Köln – Von jetzt auf gleich war das Gefühl bei Werner Blum verschwunden. All die Erfahrungen, die er in 26 Jahren als Wagenbauer für den Rosenmontagszug gesammelt hatte, waren obsolet. „Ich musste komplett umdenken und Proportionen visualisieren, um ein Gespür für die Größe zu bekommen“, beschreibt der Künstler seinen gedanklichen Schrumpfungsprozess. Denn Größe ist dieses Jahr relativ. Eine Stockpuppe ist sein verlässlicher Helfer. Blum hält den Puppenkörper in seinen Wagen und nickt zufrieden.
Der Künstler hat schon viele Karnevalswagen gebaut. Aber noch keiner war so klein wie ein Ruderboot. Auf dem Tisch liegen Halbkugeln aus Styropor, daneben Schere, Handsäge und Zange. Irgendwann Ende Oktober hatte sich Zugleiter Holger Kirsch bei Blum gemeldet und ihn in seinen Plan eingeweiht, einen Puppen-Zug zu planen. „Ich war sofort begeistert und dachte: Das ist eine einmalige Chance und passt wunderbar zur Stadt“, erzählt der Wagenbauer. Seit dem Telefonat sind etwa drei Monate vergangen. „Jetzt weiß hier jeder, dass es ein Riesenprojekt ist, was in seinem Umfang vorher nicht abzusehen war, zumal immer wieder etwas hinzu kam“, meint Blum.
Der Rosenmontagszug 2021 fällt gleich mehrere Nummern kleiner aus als sonst üblich. Aus sieben Kilometern Zugweg quer durch die Innenstadt werden 32 Meter durch eine Halle des Karnevalsmuseums im Stadtteil Braunsfeld. Die Oberbürgermeisterin, der Zugleiter, der Festkomitee-Präsident – sie alle werden zu Puppen, denn für den Rosenmontagszug kooperiert das Festkomitee mit dem Hänneschen-Theater. „Es ist für unser Theater eine einmalige Chance, über den rheinischen Sprachraum hinaus bekannt zu werden“, freut sich Hännschen-Leiterin Frauke Kemmerling.
177 Stockpuppen sind bereits vom Hänneschen-Theater in die Halle des Festkomitees umgezogen. 105 Puppen mussten für den Rosenmontagszug komplett neu gestaltet werden. „Normalerweise spielen wir live. Solch ein Dreh ist eine völlig andere Arbeit, letztlich ist es eine Fernsehproduktion“, sagt Hänneschen-Intendantin Frauke Kemmerling.
30 Wagen werden im Zug zu sehen sein, darunter 16 Persiflagewagen. Der Zug ist in eine Handlung eingebettet. „Wir mussten erstmals auch ein Drehbuch gestalten“, sagt Zugleiter Holger Kirsch. Vom Himmel aus werden Kult-Schauspieler Willy Millowitsch und Trude Herr auf den Kölner Rosenmontagszug herabschauen.
Der WDR zeigt den Zug Rosenmontag um 14 Uhr.
Ein Mammutprojekt nicht nur für die Wagenbauer, sondern auch für das Theater, denn für Dutzende Puppen mussten neue Uniformen geschneidert werden. Alle neun Traditionskorps des Kölner Karnevals werden im Zug zu sehen sein. Werner Blum hat für alle einen Wagen gebaut. Einen für alle! Und alle auf einem. Die Ornamente mit den Vereinslogos lassen sich abnehmen, ebenso die Brüstung. Neben Blum liegen diverse Holzverkleidungen, alle sauber nach Schablone ausgesägt. „Prinzen-Garde hinten“ ist auf einem Brett zu lesen. So wird aus dem grün-gelben Gefährt der Ehrengarde blitzschnell ein oranger Wagen der Nippeser Bürgerwehr. „Es wird hoffentlich nur kurze Umbauphasen geben. Wir werden es vor allem schnell machen müssen – ein bisschen wie bei der Formel 1“, sagt Blum.
Beim Wagenbau kann sich Blum auf ein eingespieltes Team verlassen. Schreiner Guido Bierek hat den Wagen-Rohling in vier Tagen gesägt und verschraubt. Und seine Frau Halina Labusga kümmert sich um die Feinheiten und pinselt goldene Farbe auf ein dickes Seil, das den Wagen der Roten Funken verschönern soll.
Auf einem Rollwagen stapeln sich Kartons, aus denen Werner Blum massenhaft Kunstblumen herauspflückt. Kornblumen für die Blauen Funken, Rosen für die Roten. „Das wird volle Kanne kitschig“, frohlockt er.
Das Maß aller Dinge beim Puppen-Zug ist 1,81 Meter. Diese Höhe haben die auf einen Stock montierten Puppen. Alle Wagen des Zugs werden auf ein fahrbares Gestell dieser Höhe gesetzt und den Zugweg entlanggezogen. Die Puppenspieler befinden sich im Gestell unterhalb der Wagen und stecken ihre Puppen durch ein Loch im Wagenboden in die kleinen Karnevalsgefährte hinein.
Sechs Tage die Woche, elf Stunden am Tag. So sieht der Arbeitstag von Blum seit Wochen aus. „Es ist immer mehr Arbeit als man vorher denkt“, hat er festgestellt. Neben dem wandelbaren Wagen der Traditionskorps hat er mit seinem Team einen Inklusionswagen gebaut (wir berichteten). Eigentlich sollte er dieses barrierefreie Gefährt für den richtigen Rosenmontagszug bauen – der Wagen ist ein Geschenk des letztjährigen Dreigestirns, um bis zu 20 Menschen mit Behinderung die Teilnahme am Rosenmontagszug zu ermöglichen. Und dann hat Blum noch zwei Persiflagewagen, den Zugleiterwagen und den Wagen für das Dreigestirn entworfen und gebaut. Weil alles drei Nummern kleiner wird, sind die Figuren aus Styroporblöcken gesägt worden und bestehen nicht aus Drahtgeflecht.
Normalerweise sitzen Werner Blum und Halina Labusga Rosenmontag auf einer Tribüne am Heumarkt und lassen den Zug an sich vorüberziehen. Dieses Mal dürfen sie bei den Dreharbeiten dabei sein, schließlich müssen sie ihren Wagen für jedes Korps umbauen. „Rosenmontag werden wir den Film schauen und vielleicht einen Sekt aufmachen“, vermutet Werner Blum. Denn er weiß: auch ein kleiner Zug verursacht großen Stress.