Früher war das Geschäft für die Künstler entspannter, berichtet Martin Zylka. Zeit zum Kaffeetrinken hinter der Bühne bleibt bei acht Auftritten an einem Tag kaum.
„Köln ist die Champions League“Literat der Altstädter über die Entwicklung auf der Karnevalsbühne

Alles im Griff: Martin Zylka vor einer Altstädter-Sitzung im Gürzenich.
Copyright: Nabil Hanano
Als Literat ist Ihr Platz vor allem hinter den Kulissen. Nehmen Sie den Applaus für die Künstler, die Sie verpflichtet haben, auch als Applaus für Sie wahr?
Klar, wenn die Energie im Saal da ist, die Leute lautstark mitsingen und sich in den Armen liegen, dann freue ich mich darüber und gehe glücklich nach Hause. Bei uns ist es tatsächlich aber noch so, dass ich am Ende einer Sitzung sogar auf der Bühne belobigt werde. Das ist bei Weitem nicht Standard und eine sehr nette Sache.
Lange Zeit ging der Trend in der Programmgestaltung immer mehr in Richtung Party und Musik. Wie sieht die Entwicklung aktuell aus?
Alles zum Thema Gürzenich
- Holweider Gürzenich Ehemaliger Drei-Kaiser-Saal in Mülheim in Reihenhäuser umgestaltet
- Karneval Dürscheider feiern zum ersten Mal ein Dreigestirn
- Weltmeister von 1974 Günter Netzer zu Gast bei der Prinzen-Garde im Gürzenich
- Guido Cantz bis Marc Metzger Das bieten die Redner der Session im Kölner Karneval
- Einschnitte ab 2026 Akademie der Künste und Festival Acht Brücken erhalten keine städtischen Mittel mehr
- Prinzenproklamation in Köln Der Ober-Räuber als Überraschungsgast
- Rut-Wiess Ranzel Niederkasseler Jecken feiern ausgelassen im Ausweich-Gürzenich
Über alle Veranstaltungen gesehen, ist die Tendenz zu mehr Musik weiterhin da. Auch durch Corona begünstigt, gibt es aber immer mehr kleinere Formate für Publikum, das gerne zuhört. Wer dahin kommt, weiß, was ihn erwartet. Und dann herrscht da absolute Stille. Das ist total wichtig, um eine bestimmte Zielgruppe nicht zu verlieren, die vielleicht weniger Lust auf Party hat.
Literat der Altstädter: „Der Klassiker sind Künstler, die im Stau stecken“
Eine Karnevalssitzung ist teilweise auf die Minute genau durchgetaktet. Was kann an so einem Abend alles schiefgehen?
Der Klassiker sind Künstler, die im Stau stecken. Auch Verkehrsunfälle können vorkommen. Weil die Künstler in der ganzen Region unterwegs sind, kann es auch passieren, dass man in der Voreifel im Schnee stecken bleibt.
Wie reagiert man im Notfall?
In der vergangenen Session gab es viele Schwierigkeiten im innerstädtischen Verkehr. Klaus Rupprecht (Bauchrednerduo Klaus & Willi, Anm. d. Red.) ist zum Beispiel an einem Abend steckengeblieben. Da ist er einfach drei Stationen mit seinem Affen auf der Hand mit der Bahn gefahren. Achnes Kasulke ist einmal komplett ausgerüstet auf High Heels zum Dorint an der Messe gerannt ist. Auch der E-Scooter kommt immer mal wieder zum Einsatz.
Die ganz wilden Geschichten stammen eher aus ihrer Vorgänger-Generation.
Eine beliebte Anekdote stammt von Josef Lutter, der viele Jahre lang Literat der Prinzen-Garde war. Als ihm bei Veranstaltungen im Maritim eine Nummer weggebrochen war, hat er sich einfach auf die Deutzer Brücke gestellt und den nächsten Künstler gestoppt, der vorbeikam. Als dieser dann meinte, er müsse zu den Blauen Funken in den Gürzenich, sagte Lutter dann, dass alles abgeklärt sei. War es natürlich nicht.
Weil alles so eng getaktet ist, ist die Grundanspannung einfach größer geworden.
Was hat sich hinter den Kulissen noch verändert?
Guido Cantz meint hin und wieder, dass die Späße nebenher etwas verloren gegangen seien. Da hat er beispielsweise den Literaten angerufen und gesagt, er sei gerade kurz vor Düren, obwohl in zehn Minuten ein Auftritt in Köln anstand. Dem Literaten ist dann natürlich das Herz in die Hose gerutscht. Dabei stand er bereits vor der Tür. Sowas ist weniger geworden. Weil alles so eng getaktet ist, ist die Grundanspannung einfach größer geworden.
Früher war das Geschäft also entspannter?
Viele Künstler hatten damals nicht so viele Auftritte. Da hat der Literat Teilchen mitgebracht und die Künstler haben während der Sitzung die ganze Zeit Kaffee getrunken und miteinander geplaudert. Heute machen die Bands teilweise sieben bis acht Auftritte am Abend. Die sind dann froh, wenn sie irgendwo mal fünf Minuten durchschnaufen können.
