Naturschutz mit der Motorsäge: Bei Weilerswist an der Erft haben Nabu-Mitglieder Kopfweiden beschnitten, damit sie nicht auseinanderbrechen.
Pflege der KopfweidenWarum der Motorsägen-Einsatz bei Weilerswist kein Baumfrevel ist

Die beschnittene Weide sieht erschreckend kahl aus. Aber schon in diesem Frühjahr wird sie wieder austreiben.
Copyright: Ulla Jürgensonn
Schon auf dem Parkplatz am Weilerswister Sportplatz ist die Motorsäge zu hören, die immer mal wieder aufheult. Und kaum hat man die Brücke überquert, sieht man in der Ferne Menschen in signalfarbener Sicherheitskleidung am Ufer der Erft. Der Anblick, der sich beim Näherkommen bietet, lässt jedoch eher an Baumfrevel als an Arbeit für den Naturschutz denken: Die meisten der Kopfweiden, die das Flussufer säumen, sind buchstäblich geköpft. Kahl stehen die verstümmelten Stämme da, schon steigt ein Mann in den nächsten Baum, um auch hier die Motorsäge anzusetzen.
Tatsächlich sind es Freiwillige des Naturschutzbundes (Nabu) Euskirchen, die da Baumpflege der radikalen Art betreiben. Für die Kopfweide sei das lebensrettend, erklärt Bruno Arndt. Denn sonst bestehe die Gefahr, dass der Stamm auseinanderbreche. In den vergangenen heißen und trockenen Sommern seien einige Bäume auf diese Art gestorben. „Vor einigen Jahren haben wir noch 600 Exemplare gepflegt, mittlerweile sind es noch 520 oder 530.“
Die Weide mag es eher nass, sie gedeiht bevorzugt an den Ufern von Bächen und Flüssen. Er selbst sei „erst“ seit 20 Jahren dabei, erzählt Arndt. Auf die Frage, seit wann der Nabu Kopfweiden pflege, muss er seine Mitstreiter fragen. Einer hat die Antwort prompt parat: „Seit 43 Jahren.“ In der Zeit haben die Naturschützer nicht nur Bäume gekappt, sondern auch neue gesetzt. Was bei Weiden ziemlich einfach ist, da abgeschnittene Zweige im Boden schnell Wurzeln bilden.
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Weidenruten waren begehrt, um daraus Körbe zu flechten
Das macht den Baum so beliebt, um kleine Hütten oder Zelte zu bauen, die sich binnen weniger Jahre zu grünen Höhlen entwickeln. Die Kopfweide, so berichtet es der Fachmann, sei ein uralter Kultur- und Wirtschaftsbaum. Meist ist es die Silberweide, die schon als junger Baum so gekappt wird, dass sie nur noch dicker, aber nicht mehr höher wird. Tut man das nicht, kann die Silberweide durchaus 25 Meter hoch werden.
An der Schnittstelle bilden sich viele neue Triebe, die irgendwann wie ein Kopf aussehen. Und genau diese Triebe, die Weidenruten, waren in früheren Zeiten begehrt. Es wurden Körbe daraus geflochten und Zäune gebaut. In Fachwerkhäusern hält ein Geflecht aus Weidenruten den Putz aus Lehm und Stroh in den Gefachen. Und auch zur Uferbefestigung werden sie bis heute genutzt.

Die Sicherheit steht an erster Stelle. Der Mann im Baum ist gesichert, keiner darf sich im Gefahrenbereich aufhalten.
Copyright: Ulla Jürgensonn

In der Weide hat sich eine Höhle gebildet. Vorsichtig, um kein Tier, das dort leben könnte, zu stören, zeigt Bruno Arndt, wie tief das Loch ist.
Copyright: Ulla Jürgensonn

