AboAbonnieren

Nach der FlutExperten zeigen Optionen für naturnahen Hochwasserschutz im Kreis Euskirchen

Lesezeit 5 Minuten
Eine Gruppe Menschen steht bei Hellenthal in einem verschneiten Wald oberhalb eines Baches, der aus einem Betonrohr tritt.

Über Möglichkeiten naturnahen Hochwasserschutzes informierten sich die Teilnehmer der Exkursion im Tal des Dommersbachs.

Wie können die Hochwasser-Schäden künftig verringert werden? Experten machten Vorschläge – und übten Kritik an Maßnahmen an der Ahr.

Fast zweieinhalb Jahre ist es her, seit die Flutnacht im Einzugsbereich von Erft, Urft und Olef eine neue Zeitrechnung im Kreis Euskirchen einläutete. Seitdem ist für viele das Leben ein anderes. Präsent ist seitdem die Frage, wie eine Wiederholung der Flut verhindert oder zumindest ihre Folgen vermindert werden können.

Abseits der technischen Bauwerke, die in Planung sind oder in Einzelfällen als vorgezogene Maßnahme bereits realisiert werden, gibt es Möglichkeiten, mit naturnahen Eingriffen den Hochwasserschutz zu verbessern. Auf der internationalen Konferenz „Nasse Natur – Trockene Füße“ wurde über die aktuellen Entwicklungen auf diesem Gebiet informiert. Als Mitveranstalter waren der Nabu-Kreisverband Euskirchen, Natagora BNVS, Ark Rewilding aus den Niederlanden und das Life-Projekt Helle Eifeltäler mit dabei.

Organisator Aldert van Weeren erlebte die Flut in Blumenthal

Organisiert wurde die Veranstaltung von Aldert van Weeren. Der Landschaftsarchitekt hat die Katastrophe in seinem 300 Jahre alten Haus in Blumenthal miterlebt. „Das Wasser stand 1,98 Meter hoch“, sagt er. Mittlerweile hat er es verkauft. Doch die Aufgabe, Menschen davor zu schützen, noch einmal ihr Hab und Gut durch eine Flutkatastrophe zu verlieren, lässt ihn nicht los. Sein Credo: „Wenn das Wasser im Tal ist, ist es zu spät. Wir müssen es vorher aufhalten.“

Wenn das Wasser im Tal ist, ist es zu spät. Wir müssen es vorher aufhalten.
Aldert van Weeren

Optionen zeigte er auf einer Exkursion von Ingersberg in das Tal des Schmalebachs. Dieser war einer der vielen kleinen Zuflüsse, die im Reifferscheider Bach münden und ihren Anteil an der Flut hatten. Auf viele Besonderheiten in der Landschaft wies van Weeren hin. So sind Feuchtgebiete auf Wiesen, die einst Wasser speicherten, durch den Auftrag von Mutterboden verschwunden. Und von den Hängen kommende Zuflüsse des Baches sind in Gräben kanalisiert. Auch der Schmalebach führt in gerader Linie in Richtung Blumenthal. In früheren Zeiten sei der Weg des Wassers zweimal länger gewesen, so van Weeren.

Wie querliegende Baumstämme Wasser aufhalten können

Insgesamt könnte etwa ein Drittel des Wassers, das am Ende in der Olef landet, aufgehalten werden. Doch statt die Strukturen, die der Bach in der Flut erhalten hat, zu belassen, sei alles weggebaggert und der Dommersbach für schnellen Ablauf wieder in eine schmale Rinne gepresst worden. Van Weeren demonstrierte, wie mit kleinen Eingriffen Wasser aufgehalten werden könnte: Wasserdurchlässige Dämme können durch querliegende Baumstämme gebildet werden. Im Normalfall fließe das Wasser darunter durch.

Die Flut schafft in zwölf Stunden, was teure Projekte im Nachhinein nicht in zwölf Jahren schaffen.
Prof. Dr. Wolfgang Büchs

Wenn der Pegel steige, werde es aufgehalten. Da Geschwindigkeit und Druck des Wassers oben am Berg noch gering seien, könnten die Baumstämme nicht weggeschwemmt werden. Ein Problem stellen laut van Weeren die Reifenspuren der Harvester in der Falllinie des Hanges dar. Bei Starkregen könnten diese Rinnen zu reißenden Bächen werden, in denen das Wasser schnell herabfließe. Auch sei es in einem engen Tal unkompliziert möglich, mit einem Querriegel, etwa einer Brücke, eine Rückhaltung zu konstruieren.

