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Das Böse im BlickSo arbeitet ein „Super-Recognizer“ bei der Kölner Polizei

Lesezeit 4 Minuten
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Straftäter im Visier: Kommissar Jonas Müller (Name geändert) kann sich besonders gut Gesichter merken. 

Köln – Gut sechs Stunden dauert die akribische Videoanalyse. Die Mordermittler der Polizei spulen vor und sehen immer wieder am Bildschirm, wie 30 Angreifer einen Mann (37) in der Bamberger Straße in Höhenberg aus einem Smart zerren, mit Messern auf ihn einstechen, ihn schlagen, die Frontscheibe des Autos zertrümmern und schließlich in mehreren Fahrzeugen flüchten. Mit am Tisch sitzt Kriminalkommissar Jonas Müller (39/Name geändert), der eigentlich in der Innenstadtwache Taschendiebe jagt. Doch Müller hat besondere Fähigkeiten. Er ist einer von etwa 40 sogenannten Super-Recognizern bei der Kölner Polizei.

Jonas Müller: „Bei mir klickt es einfach“

„Schon beim ersten Durchlauf habe ich sofort mehrere Verdächtige identifiziert, die ich schon mal wegen anderer Delikte festgenommen hatte“, berichtet Müller. Teilweise ist das lange her, und trotzdem erkennt der Fahnder Menschen wieder, selbst wenn sie jetzt plötzlich Mütze oder Dreitagebart tragen. „Bei mir klickt es einfach. Ich bin kein Computer, der ein Bild vermisst . Aber ich kann sagen: Den kenne ich“, erzählt Jonas Müller. Die Polizei konnte insgesamt 18 Verdächtige identifizieren, nach ihnen wird per Haftbefehl wegen gemeinschaftlich begangenen Totschlags gefahndet. Das Opfer war 18 Tage nach dem brutalen Angriff in der Klinik gestorben.

Inzwischen gibt es 106 Überwachungskameras in Köln

Bilder aus Überwachungskameras auf Straßen und Plätzen, in Geschäften, Straßenbahnen oder an Geldautomaten spielen eine zunehmende Bedeutung bei Ermittlungen der Polizei. Insgesamt gibt es an den Kriminalitätsschwerpunkten wie Bahnhofsvorplatz, Ringe, Ebertplatz, Wiener Platz und Kalker Hauptstraße 106 Kameras für die Videobeobachtung. Jüngst waren 26 neue Kameras in Kalk in Betrieb genommen worden.

Der Blick auf die Festnahmeliste der vergangenen Tage ist ein festes Ritual im Berufsalltag von Jonas Müller. Zweimal pro Woche stellt eine Kollegin zudem Bilder oder Videoausschnitte von Tatverdächtigen zusammen. Auch sie half, die Tatverdächtigen aus Höhenberg zu identifizieren. Hinzu kommen monatliche Reports von Fahndern aus Spanien, Frankreich und der Schweiz. Müller studiert sämtliche Aufnahmen. „Ich präge mir Körperhaltung und Schrittstellung ein“, erzählt er. Er schaut sich auch die Ohren von Verdächtigen genau an. „Die sind ähnlich einmalig wie ein Fingerabdruck. Wenn Täterinnen und Täter Maske tragen, sind sie oft ein wesentliches Identifizierungsmerkmal“, erklärt er seine Technik.

Nur sehr wenige Menschen haben dieses Talent

Zwei Jahre ist es her, dass die Mitarbeitenden der Kölner Polizei online an einem Gesichts-Erkennungstest der Universität Kiel teilgenommen haben, wo sich Dr. Lara Petersen auf dieses Forschungsfeld spezialisiert hat. Nur ein bis zwei Prozent der Bevölkerung verfügen über die Fähigkeiten, sich Gesichter besonders gut einprägen zu können. „Bei dem Test waren Fotos sieben Sekunden lang zu sehen, dann musste die Person aus mehreren Fotos wiedererkannt werden. Zum Teil waren die Gesichter nur von der Seite zu sehen oder in Schwarz-Weiß-Aufnahmen“, erzählt Müller. Nach 40 Minuten war die Prozedur überstanden, dann durfte sich Müller seiner besonderen Fähigkeiten sicher sein.

Im Kriminalkommissariat 73, wo der Taschendiebstahl bekämpft wird, konnten allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres mehr als 200 Tatverdächtige auf Bildern und Videos identifiziert werden. „Das funktioniert nur durch eine gute Teamleistung zwischen Auswertung, Analyse und Wiedererkennung“, sagt Müller. Am Bildschirm markiert er für die Staatsanwaltschaft markante Erkennungsmerkmale von Verdächtigen mit roten Pfeilen, mal ist es der Haaransatz, mal ein Muttermal oder das Ohrläppchen. In einem Vermerk stellt er fest, ob es sich bei einer Person „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ oder mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ um Täterin oder Täter handelt.

Die meiste Arbeit findet auf der Straße statt

Die Video- und Bildanalyse bezeichnet Jonas Müller als „Beiwerk“, noch immer mache die Tätersuche auf der Straße etwa 90 Prozent seiner Arbeit aus. Scotland Yard in England hat bereits eine eigene Einheit mit Super-Recognizern gebildet – dort wird die Videoüberwachung auch deutlich stärker eingesetzt als in Deutschland. „Eine Projektgruppe der Polizei Köln hat rund 40 Super-Recognizer in unseren Reihen ausfindig gemacht. Sie arbeiten grundsätzlich in verschiedenen Dienststellen und werden bei Bedarf angefordert“, sagt ein Polizeisprecher. Die Bundespolizei in Köln verfügt seit Kurzem über zwei „Experten für Lichtbilderkennung“, wie es offiziell heißt, drei Monate dauert dort die Ausbildung. Bei der Landespolizei gibt es keine spezielle Schulung für Super-Recognizer.

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Als sich in der berüchtigten Silvesternacht 2015 mehr als 1000 Straftaten im Hauptbahnhof und auf dem Bahnhofsvorplatz ereignet hatten, waren eigens Experten aus London angereist, um die Kölner Ermittlerinnen und Ermittler zu unterstützen. Sieben Jahre ist das her, und die Technik ist seitdem deutlich fortgeschritten. „Die Qualität der Bilder wird stetig besser. Gefühlt haben wir so viele Identifizierungen von Tatverdächtigen wie noch nie“, stellt Müller fest.

Die Tatverdächtigen erfahren anschließend per Post, dass die identifiziert worden sind. Sie dürfen sich dann zu den Vorwürfen äußern. Doch Bilder lügen nicht.