann. Dabei fiel die Wahl dann auf mich. Ich verstehe mich natürlich als Vertreter aller berittenen Gesellschaften.
Schon bei der Debatte im Ratssaal hatte Jennes mit dem Vorurteil aufzuräumen versucht, die Reiter im Karneval seien vor allem übergewichtige Männer, die den Zugweg nicht mehr zu Fuß schaffen. Bei der Prinzen-Garde reitet seit Jahren Patric Looser mit, der 2010 bei der Voltigier-Weltmeisterschaft den Titel gewann. Genauso gibt es Reiter, die eher sporadisch mal auf dem Pferd sitzen und nicht mehr als die geforderten Reitstunden absolvieren. Die Bandbreite ist groß.
Wann haben Sie zum ersten Mal ein Pferd geritten?
Mit neun Jahren, das war recht spät. Meine Tochter ist jetzt neun, sie reitet schon Turniere.
Hatte die Reiterei bei Ihnen auch familiären Ursprung?
Ja, mein Vater war sehr pferdeaffin, er hat als Hobbyreiter in einem Stall in Bocklemünd geritten, die Gelegenheit hatte er durch eine Art Betriebssport der Firma Nattermann. Ich durfte ihn hin und wieder begleiten. Mein erstes Pferd hatte ich mit 20 Jahren bekommen. Ich habe also nicht gesagt: Papa, ich will ein Pony. Ich habe mich da reingearbeitet.
Wie hat sich der Umgang mit Pferden im Zug verändert?
Die Gelassenheitsprüfung, die das Pferd bestehen muss, kann die Anforderungen Rosenmontag nur bedingt simulieren. Früher habe ich meine Reiter angeschaut und entschieden, wer mitreiten darf und wer besser nicht. Aber das war rein subjektiv. Inzwischen werden bei den Prüfungen Situationen trainiert, die im Zug vorkommen können. Etwas das Reiten über Planen, über verschiedene Untergründe, das Öffnen von Regenschirmen, das Bewerfen mit Kamelle, laute Musik, das Fliegen von Kartons. Vor 25 Jahren wurden bei einigen Vereinen die Pferde aus dem Anhänger geholt und ab ging es in den Zug.
Und heute?
Wir laden unserer Pferde am Stüttgenhof an der Dürener Straße ab, reiten dann durch den Stadtwald stadteinwärts. Die Tiere werden getränkt, machen Pause, zwischendurch gehen die Reiter frühstücken – eine lange Prozedur. Die Außeneinflüsse auf die Pferde nehmen langsam zu, an den Ringen ist es schon recht voll, dann folgt der Ritt durch die Severinstorburg, ein durchaus kritischer Punkt. Aber Pferde sind Gewohnheitstiere, ein gleichmäßig höherer Lärmpegel ist nicht so stressig wie plötzliche Geräusche.
Wie teuer ist der Ritt im Rosenmontagszug?
Einschließlich Wurfmaterial kommt meist eine Summe von 600 bis 1000 Euro zusammen, allein der Pferdetransport und die Leihgebühr betragen etwa 250 Euro. Viele Karnevalisten zahlen aber mehrere Tausend Euro im Jahr für Reitunterricht, Pferdepflege und Equipment.
Protest und verschärfte Anforderungen
Als Reaktion auf den Kutschunfall beim Rosenmontagszug 2018 hat das Kölner Festkomitee die Auflagen für Reiter und Pferde verschärft. Die Einsatzzeit der Pferde darf – einschließlich des Transports – neun Stunden nicht überschreiten. Verboten sind erstmals sogenannte „Pauken-Pferde“, also Tiere, auf deren Rücken die Reiter trommeln. Ohnehin sollen Pferde laut Festkomitee in diesem Jahr möglichst weit von Kapellen entfernt eingesetzt werden. Auf den zahlreichen Tribünen entlang der Zugstrecke soll auf Musik verzichtet werden, sobald eine Reitergruppe vorbeiläuft. „Die Frage war, wie wir das Stress-Level der Tiere so reduzieren können, dass sie weiter im Zug mitgehen können“, erklärt Zugleiter Alexander Dieper.
Erweitert wurde die „Gelassenheits-Prüfung“, eine Art Stress-Test für Pferde, die bei Umzügen eingesetzt werden. Neuerdings werden auch Kamellewürfe vom Rücken der Pferde aus trainiert werden, damit sich die Tiere an die ruckartigen Bewegungen gewöhnen. Ebenso darf im Zug nur noch Zaumzeug eingesetzt werden, an das jedes Pferd bereits gewöhnt ist. Nach dem Kutschunfall im vergangenen Jahr hatten Polizei und Staatsanwaltschaft monatelang ermittelt, weil Zeugen von einem Bewurf der Pferde mit Gegenständen berichtet hatten. Hierfür hatten sich jedoch keine verwertbare Beweise, also Videoaufnahmen oder Fotos, finden lassen. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen daraufhin eingestellt.
In diesen Tagen hatte die Tierschutzorganisation Peta einen Offenen Brief an die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker veröffentlicht und zu einem Verzicht auf Pferde im Karneval aufgerufen. 35 Prominente haben den Aufruf unterzeichnet, darunter Moderatoren und Kabarettisten wie Hella von Sinnen, Horst Lichter, Hugo Egon Balder, Ingo Appelt und Mario Barth. Beim Rosenmontagszug in Düsseldorf wird in diesem Jahr auf den Einsatz von Kutschen verzichtet, dies ist die Reaktion der Verantwortlichen auf den Unfall in Köln. Das Festkomitee hat sich jedoch anders entschieden. „Der alleinige Verzicht auf Kutschen, wie in Düsseldorf, schien uns eher eine impulsive Entscheidung gewesen zu sein“, hatte Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn erklärt. Ebenso wie die latente Terrorgefährdung sorge auch der Einsatz der Pferde für „Anspannung und ein leicht ungutes Gefühl“, das erst abfalle, wenn am Zugende alles gut gegangen sei. (tho)