Bad Münstereifeler EulenmannNiemand kennt die Eifeler Uhus so wie er
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Bad Münstereifel – „Uhu“, ruft die größte Eule, der Uhu, lateinisch Bubo bubo. Die Männchen etwas tiefer in der Stimmlage, die Weibchen etwas höher. Dafür sind Letztere mit bis zu 65 Zentimetern und 1,70 Metern Flügelspannweite größer als ihr männliches Pendant. An die 170 Brutpaare gibt es in der Eifel – dabei war der Uhu noch vor 40 Jahren in der Region so gut wie ausgestorben. „Ein Riesenerfolg“, meint Stefan Brücher aus Bad Münstereifel. Er muss es wissen, denn er ist der „Eulenmann“.
„Da – Gewölle! Der Uhu ist hier!“ An einem Zaun, vis-à-vis der zerklüfteten Steilwand eines alten Steinbruchs bückt sich Brücher nach einem unscheinbaren grauen Knäuel und zerpflückt es langsam in der Handfläche: „Der Unterkiefer einer Maus, ein Amselschnabel. Was der Uhu nicht verdaut, spuckt er wieder aus“, beurteilt der 58-Jährige den Fund.
40 Jahre Uhu-Beobachtung in der Eifel
Hier, nahe der NRW-Landesgrenze, ist Brücher auf der sicheren Seite: In der Steilwand hat er schon vor Jahren Uhunester entdeckt und die Großvögel beim Nisten und Brüten beobachtet. „Der Uhu war ein paar Jahre unweit in einem anderen Steinbruch, jetzt ist er wieder hierhin zurückgekehrt“, mutmaßt Brücher.
Er greift sich das umgehängte Fernglas und kontrolliert mit prüfendem Blick die Felsspalten und Überhänge, die kleinen Nischen und Vertiefungen hinter Vorsprüngen. „Wenn ich den Uhu nicht in zehn Minuten gefunden habe, ist er in der Regel auch nicht hier“, so seine Erfahrung nach 40 Jahren Uhu-Beobachtung in der Eifel. Brücher stoppt kurz, geht zum Fernrohr auf dem Stativ: „Schauen Sie selbst, formatfüllend!“
170 Uhu-Brutpaare in der Eifel
Brücher – ein entspannt wirkender Typ in dunklen Wanderklamotten, das weißgraue Haar zum Pferdeschwanz geknotet und schon jetzt im Frühjahr braun gebrannt. Obwohl es sein selbstgewählter Berufsalltag ist, ist er doch von seiner Entdeckung überrascht.
Als Brücher 1980 mit dieser Arbeit, die zuerst ein Hobby und immer eine große Leidenschaft war, begann, galten Uhus in der Eifel als so gut wie ausgerottet. „Es gab sieben Brutpaare, heute sind es an die 170. Ein Riesenerfolg“, sagt er.
An diesem freundlich-warmen Frühlingstag sitzt Bubo bubo, gut durch das Fernrohr erkennbar, also keine 100 Meter entfernt in einer Nische der Abbruchwand und kratzt sich das dichte Federkleid. Formatfüllend. Ein Weibchen? Wird es brüten? Brücher ist unsicher: „2022 ist eines der Jahre, in denen ein Viertel der Uhus entscheidet, das nicht zu tun. Warum, wissen wir nicht“. Er notiert Ort, Datum und die Beobachtung. Dann geht es auf zur nächsten Station der täglichen Rundreise.
8000 Uhu-Jungtiere schon in Eifel geboren
8 bis 15 Standorte schaffe er so pro Tag, berichtet Brücher. Gerade zu Beginn der Brutzeit kommt er immer wieder: „Ich bin so oft hier, bis ich mir sicher bin!“ Jetzt, Anfang April, erhöht sich das Tagespensum deutlich. Je nach Jahr und Temperatur sind die Weibchen mal früher, mal später in Brutstimmung. Aber, so Brüchers Beobachtung, aufgrund des Klimawandels in der gesamten Eifel mittlerweile mehr oder weniger zeitgleich.
Fünf Wochen Brutzeit, acht Wochen, bis die in der Regel zwei bis drei Jungtiere flügge sind, ein halbes Jahr, bis sie selbstständig sind. Davor hat Brücher um die drei Wochen Zeit, in denen er sie beringen sollte. An die 8000 Jungtiere waren es bisher. „Alleine ist das nicht mehr in allen Nestern zu schaffen“, so sein Fazit. Die Uhupopulation in der Eifel gilt als stabil. Damit hätte er vor 40 Jahren nicht gerechnet.