Die abgesägten Äste und Zweige werden ordentlich gestapelt. Der Erftverband holt das Holz später ab.
Copyright: Ulla Jürgensonn
Bruno Arndt hat beobachtet, wie bei der Renaturierung der Erft in Euskirchen Weidenbündel einbaut wurden an Stellen, wo der Fluss das Ufer nicht abtragen soll: „Wenn ich da entlanggehe, denke ich immer, dass das vielleicht Ruten von unseren Weiden waren.“ Die langen, dünnen, biegsamen Zweige sind heute nicht mehr so begehrt wie früher. Am Ufer der Erft werden sie diesmal auf einen Haufen geschichtet, die dickeren Äste auf Stücke gesägt und gestapelt, Mitarbeiter des Erftverbandes holen das Holz später ab.
Während die wirtschaftliche Bedeutung des Baumes zurückgeht, hat man längst den ökologischen Wert der Kopfweiden erkannt. Die rissige Rinde der Stämme bietet zahllosen Insekten Lebensraum. Dort, wo die Äste abgesägt werden – weil das alle sieben bis zehn Jahre passiert, sind einige ganz schön dicke dabei – bilden sich Höhlen, in die Vögel und Fledermäuse einziehen.
Sicherheit ist für die Ehrenamtler bei Weilerswist oberstes Gebot
„Einmal habe ich darin tatsächlich einen Steinkauz entdeckt“, sagt Bruno Arndt. Vorsichtig zeigt er mit einem Stöckchen an einem der frisch beschnittenen Bäume, wie tief so eine Höhle sein kann. Er will kein Tier aufscheuchen, allerdings dürften die meisten Bewohner schon Reißaus vor dem Lärm der Motorsäge genommen haben. Die wird jetzt wieder angeworfen, fast zum letzten Mal für diese Pflegesaison.
Von Oktober bis Februar haben die Naturschützer Zeit, den Kopfweiden zu Leibe zu rücken, die Exemplare an der Erft sind die letzten auf der Liste. Der Nabu fängt im Herbst mit der Arbeit an, vorher macht das Laub an den Ästen die Arbeit schwer. Meist verbringen die Helferinnen und Helfer ihren Samstagvormittag auf diese Weise. „2005 haben wir mit drei oder vier Mann angefangen“, erinnert Arndt sich. Mittlerweile sei die Truppe auf 13 bis 15 Leute angewachsen.
Natürlich könne nicht jeder zu jedem Termin, diesmal beispielsweise seien einige zu der Gruppe gewechselt, die Amphibienzäune aufbaue. Die Rollen bei den Weidenpflegern sind verteilt. Mit der Motorsäge arbeiten darf natürlich nur, wer einen Motorsägenführerschein gemacht hat. Und wer in den Baum steigt, ist nicht nur mit Gurten gesichert, sondern auch eigens für diese Form des Kletterns ausgebildet. Sicherheit ist oberstes Gebot: Solange am Kopf der Weide gesägt wird, können etwa unten die Äste nicht weggeräumt werden.
So trist wie im Moment werden die geköpften Weiden nicht lange aussehen. „Sie treiben schon in diesem Frühjahr wieder aus“, weiß der Fachmann. Er ist überzeugt, dass der radikale Eingriff einen Mehrwert generiert, dass also der Nutzen größer ist als der Schaden, der dem Baum zugefügt wird. Durch den Rhythmus der Pflegemaßnahmen gebe es immer Bäume in unterschiedlichen Stadien, die für unterschiedliche Tierarten wichtig seien.
An den Kätzchen fänden die Bienen schon sehr früh im Jahr die erste Nahrung. Sogar andere Pflanzen siedelten sich auf den schrundigen Stämmen an. Er habe auf Weiden schon Holunder und Brennnesseln gefunden, berichtet Bruno Arndt. Wenn er unterwegs sei, halte er immer nach weiteren Kopfweiden Ausschau, die der Nabu unter seine Fittiche nehmen könne. Neue Helfer sind aber auch willkommen. Schließlich ist das Pflegen der Kopfweiden zwar ein arbeitsintensives Hobby, aber auch eines mit einem tollen Gemeinschaftsgefühl.
Natürliche Arznei aus der Weidenrinde
Wer mal den Beipackzettel des Kopfschmerzmittels Aspirin gelesen hat, kennt den Wirkstoff: Acetylsalicylsäure. Natürliches Salicin findet sich in der Weidenrinde, im Körper wird es dann zu Salicylsäure umgewandelt. Nach dem Baum ist der Wirkstoff sogar benannt, denn die Weide heißt mit lateinischem Namen Salix, die Silberweide trägt die Bezeichnung Salix alba.
Die schmerzstillende und fiebersenkende Wirkung der Weidenrinde ist seit Jahrhunderten bekannt, wenn nicht gar seit Jahrtausenden. Schon die Assyrer und Babylonier sollen die natürliche Arznei genutzt haben. Weidenextrakte kamen zum Einsatz, um Blutungen zu stoppen und Geschwüre zu behandeln.