Bernd Stelter ist seit 36 Jahren im Karneval unterwegs. Eins probiert er zum ersten Mal aus in dieser Session.
Wahlkampf und BrauchtumWarum Bernd Stelter sein Programm immer wieder umschreibt
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Bernd Stelter bei einem Auftritt im Sartory.
Copyright: Thomas Banneyer
Bundestagswahl und Karneval gab es zuletzt 1983 – als Helmut Kohl bei vorgezogenen Neuwahlen Kanzler wurde...
... und ich hatte gerade mein Studium in Bonn angefangen. Ich wusste mit Mühe, wie man Karneval schreibt, hab die Bläck Fööss und das Colonia Duett im Fernsehen gesehen, aber mehr wusste ich nicht.
Jetzt stehen Sie selbst in der Bütt. Wie reagieren Sie drauf?
Es war natürlich fürchterlich. Wann brach die Ampel zusammen? Am 6. November. Wann beginnt Karneval? Am 11. November. Ich hatte meine Texte fertig, aber auch uns leidgeprüften Karnevalisten nimmt ja niemand Rücksicht. Ich musste das halbe Programm wegschmeißen. Dabei hatte ich wunderschöne Zeilen drin: ,Jetzt steh ich hier auf der Bühne, während mein Handy im Auto liegt, gleich guck ich nach, ob’s die Ampel dann noch gibt.' Das musste natürlich weg. Und jetzt bleibt es natürlich kompliziert. Rosenmontag ist nach der Wahl, aber aufzeichnen müssen wir es vorher. Ich habe das selbst zum Thema gemacht.
Und wie?
Ich habe für jeden Wahlsieger meine Strophe fertig. Und am Ende kann der WDR sich dann für die Ausstrahlung das Schönste raussuchen. Ich habe was für Olaf Scholz, Friedrich Merz und Robert Habeck. Kürzlich hat mich jemand angesprochen und gesagt: Sie haben da wen vergessen.
Doch nicht etwa die FDP?
Genau die meinte er. Also habe ich sie noch mit reingeschrieben: ,Wunder gibt es immer wieder.'
Die AfD wird vermutlich sehr stark werden. Ist das noch lustig?
Lustig ist das nicht, aber ich beschäftige mich auch damit. Wenn die AfD gewinnt, wandert man am besten aus. Aber wohin? Österreich? USA. Oder Italien, Frankreich oder die Niederlande. Woanders sieht es auch nicht besser aus. Mir ist es ganz wichtig, dass die Leute wählen gehen. Und ich glaube, dass die Menschen, die im Saal mit anderen feiern, eine bessere Wahl treffen als die, die nur zuhause sitzen und ihr Weltbild aus Facebook, X und Tik tok oder zusammenbauen.
Wir können einstehen für das, was wir denken und damit auch rausgehen, in unserem Fall in den Saal.
Aber vielleicht sind auch einige im Saal dabei.
Ja. Die 20 Prozent AfD-Wähler sitzen nicht nur zuhause auf der Couch, davon sind vielleicht auch einige im Saal, klar.
Kann der Karneval damit etwas verändern?
Er kann Haltung zeigen. Wir machen einen Fehler, wenn wir sagen, wir reden nicht mit denen. Dann heißt es, man darf nicht mit der AfD zusammen abstimmen. Moment! Wenn es um eine Umgehungsstraße um die Stadt geht, ist mir die beste Lösung wichtig, nicht, wer ansonsten noch dafür stimmt.
Bei der Umgehungsstraße ja, aber in Berlin nein?
Man darf nicht mit der AfD koalieren, aber wenn es um Sachfragen geht, muss es auch möglich sein miteinander zu reden. Sonst machen wir sie immer stärker. Wir müssen sagen, was wir wollen und das auch klar machen. Auch der AfD klar machen.
Geht der Karneval nicht zurzeit einfach unter in dieser hitzigen politischen Stimmung?
Wir sollten uns nicht überbewerten. Aber wir können einstehen für das, was wir denken und damit auch rausgehen, in unserem Fall in den Saal. Der Begriff Narrenfreiheit kommt ja nicht von ungefähr.
Merken Sie das in den Sälen?
Nein. Die Säle sind voll, und wenn ich sehe, wie viel halbvolle Kölschgläser von Tischen abgeräumt werden, scheint es nicht so schlimm zu sein. Zum Glück haben wir ja die Möglichkeit, uns in der fünften Jahreszeit zu erleichtern von all der Beschwernis. Gerade daher bin ich in dieser Session sehr politisch, weil es doch auch wichtig ist, ein paar Ventile aufzumachen. Humor hilft immer. Der Narr muss für die Freiheit kämpfen.
Vor sechs Jahren hatten Sie Annegret Kramp-Karrenbauer im Programm. Der Doppelnamen-Witz regte eine Besucherin im Gürzenich derart auf, dass sie auf die Bühne kam. Würden Sie den Witz heute nochmal machen?
Natürlich. Es war ja kein politischer Witz, sondern ein phonetischer. Die damalige CDU-Vorsitzende fand ihn übrigens sehr witzig. Wer sich darüber aufregt, ist selbst schuld. Ich denk wirklich gut nach, worüber ich Witze machen. Ich mache keine Witze über Behinderte oder schmierige Gags über Sex, das mache ich alles nicht. Aber in diesem Fall: Beim Namen Annegret Kramp-Karrenbauer hat selbst der Standesbeamte geschmunzelt. Nur die Besucherin nicht. Ich denke, sie wollte vielleicht mal ins Fernsehen.
Schreiben Sie ihr Programm nach Lage der Dinge um?
Permanent, das mache ich immer, aber dieses Mal ist natürlich ganz viel in Bewegung. Ich muss aufpassen, dass ich am Rosenmontag aufhöre. Die größte Herausforderung ist aber eine andere.
Nämlich?
Ich versuche auf der Bühne zu rappen. Das ist mit 63 nicht so einfach, aber ich bekomme es hin. Es wird jeden Tag besser.
Zur Person
Bernd Stelter ist 63 Jahre alt. Er kommt gebürtig aus Unna und steht seit 36 Jahren auf der Karnevalsbühne. Seinen ersten Auftritt hatte er 1988 bei einem Vorstellabend im „Sartory“. Er ist bekannt geworden mit gesungenen Büttenreden und begleitet sich selbst auf der Akustikgitarre. Vor sechs Jahren kam es zu einem Eklat, als die Besucherin der ARD-Fernsehsitzung seinen Auftritt im Gürzenich unterbrach, weil sie den Humor als frauenfeindlich empfand. Stelter ist auch als Buchautor bekannt, er schreibt Krimis und liebt die niederländische Küste. Er lebt in Bornheim.