Oberbürgermeisterin Henriette Reker besucht den Heumarkt, die Synagoge und danach die Zülpicher Straße.
Karneval in KrisenzeitenZwischen Schabbat und Alaaf – ein 11.11. der Kontraste in Köln
Stärker können die Kontraste nicht sein. Henriette Reker tritt aus der Synagoge, die Bilder der Vermissten nach dem Terror-Angriff der Hamas hängen neben der Tür. Aus dem Hintergrund ist ein Martinshorn des Rettungsdienstes zu hören, ein Flamingo schreitet vorbei, ein amerikanischer Cop grölt irgendwas über die Roonstraße. Shabbat und Fastelovend.
Die Oberbürgermeisterin hat an diesem besonderen Elften Elften den Sessionsauftakt auf dem Heumarkt abgebrochen, um rechtzeitig am Gottesdienst in der Synagoge teilnehmen zu können. „Heute feiern Tausende in Köln, während ich viele von Ihnen in tiefer Trauer und in Sorge weiß“, sagt sie in der Synagoge. Sie könne nur versuchen nachzuempfinden, „wie sehr Ihnen heute Verlust und Verzweiflung angesichts der Ausgelassenheit in Köln bewusst werden“. Sie sei „an diesem 11. November zu Ihnen gekommen, um meine tief empfundene Anteilnahme auszudrücken“.
Auch in der Synagoge hängen die Bilder des Terrorangriffs vom 7. Oktober. Die OB verspricht, dass die historische Verantwortung des Staates keine Leerformel sei. Es sei ein konkretes Gebot, unverbrüchlich zu den Jüdinnen und Juden in unserer Gesellschaft zu stehen. Dieses Gebot gelte auch am 11.11. „Nie wieder muss es selbstverständlich auch heute heißen.“
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Dann tritt sie vor die Tür, wo Blumen, Kerzen und Botschaften niedergelegt sind. Im Beisein von Abraham Lehrer, Synagogenvorstand, zündet sie eine Kerze an mit dem Wappen der Stadt Köln. „Hoffnung“ steht darauf. Reker hält einen Moment inne. „Manche brauchen diese Feiern“, sagt sie dann in die Mikrofone, andere können den Terror der Hamas nicht verdrängen. „Ich bin mir aber sicher, dass alle die heute feiern, die schlimmen Ereignisse in Nahost und der Ukraine nicht vergessen.“
Polizei steht Wache vor der Synagoge
Vor der Synagoge stehen viele Einsatzkräfte der Polizei. Das Gotteshaus ist an diesem Tag besonders gut gesichert. Es kommt zu keinen Zwischenfällen. Ein Sprecher der Polizei macht klar, dass man dies in keiner Weise dulden würde. Gerüchte über Feierende, die auf der Zülpicher Straße den Hitler-Gruß gezeigt haben sollen, machen die Runde. Bestätigt werden sie nicht. Auch Miriam Brauns, die kommissarische Polizeipräsidentin, war in der Synagoge dabei. Beim wöchentlichen Schabbat haben an diesem Tag nicht so viele Gemeindemitglieder teilgenommen wie üblich. „Wir haben vorab informiert, wie es am besten möglich ist, zur Synagoge zu kommen“, sagt Brauns. Sie sagt: „Die Synagoge gehört für mich zu Köln, aber der Karneval auch.“
Anschließend verschafft sich die OB dann ein Bild von den Feierlichkeiten auf der Zülpicher Straße. An ihrer Jacke sind die Farben der Ukraine und Israel in Solidaritätsschleifen angesteckt. Nun schreitet sie vorbei an Blaumännern, randvollen Elfen und anderen mehr oder weniger fantasievoll kostümierten Jugendlichen. Eine junge Frau schüttet der OB fast ein Mixgetränk vor die Füße, eine andere droht sich zu übergeben, wird dann vom Rettungsdienst weggebracht. Reker schreitet vorbei an Dönerbuden und Dosenbierausschank, geht über das Meer an kleinen Schnapsflaschen zum Ausgang im Sperrgitterdschungel Richtung Uniwiese. Dort hat die Stadt einen Aussichtsturm errichten lassen, den das Stadtoberhaupt über eine Leiter besteigt und von dort oben auf die Tausenden Feiernden schaut. Sie wirkt, als betrachte sie ein Naturphänomen, dem nicht mehr Einhalt geboten werden kann. „Ich habe das Gefühl, dass alle aufeinander achten. Ich hoffe, das bleibt so den Tag über.“ Was wäre eigentlich, wenn man diese Ausweichfläche nicht hergerichet hätte? „Ich verstehe alle, die die Uniwiese schützen wollen“, sagt die erste Bürgerin der Stadt. „Aber mir ist die Unversehrtheit der Bürger wichtiger.“ Da habe man Prioritäten setzen müssen. „Ich kann mir nicht vorstellen, wo wir diese vielen Menschen sonst hätten lassen können.“
Von unten dringen die dröhnenden Bässe nach oben. Auch am Aachener Weiher sind zu dieser Zeit schon Tausende zusammengekommen. Als Feiern lässt sich das nur bedingt bezeichnen. Die Zülpicher Straße hat sich längst in alle Himmelsrichtungen ausgedehnt. „Die Gesellschaft verändert sich und der Karneval auch“, sagt Reker. „Aber man kann den jungen Menschen nicht vorschreiben, wie sie Karneval feiern sollen. Das hat keinen Zweck.“