Mit dabei war auch Yves Pieper, Forstamtsleiter aus Verviers. Der Osten Belgiens war ebenfalls stark von der Flut betroffen. 39 Menschen starben an Maas und Weser, tausende Haushalte waren betroffen. „Es finden bei uns viele Renaturierungen statt“, sagte Pieper: Man öffne zum Beispiel enge, fichtenbestandene Täler, um dem Wasser mehr Raum zu geben.

Experte kritisiert Maßnahmen nach der Flut an der Ahr

Nach dem praktischen Teil wurden die Erkenntnisse mit Vorträgen im Panoramasaal in Vogelsang theoretisch unterfüttert. Den Auftakt machte Prof. Dr. Wolfgang Büchs von der Universität in Hildesheim. Er kennt die Ahr seit Jahrzehnten, hat vor und nach der Flut Bücher über den Fluss veröffentlicht.

Baumaschinen stehen an der Ahrtalschleife bei Altenahr am Flussufer.

Das Abbaggern der durch die Flut entstandenen Kiesbänke an der Ahr kritisiert Biologe Prof. Dr. Wolfgang Büchs.

Der Biologe zeigte in einer Reihe von Beispielen, wie die Flut an der Ahr naturnahe Strukturen geschaffen habe, die beim nächsten Starkregen dazu beitragen können, Wasser zurückzuhalten: „Die Flut schafft in zwölf Stunden, was teure Projekte im Nachhinein nicht in zwölf Jahren schaffen.“ Doch ohne naturschutzfachliche Begleitung seien fast alle Bereiche, an denen die Ahr und ihre Zuflüsse sich Raum geschaffen hätten, wieder zurückgebaut worden.

So habe sich die Ahr an vielen Stellen, etwa bei Mayschoß, größere Auskolkungen geschaffen. Die seien schnell wieder verfüllt und mit durch Basaltkugeln verstärkte Standard-Böschungen aufgebaut worden: „Wenn hier erneut ein Hochwasser mit in der Spitze von bis zu 1200 Kubikmetern pro Sekunde – ein Kubikmeter entspricht einer Tonne – durch das Tal rauscht, sind das die Kanonenkugeln der nächsten Flut.“

Auch der Erftverband bezieht die Natur in die Planungen ein

Schmerzhaftes Aufstöhnen war aus dem Publikum zu hören, als Büchs Bilder aus dem Naturschutzgebiet Ahrschleife zeigte. Hier hatte die Flut große Bereiche mit Flussschotter angehäuft, die neue Lebensbereiche für seltene Arten hätten bilden können. Doch da diese angeblich mit Abfall verschmutzt gewesen seien, habe die zuständige Behörde die Kiesbänke mit schwerem Gerät abbaggern lassen. „Da sind 74 Tonnen schwere Maschinen bei feuchtem Wetter über die empfindlichen Auenböden gefahren“, zeigte Büchs sich fassungslos.

Eine Vielzahl von Möglichkeiten des naturnahen Hochwasserschutzes zeigte er, etwa querstehende Gehölzreihen, in denen sich Treibholz verfängt und Geschiebe absetzt. Auch hätte ein bereits 1910 entworfenes System aus temporären Rückhaltebecken bei den Zuflüssen der Ahr, selbst wenn es nur in kleinen Teilen umgesetzt worden wäre, möglicherweise viel Schaden verhindern können.

Mehrere Experten stellten Möglichkeiten naturnahen Hochwasserschutzes dar. So referierte Dr. Daniel Bittner vom Erftverband über Hochwasser-Rückhaltebecken. „Ohne die Natur geht es nicht“, betonte er. So zeigten auch Lucia Schmitz und Marietta Schmitz von der Biologischen Station Euskirchen Möglichkeiten, Wasser in der Landschaft zu halten. Aus den Niederlanden berichtete Hettie Mertens über Wasserretention im Göhltal.


Hochwasserschutz

Wetlands International ist eine Stiftung, die sich weltweit um die Renaturierung und Bewahrung von Mooren und Feuchtgebieten kümmert. Im Zusammenhang mit der Flut 2021 wurde von Aldert van Weeren als „Natural Sponges Coordinator“ (Koordinator für Naturschwämme) das Projekt gestartet, naturnahe Möglichkeiten des Hochwasserschutzes zu entwickeln und zu propagieren.