Das Hänneschen feiert jeckes Jubiläum. Anlässlich seines 222-jährigen Bestehens blicken wir auf die Anfänge und Historie der Kölner Puppenspiele, die am 24./25. August ein großes Theaterfest feiern.
222 Jahre TraditionWie das Hänneschen zu einer Kölner Institution wurde
Die Geschichte von Knollendorf beginnt ausgerechnet im selben Jahr, in dem es einem gewissen Franz Carl Achard in Schlesien erstmals gelingt, in einem industriellen Prozess aus Zuckerrüben Zucker herzustellen. 1802 ruft der aus Bonn stammende Schneider Johann Christoph Winters (1772-1862) in Köln das Hänneschen-Theater ins Leben und begründet damit eine bis heute einzigartige Tradition.
Als wandernder Geselle hat Winters in Antwerpen das flämische Puppenspiel kennengelernt. Nach seiner Rückkehr in das von den Franzosen besetzte Köln schlägt er sich als Tagelöhner durch. Gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth fasst er den Plan, zum Broterwerb ein eigenes Puppentheater aufzubauen, und stellt eine entsprechende Bitte an den Kölner Bürgermeister. Es ist der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die bereits seit 222 Jahren andauert.
Am Anfang hat das Hänneschen wenig gemein mit dem heutigen Theaterbetrieb mit fester Spielstätte am Eisenmarkt. Puppenspieler sind damals eine fahrende Zunft, die langsam beginnt, sesshaft zu werden. In Köln ist Winters nicht der Einzige, der versucht, sich und seine Familie mit dem Puppenspiel über Wasser zu halten. Von seinem Urenkel Heinrich Königsfeld ist die Anekdote überliefert, dass Winters nach Metz reist, um seinen Schwiegervater um Startkapital für sein Puppentheater zu bitten. Bei seiner Rückkehr muss er feststellen, dass der Buchdruckergeselle Nicolaus Hofmann bereits eine Puppenbühne im Heumarktviertel eröffnet hat. Die beiden geraten aneinander, und Winters stellt in wenigen Tagen ebenfalls ein Puppentheater auf die Beine.
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Der Legende nach soll Hofmann seine Puppenköpfe aus Brotteig geformt haben, was dazu führte, dass sie von Ratten aufgefressen wurden. So habe er eine Weile nicht spielen können, und seine Puppenspieler seien zu Winters übergelaufen, dessen Theater fortan Erfolge feierte. Ob das der Wahrheit entspricht, ist nicht bekannt. Fakt ist, dass Winters es schafft, sein Puppentheater dauerhaft in Köln zu etablieren trotz mehrerer Konkurrenten, die parallel eigene Hänneschen-Theater betreiben.
Zehn verschiedene Spielstätten in 60 Jahren
Die Spielstätten wechseln häufig. In den 60 Jahren bis zu seinem Tod spielt Winters' Ensemble, zu dem seine Frau, seine Tochter und sein Schwiegersohn gehören, an zehn verschiedenen Orten meist in umgebauten Pferdeställen oder Lagerräumen. Das Familienunternehmen residiert unter anderem in der Lintgasse, in der Blindgasse am Augustinerplatz, 1834 als „Altes conzessioniertes Puppen-Theater“ in der Wahlgasse an Klein St. Martin und 1852 in der Maximinenstraße im Eigelsteinviertel.
Als Winters 1862 stirbt, entbrennt ein Streit um seine Nachfolge. Letztlich führt Peter Klotz, Ehemann von Maria Magdalena Königsfeld, einer Enkelin Winters', das Hänneschen in der Glockengasse weiter. Nach seinem Tod 1863 lenkt die Witwe Klotz 30 Jahre lang die Geschicke des Theaters. Ihre Nachfahren können den Betrieb weitere 26 Jahre aufrechterhalten, doch mit dem Tod des letzten Familienmitglieds 1919 wird das Theater geschlossen. Zum Glück nicht für immer.
Puppenspiele seit 1926 in städtischer Hand
Schon vor dem Ersten Weltkrieg gibt es Pläne, die kölsche Tradition des Hänneschen durch eine Übernahme der Bühne in städtische Hand zu bewahren. Angeregt von Oberbürgermeister Konrad Adenauer und Theaterwissenschaftler Carl Niessen, wird 1925 eine „Kommission zur Wiederbelebung“ eingesetzt. Am 9. September 1926 beschließt die Stadtverordnetenversammlung unter Tagesordnungspunkt 5 die „Herrichtung eines Raumes und Einbau einer Bühne für die Kölnischen Puppenspiele im Rubenshaus, Sternengasse, sowie Bewilligung eines Betriebskostenzuschusses“. Einen Monat später ist es soweit, am 9. Oktober wird das neue Theater als „Puppenspiele der Stadt Köln“ eröffnet.
In dem Haus, in dem der Maler Peter Paul Rubens seine Kindheit verbrachte und Beethoven sein erstes Konzert gab, feiert das Hänneschen große Erfolge und spielt sich in die Herzen der Kölner. Trotzdem zieht das Theater am 29. Juli 1938 schon wieder um – in einen Neubau mit allen Schikanen am Eisenmarkt. Die Nazis wollen damit der Sanierung des Martinsviertels das I-Tüpfelchen aufsetzen.