Sie arbeiten für eine Event- und Künstleragentur. Wenn ich mir von einer Agentur einfach ein Sitzungsprogramm zusammenbauen lassen kann, warum braucht es dann überhaupt noch Literaten?
Wir buchen gerne komplette Sitzungsprogramme für unsere Kunden, allerdings entscheiden sie immer selbst, welche Künstler auf ihrer Bühne auftreten sollen. Wir wollen dem Kunden helfen, seine eigene Linie zu finden. Wir beraten oder laden die Kunden zu Vorstellabenden, zum Beispiel der Kajuja, ein, damit sie sich selbst ein Bild über mögliche Programmpunkte machen können. Ein informierter Kunde, der weiß, was oder wen er mit seiner Veranstaltung erreichen will, ist uns am liebsten.
Top-Bands will vermutlich jeder auf seiner Sitzung haben. Alle Wünsche können da sicher nicht erfüllt werden.
Es gibt 15 bis 20 Künstler, die hätte mit wenigen Ausnahmen jeder Kunde gerne. Das funktioniert logistisch natürlich nicht. Je weiter weg von Köln die Veranstaltung ist, desto weniger können die Wünsche umgesetzt werden. Bei den Altstädtern haben wir drei Musikpositionen und drei Redner-Positionen. Zwei von drei Positionen versuchen wir, mit etablierten Künstlern zu besetzen, eine mit etwas unbekannteren, jüngeren oder neueren. Das ist aber immer auch ein Risiko. Nicht bei allen Gesellschaften geht jeder Plan auf. Und wenn man plötzlich nur einen etablierten Namen in einer Kategorie präsentieren kann, dann kann das auch Auswirkungen auf den Ticket-Verkauf haben.
Vor allem das Angebot an Bands im Karneval ist extrem gewachsen. Ist der Markt groß genug für so viel Angebot?
Das Angebot steigt, das stimmt. Aber vor allem die jüngeren Bands stehen vor großen Herausforderungen. Sie müssen ihre Crew bezahlen, die Personalkosten sind stark gestiegen. Der Techniker bekommt seinen Tagessatz, egal ob du einen Auftritt hast oder acht. Die Bands müssen mit spitzem Stift kalkulieren. Auch die Veranstalter müssen sparen. Der Spielraum für einige Bands wird einfach enger.
Wie wichtig ist das Kölner Umland als Markt für die Kölner Bands?
Köln ist die Champions League, jeder Künstler will dort in den großen Sälen stattfinden. Vor allem unter der Woche sind die Auftrittsmöglichkeiten aber weniger geworden. Da hat das Umland seine Chance entdeckt. Viele Bands machen unter der Woche bis zu zwei Drittel ihrer Auftritte außerhalb von Köln. Bands können dort aber auch gut Werbung machen, wenn sie dort beispielsweise ein halbes Jahr später ein Vollkonzert spielen.
Anders als bei den Bands mangelt es bei den Rednern an Nachwuchs. Wie sieht die Entwicklung aus?
Es kostet viel Arbeit, als neues Gesicht im Rednerbereich Fuß zu fassen. Weil der Qualitätsanspruch extrem hoch ist, ist die Hürde für Neueinsteiger groß. Ein schönes Beispiel ist Djavid, ein Comedian mit Migrationsgeschichte. Beim Vorstellabend der Kajuja kam er super an, jetzt hatte er seine ersten Auftritte. Ein tolles Beispiel für einen Nicht-Profi ist auch Boris Müller, der als Hommage an die „Doof Noss“ Hans Hachenberg auftritt – und dem die Menschen überall zu Füßen liegen. Den können wir mit gutem Gewissen auch auf jede große Bühne stellen.
Zur Person und zur Branche
Martin Zylka ist gelernter Veranstaltungskaufmann. Schon seine Ausbildung absolvierte er bei der Go GmbH, mittlerweile ist er dort angestellter Geschäftsführer. Inhaber sind Horst Müller und Guido Cantz. Seit 2016 ist Martin Zylka Literat der Altstädter. Er ist Nachfolger von Hubert Koch, der das Amt 28 Jahre lang bekleidet hat und Vorsitzender des Literatenstammtischs war.
Als Literat kümmert sich Zylka für die Altstädter um die Programmgestaltung, schließt Verträge und Rechnungen. Zu seinen Aufgaben zählen aber auch die Künstlerbetreuung während der Veranstaltungen und der reibungslose Ablauf hinter den Kulissen.
Für ein attraktives Programm zahlen Vereine zwischen 10.000 und 20.000 Euro. Etablierte Bands kosten bis zu 3500 Euro, etablierte Reden zwischen 1500 und 1800 Euro. Firmen zahlen in der Regel mehr.
30 bis 35 Auftritte pro Woche spielen etablierte Bands innerhalb der Session. Je nach Länge der Session kommen Bands damit teilweise auf 170 bis 240 Auftritte.