Björn Höcke und die AfD befinden sich einen Monat vor der Landtagswahl auf Abwegen, während Sahra Wagenknechts neue Partei immer stärkeren Einfluss gewinnt.
Rundschau-Debatte des TagesWer macht das Rennen bei der Wahl im Osten?
Björn Höcke sah sich schon auf dem Weg in die Staatskanzlei in Erfurt. Für den Spitzenkandidaten der Thüringer AfD, der sich auf Plakaten als künftiger Ministerpräsident präsentiert, schienen die Umfragewerte in den Himmel zu wachsen. Vor einem halben Jahr lag der vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestufte Landesverband bei 36 Prozent. Und sollten sich die demokratischen Parteien nicht auf einen Kandidaten einigen können, dann würde letztlich eine einfache Mehrheit bei der Ministerpräsidenten-Wahl ausreichen. Wie taktisch trickreich das geht, hatte 2020 die Wahl des Ein-Monat-Regierungschefs Thomas Kemmerich (FDP) gezeigt.
So hatte Höcke bereits einen Fünf-Punkte-Plan für die Machtübernahme vorgelegt. Flüchtlinge sollen in ihre Heimatländer abgeschoben, der Medienstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gekündigt und der Klimaschutz im Freistaat beendet werden. Sämtliche Fördermittel für Demokratie- und Vielfalt-Projekte sowie für den Kampf gegen Rechtsextremismus sollen gestrichen werden. Dafür fordert der Landes- und Fraktionschef ein Kinderbegrüßungsgeld von 10000 Euro und ein Ehestandsdarlehen, erstmals in Deutschland von der NS-Regierung 1933 eingeführt.
AfD wieder unter der 30-Prozent-Marke
Doch einen Monat vor der Landtagswahl hat sich der Wind kräftig gedreht: die AfD hat fast acht Prozentpunkte eingebüßt, liegt aktuell mit 28,6 Prozent erstmals unter der 30-Prozent-Marke. Dafür sind weniger die Prozesse, die Höcke wegen des Verwendens einer verbotenen Parole der Sturmabteilung (SA) der NSDAP verloren hat, verantwortlich, sondern vor allem Sahra Wagenknecht. Deren neu gegründetes Bündnis bereitet den AfD-Wahlkämpfern auch in Sachsen und Brandenburg inzwischen schlaflose Nächte. In Thüringen hat das BSW mit 20,4 Prozent fast die CDU (22,4) eingeholt.
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Entsprechend heftig fallen jetzt die Attacken auf die neue Partei aus. Die Richtung gab gerade der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer vor, der das BSW als „altlinke Resterampe“ angriff und der Partei „perfide Wählertäuschung im Stil der Altparteien“ vorwarf. Denn geworben werde mit Frau Wagenknecht, die in den drei Ländern gar nicht zur Wahl antrete. „Das BSW ist nichts anderes als eine weitere Systempartei. Im Parteiensystem erfüllt diese Partei nur eine einzige Funktion: sie soll stark werden, um uns von der Macht fernzuhalten.“
BSW mischt die politischen Karten neu
Tatsächlich ist in Thüringen jetzt erstmals eine Regierung mit eigener Mehrheit jenseits von AfD und Linken möglich. Das BSW mit seiner Spitzenkandidatin Katja Wolf, der landesweit bekannten und recht beliebten langjährigen Ex-Oberbürgermeisterin von Eisenach, mischt die politischen Karten neu. Wagenknecht sieht die 48-jährige Wolf bereits auf dem Weg zur zweiten Regierungschefin des Freistaats. Denn CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt konnte bislang wenig überzeugen, weshalb die Christdemokraten auch seit Monaten in Umfragen stagnieren.
Die BSW-Gründerin und einstige Ikone der Kommunistischen Plattform ihrer Ex-Partei nähert sich immer stärker der CDU an, einen möglichen Deal fest im Auge: ihr Bündnis sichert in Sachsen Regierungschef Michael Kretschmer die Macht, wo die CDU mit 29,5 Prozent nur knapp hinter der AfD (31,0) und vor dem BSW (15,0) liegt. Im Gegenzug wird Wolf in Thüringen mit Unterstützung der CDU Ministerpräsidentin. Sollten die Wahlen in den beiden Ost-Ländern am 1.September auch nur annähernd so ausgehen wie die letzten Umfragen suggerieren, wird für die CDU als stärkste demokratische Partei kaum ein Weg am populistischen BSW vorbeiführen – trotz gegensätzlicher Positionen zur Unterstützung der Ukraine.
Katja Wolf greift AfD an
Die als Pragmatikerin bekannte Wolf hatte in der Vergangenheit immer wieder die AfD wegen ihrer Nähe zu Positionen der NSDAP angegriffen. Dass Höcke, den jede und jeder ungestraft als „Faschist“ bezeichnen darf, in vielen Punkten ideologisch den Nationalsozialisten nahesteht, ist kein Geheimnis. Der ehemalige Geschichtslehrer bezieht sich immer wieder auf die NS-Zeit – aus gutem Grund. Thüringen war schließlich der braune Mustergau.
Hier, im kleinbürgerlich-ländlichen Milieu durfte sich die nach dem gescheiterten Hitler-Putsch verbotene NSDAP früher als im übrigen Deutschland neu organisieren. Es war das erste Land, in dem sich die NSDAP 1930/31 mit Innen- und Bildungsminister an der Koalitionsregierung beteiligte. Als eine der ersten Amtshandlungen wurden 70 Werke moderner Künstler als „entartet“ aus dem Schlossmuseum Weimar entfernt – das Muster für die spätere deutschlandweite Polit-Aktion „Entartete Kunst“.
1932 gewann die NSDAP in Thüringen die Landtagswahl. Der neue Regierungschef Fritz Sauckel, später in den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet, leistete weitere Pionierarbeit und ließ etwaigen Widerstand in der Bevölkerung testen: in Nohra bei Weimar entstand das erste provisorische NS-Konzentrationslager überhaupt. Als „vorbildlich“ galt auch die frühe Enteignung der jüdischen Fahrzeug- und Waffen-Fabrikantenfamilie Simson in Suhl (1935), der die reichsweite „Arisierung“ jüdischen Eigentums folgte. Mit dem zum Jenaer Universitätsrektor berufenen Karl Astel leitete erstmals ein „Rassenforscher“ und Vertreter der deutschen „Herrenmenschen“-Lehre eine Hochschule.
Prozess der Politisierung durch die Nazis wirkt nach
In größeren Städten Thüringens bildeten SPD und KPD bis zu Verbot und Verfolgung zwar ein starkes Gegengewicht. Doch die politische Aktivität von kommunistischen und sozialdemokratischen Milieus vor 1933, hat der Historiker und NS-Experte Armin Nolzen festgestellt, taucht nach Kriegsende kaum wieder auf – während frühere NSDAP-Mitglieder auch nach 1945 in Parteien eintraten und Ämter in der DDR übernahmen. Der tiefgreifende Prozess der Politisierung der Gesellschaft durch die Nazis, wirke zum Teil bis heute nach.
Besonders deutlich zeigt sich das in der Einstellung zu Ausländern, obwohl auch in Thüringen Tausende Fachkräfte fehlen (12000 offenen Stellen standen zuletzt gerade rund 7000 Bewerber gegenüber). Das links- wie rechtspopulistische BSW punktet neben seiner „Friedenspolitik“ (Ende aller Russland-Sanktionen) übrigens am stärksten mit Antimigrationsrhetorik. Gefordert wird ein Stopp der unkontrollierten Migration und der Sachleistungen für ausreisepflichtige Asylbewerber.