Drei Jahre zuvor muss die Puppenspielerin Fanny Meyer, ein echt kölsches Mädche, das meist die Mariezebell spielt, das Ensemble verlassen, weil sie Jüdin ist. Das hat die Leitung des Hänneschen bereits 1933 den Behörden gemeldet. Meyer wird 1942 deportiert und vermutlich in Auschwitz ermordet.
Am Eisenmarkt stellt man den Spielbetrieb im Juni 1940 kriegsbedingt ein. Kurz vor Kriegsende zerstört eine Fliegerbombe das Theatergebäude und den gesamten Fundus mit Ausnahme des Textarchivs. Doch schon am 15. August 1948 heißt es im Hörsaal I der Universität wieder: „He wed Hännesche gespillt!“ Später gastieren die Stockpuppen unter anderem im Bruno-Saal in Klettenberg und in den Osthallen der Messe. Nachdem der Stadtrat an Aschermittwoch 1950 den Wiederaufbau des Theaters am Eisenmarkt beschlossen hat, wird das Hänneschen am 1. August 1951 an altbekannter Stätte wiedereröffnet. Dort ist es bis heute zu Hause.
Für Intendantin Mareike Marx ist die 222-jährige Geschichte des Hänneschen ein ganz besonderer Ansporn. „Dass die Knollendorfer Familie schon so lange besteht, erfüllt mich mit Ehrfurcht. Zugleich finde ich es unglaublich tröstend, dass diese Tradition schon so lange besteht und ihr Zauber schon so viele schwere Zeiten überdauert hat.“
Sie wolle dazu beitragen, dass die Geschichte des Hänneschen noch sehr lange fortgeführt werden kann, betont Marx. Gerade in Zeiten von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz werde das Analoge, wie es im Live-Puppenspiel auf der Bühne zelebriert wird, immer wichtiger, ist die Intendantin überzeugt. „Die Menschen brauchen Nähe und Authentizität.“
Sorgen, dass in Zukunft weniger Besucher kommen könnten, weil heute kaum noch jemand Kölsch spricht, hat sie nicht. „Unsere Besucherzahlen sind sehr gut, meist sind wir ausverkauft. Wir haben ein tolles und treues Publikum.“
Damit das auch in Zukunft so bleibe, müsse das Hänneschen nicht nur seine Tradition bewahren und ein Stück Heimat bieten. „Wir müssen auch zusehen, dass wir relevant bleiben, dass wir als Theater weiterhin die Menschen ansprechen und erreichen mit unseren Themen.“ Das bedeute stets Veränderung, aber die müsse behutsam ausfallen.
Rolle des Theaters in der NS-Zeit soll aufgearbeitet werden
Zur Rolle des Theaters in der NS-Zeit, als im Hänneschen auch Stücke mit rassistischen und antisemitischen Inhalten gespielt wurden, sagt Marx: „Dieses dunkle Kapitel muss aufgearbeitet werden. Wir möchten offen damit umgehen.“
Mit dem Schicksal von Fanny Meyer hat sie sich bereits beschäftigt: „Im November wird der Künstler Gunter Demnig vor dem ehemaligen Wohnhaus von Fanny Meyer einen Stolperstein verlegen. Wir werden zu Ehren von Fanny Meyer an der Markmannsgasse eine Gedenktafel anbringen und ein Schaufenster gestalten. Darin wird auch die Hänneschen-Puppe von Fanny Meyer zu sehen sein, die bereits vor einigen Jahren entstanden und auch schon auf der Hänneschen-Bühne aufgetreten ist.“
Theaterfest am 24./25. August
222 Jahre Hänneschen – das wird am Samstag und Sonntag, 24. und 25. August, mit einem großen historischen Theaterfest für die ganze Familie gefeiert. Das Programm auf dem Eisenmarkt und im Hänneschen-Theater läuft jeweils von 12 bis 18 Uhr, der Eintritt ist frei.
Zur vollen Stunde gibt es im Theatersaal kostenlose kurze Vorstellungen unter dem Motto „Britz erav“. Dabei bekommen Besucher dieselbe Szene zunächst „normal“ gezeigt und danach mit heruntergelassener Britz, so dass man ganz neue Einblicke in die Arbeit der Stockpuppenspieler erhält.
In der Werkstatt ist um 12.30, 13.30, 15.30 und 16.30 Uhr eine Ausstellung mit Objekten zur Mediengeschichte aus drei Jahrhunderten zu sehen, wie Laterna Magica oder Schattenspiele. Hier werden Sehgewohnheiten der Menschen in früherer Zeit betrachtet. Einlassmarken (begrenztes Kontingent) gibt es an der Kasse.
Im Foyer wird eine Ausstellung mit Fotos aus dem Hänneschen von 1920 bis heute gezeigt. Auf dem Nostalgie-Karussell geht es rund, und für kleine und große Spürnasen findet rings um den Eisenmarkt eine Schnitzeljagd statt. Weitere Höhepunkte sind Auftritte von Kölsch-Barde Björn Heuser und der Tanzgruppe „Kölsch Hännes'che 1955“. (fu)