Köln – Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 sorgt bei Joachim Groth auch 16 Jahre danach noch für Ärger. Deutschland hatte damals die Welt zu Gast, die Sonne schien, die deutsche Nationalelf landete auf Rang drei – doch Groth, Vorsitzender der Bürgergemeinschaft Altstadt, erinnert sich an Schlägereien, Vandalismus, Hooligans, Müll, Wildpinkler und nächtliche Polizeieinsätzen in der Altstadt. In einem Brief an Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) schreibt der Vorstand der Gemeinschaft: „Die WM 2006 ist als sogenanntes Sommermärchen in Erinnerung geblieben. Die Realität sah in der Altstadt Kölns jedoch anders aus.“
Der 39-seitige Brief ist eine Reaktion auf den Rundschau-Bericht vom 14. April, darin kündigte der städtische EM-Beauftragte Hans Stommel ein Fußball-Dorf inklusive Public Viewing am Alter Markt und Heumarkt an. Groth und die 200 Mitglieder der Bürgergemeinschaft haben den Bericht mit „großer Irritation“ gelesen. „Die Planungen eines mehrwöchigen Football-Village Altstadt mit insbesondere einem Public Viewing samt weiteren Events ist ein in jeglicher Hinsicht anachronistisches Planungsvorhaben.“
Stadtmarketing sieht Fußball-Dorf kritisch
Ähnlich äußert sich das Stadtmarketing, der Verein hat 155 Mitglieder, darunter Rewe, Ikea, den Kölner Zoo und auch die Stadt Köln. Der Vorstandsvorsitzende Helmut Schmidt sagt: „Wir als Stadtmarketing sehen ein Football-Village am Alter Markt und Heumarkt kritisch. Es handelt sich um den historisch bedeutsamsten Teil Kölns mit der Via Culturalis und Dom. Wir wollen dafür ein entsprechend hochwertiges Umfeld schaffen. Eine solche Veranstaltung wäre dafür kontraproduktiv.“
Schon zwei Jahre vor der EM steht das Fußball-Dorf also in der Kritik. Wie viel ist Anwohnern zuzumuten? Zusätzlich zu Karneval, Weihnachtsmarkt, den vielen Baustellen? Oder gilt für die Anwohner, was viele auch den Anwohnern am lärmgeplagten Brüsseler Platz entgegen: Selbst schuld, zieht doch einfach weg?
Muss das Public Viewing gerade in der Altstadt sein?
Die Stadtverwaltung verteidigt sich, die Bewerbung beim europäischen Fußball-Verband Uefa ist an Bedingungen geknüpft, unter anderem Flächen, auf denen sich Fans treffen können, „wobei diese nicht ausschließlich für Public Viewing zur Verfügung stehen soll, sondern eben auch andere Elemente wie beispielsweise ein Football-Village oder eine Fanzone enthalten soll. Beide Bereiche sind von der Lautstärke her nicht mit einem Public Viewing zu vergleichen und haben eher einen familiären Charakter.“
Die Stadt lässt aber die Frage unbeantwortet, ob es denkbar ist, auf ein Public Viewing in der Altstadt zu verzichten. Schmidt sagt: „Muss ein Public Viewing wirklich im kulturell wichtigsten Teil Kölns sein? Aus unserer Sicht nein. Denn es zieht ein feierfreudiges Publikum an und schafft keinen nachhaltigen Wert für Hotels und Handel.“ Auch Groth lehnt das Public Viewing in der Altstadt ab.
Regel für Plätze
Aber wäre eine EM ohne Public Viewing im Zentrum wirklich realistisch? Haupttreffpunkt für die Fans soll laut Stadt ohnehin der Tanzbrunnen sein. Sie teilt mit: „Da im Vergleich zu 2006 auch andere Bereiche – unter anderem im Rechtsrheinischen – bespielt werden sollen, wird dem Anwohnerschutz soweit wie möglich bereits Rechnung getragen und die Nutzung in der Altstadt – unter Beachtung der Realität (Vielzahl von Gastronomie in der Altstadt) – auf ein Minimum reduziert.“
Seit Jahren regelt ein Katalog für Innenstadtplätze, wie oft Veranstaltungen stattfinden dürfen. Dort steht zum Alter Markt und Heumarkt: „Veranstaltungsende grundsätzlich 22 Uhr.“ Bei der vergangenen EM aber begannen die Abendspiele erst um 21 Uhr, enden also erst kurz vor 23 Uhr. Das Regelwerk gilt noch bis 2023, über den Heumarkt und mögliche Sport-Events heißt es: „Veranstaltungen von besonderer kommunaler Bedeutung der Stadt Köln, insbesondere die Opening-Begleitveranstaltungen zu besonderen sportlichen Weltereignissein in Köln.“ Laut Stadt handelt es sich dabei „nicht um ein Public Viewing, sondern eine eintägige Veranstaltung“.
Die Verwaltung betont, die 137 000 Einwohner der Innenstadt haben Anspruch „auf ein lebenswertes Umfeld und verdienen den Schutz vor übermäßigen Belastungen“. Sind das nur hohle Worte, wenn das Event nur groß genug ist? Wenn die Stadt auf ein gutes Image hofft? Was ist mehr wert: Ein Fußball-Dorf samt Fan-Party und möglicher Auswüchse oder eine Altstadt, in der die Anwohner mehr Schutz erfahren?
Die Verwaltung schreibt im Konzept auch: „Ein Ausufern von beantragten Sondernutzungen soll so verhindert werden.“ Schmidt vom Stadtmarketing sagt: „Es gibt ein Regelwerk für die Anzahl an Veranstaltungen auf den Innenstadt-Plätzen, dann muss die Stadt sich auch bei Großveranstaltungen daran halten.“