Köln – Michael Nowottny ist Überraschungen gewöhnt. Seit zwölf Jahren arbeitet der Künstler mit seinem „Labor“ im steinernen Untergrund des Ebertplatzes, in der Passage, die viele Passanten meiden, die sich aber in der Kunstszene Anerkennung verdient hat. Am Montag erhielt Nowottny völlig überraschend von der Stadt die Kündigung zum 30. Juni 2018. Ein Mitarbeiter des Liegenschaftsamtes überreichte ihm das Papier. Dazu gab es die Erklärung, „zur Herstellung der öffentlichen Ordnung“ soll die Passage schon früher dicht gemacht werden. „Es war eine Nacht- und Nebelaktion“, sagt der Künstler.
Vier Initiativen nutzen die Räume
Nowottny war ebenso konsterniert wie andere Künstler am Platz. Vier Initiativen nutzen die Räume im Durchgang, es gibt zwei afrikanische Bars und einen Copy-Shop. Alle erhielten die Kündigung. Die offizielle Erklärung der Stadt: Um den Ebertplatz als Kriminalitätsbrennpunkt zu entschärfen, sei es notwendig, die Passage zu schließen. Die baulichen Maßnahmen sollten, so eine Stadtsprecherin, „in den nächsten Wochen“ beginnen. Festgezurrt wurde der Beschluss laut Stadt bei einem Krisengespräch mit Stadtdirektor Stephan Keller und Polizeichef Uwe Jacob.
Nicht im Bilde war offenbar Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Die Rundschau traf sie, als sie am Dienstag spontan mit Künstlern am Ebertplatz zusammenkam. Reker war gerade von einem Auslandaufenthalt aus Japan zurückgekehrt und zeigte sich überrascht, über die Maßnahmen sei sie nicht informiert gewesen. Das verwunderte wiederum die Künstler vor Ort, die längst dabei waren, den Widerstand gegen den Rausschmiss zu organisieren. Nach dem Treffen drückte Reker die Stopp-Taste. Die „Notwendigkeit der Kündigung“ werde noch einmal überprüft. „Die betroffenen Kunst- und Kulturschaffenden sowie die zuständigen politischen Gremien sollen nun in den weiteren Prozess einbezogen werden. Reker sagte laut Mitteilung: „Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, mit höherer Polizeipräsenz und einer besseren Ausleuchtung auf dem Platz schnell wirksame Maßnahmen zu treffen. Dies können aber nur erste Schritte gewesen sein. Es werden weitere Maßnahmen geprüft.“ Nicht nur Bezirksbürgermeister Andreas Hupke fragt sich nun, warum eine derart gravierende Maßnahme ohne Wissen der OB umgesetzt wird. Die Kündigung sei ein „Schlag in die Magengrube“. Der Stadtdirektor müsse sich erklären.
Vor zwei Wochen war ein junger Mann auf dem Ebertplatz erstochen worden. Die Tat markierte den traurigen Höhepunkt einer zunehmenden Kriminalitätsproblematik. Die Drogenszene hatte sich immer ungenierter auf der Fläche zwischen Eigelstein und Neusser Straße breit gemacht.
Vergangene Wochen gab es ein Krisengespräch zwischen Stadtdirektor Keller und Polizeichef Jacob. Zu den beschlossenen Sicherheitsmaßnahmen zählten hellere Leuchtmittel, zudem ein Rückschnitt des Grünbewuchses, damit Dealer nicht ihre Waren im Gebüsch verstecken können. Ebenso vereinbart wurde eine Videoüberwachung. In der damaligen Pressemitteilung heißt es am Ende auch: „Die Stadt Köln wird prüfen, ob bereits jetzt die im westlichen Teil gelegene unterirdische Verbindung geschlossen werden kann.“ Diese Mitteilung kannte Reker, aber waren ihr auch die Konsequenzen bewusst?
Im Gespräch zwischen Keller und Jacob, so verlautet aus dem Rathaus, war man sich einig, dass alle Maßnahmen wenig Sinn machen, wenn nicht die dunklen Rückzugsräume verschwinden. Daher die Kündigungen für die Künstler, daher der Entschluss, sofort die Zugänge dicht zu machen. Ob mit einem Bauzaun oder wie sonst, war noch nicht geklärt. „Wir können nicht mehr warten“, teilte die Stadt noch am Dienstag zur Begründung ganz offiziell mit. Die dunkle Jahreszeit beginne nun, und daher müsse man sehr schnell handeln. Oberirdisch wolle man ebenfalls kurzfristig für eine Belebung sorgen, möglicherweise durch einen Weihnachtsmarkt. Der Stadt sei bewusst, dass dies ein harte Entscheidung für die Künstler und andere Mieter sei.
Das war alles bevor sich die OB einschaltete, doch die Künstler waren da längst auf dem Baum. Das Kulturforum Köln erklärte, die Kündigung sei ein „unfassbarer Vorgang“. Schließlich leisteten die Kunsträume einen wichtigen Beitrag zur Wiederbelebung des Platzes. Die Initiative „Gold + Beton“ kündigte an, „sich gegen diesen Quatsch“ wehren zu wollen. Dass die Stadt die Künstler „rausschmeiße“, sei ein Eingeständnis der eigenen Kapitulation. „Ohne Dialog“ entscheide sich Oberbürgermeisterin gegen „die größte Off-Kulturfläche der Stadt“. Gestern Abend trafen sich die Galeristen am Ebertplatz. Man will nun gemeinsam klar machen, warum gerade die Kunsträume ein positiv regulierender Faktor am Platz sind.
Die Fraktionschef der Parteien äußern sich:
Bernd Petelkau (CDU): „Das Vorgehen ist nicht akzeptabel. Es geht nicht darum, die Künstler aus der Passage zu vertreiben, sondern den Platz sicher und lebenswert zu machen. Dafür brauchen wir eine Einbeziehung der Künstler – und der Politik.“
Kirsten Jahn (Grüne): „Zumauern ist keine Lösung, wir brauchen intelligentere Ansätze. Die Schließung der Kulturräume zählt ganz sicher nicht dazu. Daher ist es gut, die Kündigung vorerst zu stoppen. Im Gegenteil: Wir sollten mit den Künstlern überlegen, wie wir den Platz beleben können.“
Ralph Sterck (FDP): „Die Passage zuzumauern, wäre eine Bankrotterklärung. Auch die Kündigungen waren vorschnell, da muss uns Besseres einfallen. Mehr Präsenz der Ordnungskräfte und eine bessere Ausleuchtung des Platzes sind die richtigen Wege.“
Martin Börschel (SPD): „Da weiß bei der Stadt eine Hand nicht, was die andere tut: Der Stadtdirektor entscheidet, den Künstlern zu kündigen; die Oberbürgermeisterin will nicht eingebunden gewesen sein und dies noch mal überprüfen. Das ist die richtige Entscheidung der OB – ein solches hin und her kostet aber Vertrauen und erweckt den Eindruck völliger Planlosigkeit.“