Schon als Kind von Eulen begeistert
Kindheit und Jugend
Schon als Junge haben es Stefan Brücher die Eulen angetan. Steinkauze, die nach wie vor stark gefährdet sind, Schleiereulen, und vor allem der Uhu. „Es ist vielleicht doch eine Berufung“, meint Brücher heute. Der gebürtige Bonner ist familiär durchaus vorgeprägt. Sein zehn Jahre älterer Bruder ist ebenfalls begeisterter Ornithologe. Er trug dazu bei, dass der jüngere Bruder die nötige Sensibilität für den Vogelschutz entwickelte.
Mit zwölf Jahren saß Stefan Brücher schon in schwindelerregender Höhe am Rande eines Horstes und half beim Beringen junger Mäusebussarde. Im Alter von 14 Jahren durfte er dann – mit behördlicher Erlaubnis – erstmals Greifvögel und Eulen selbst beringen.
Gründung Eulenschutz-Verein
Mit Wilhelm Bergerhausen, der lange Zeit die in 1970er Jahren ins Leben gerufene „Aktion zur Wiedereinbürgerung des Uhus“ (AzWU) geleitet hat, war Brücher 1990 einer der Gründer der „Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen“ (EGE), die er seit dem Tod Bergerhausens 2006 leitet. Brücher hat dort eine Teilzeitstelle.
Finanziert wird die Arbeit des Vereins vor allem über Spendengelder. Die Uhu-Webcam an der Mittelahr wird von der Brigitte und Dr. Konstanze Wegener-Stiftung sowie anderen unterstützt.
Das Uhu-Monitoring
Seit Mitte der 1990er Jahre setzt Brücher das Uhu-Monitoring in der Eifel um. Seit der Jahrtausendwende ist ein Schwerpunkt der Uhu-Artenschutz mit dem Einsatz für die Ummantelung von Strommasten und der systematischen Erfassung von Todesursachen von Uhus, etwa durch Stromschlag. Brücher arbeitet eng mit Naturschutzbehörden und Vogelwartstationen zusammen.
Eine halbe Stunde später, oberhalb eines alten Tagebaus, ebenfalls in einer Steilwand, ist ein Uhu selbst durch das Fernrohr kaum zu erkennen. Hinter Geäst spitzen zwei bezipfelte Ohren auf. Ein Weibchen bei der Brut. Der gut versteckte Standort werde von Uhus gerne angenommen. Der Tagebau ist beendet, auch eine zwischenzeitliche Nutzung des Geländes als Mountainbikestrecke.
Waschbär-Überfall auf Uhu-Nest live auf Kamera
Doch selbst, wenn einem erwachsenen Uhu „keiner an die Federn gehen kann“, so Stefan Brücher, Gefahren muss die Großeule trotzdem fürchten. Da wären Geocacher, die dem Nest zu nahe kommen. Kletterer, etwa in den Buntsandsteinfelsen bei Nideggen, wo Brücher schon eigenhändig Steigtritte aus der Wand geflext hat. Denn immer gilt: „Eine einzige Störung kann das Aufgeben der Brut bedeuten!“ Dazu kommen Füchse, die auf Beutesuche sein können. Und etwa an der Mittelahr immer häufiger invasive Waschbären. Eine Gefahr für Junguhus, die Brücher mittlerweile als gegeben anerkennen muss, auch wenn die Jäger den Kleinbären bejagen.
Tausende Fans von „Uhu Lotte“, im Fels bei Reimerzhoven an der Mittelahr brütend, wurden so im Mai vergangenen Jahres online Augenzeugen, wie ein Waschbär unter den beiden Junguhus ein Gemetzel anrichtete, als Lotte und Uhumännchen Leo gerade abwesend waren. Die Live-Cam läuft 24 Stunden. In diesem Jahr haben Lotte und Leo bislang keine Brut angelegt – auch wenn über die Live-Cam regelmäßig Kopulationsgeräusche der nachtaktiven Großeulen zu hören seien, wie der Experte versichert.
Eifeler Uhus auch Thema in Schulklassen
Das Drama vom vergangenen Jahr haben auch viele Schulklassen unter den bislang mehr als neun Millionen Besuchern der Webseite mitbekommen. Deren Lehrer machen „Lotte Live“ zum Unterrichtsthema, die Kinder protokollieren das Geschehen mithilfe der Videos der Kamera.
„Wenn die Lehrer es schaffen, den Kindern zu erklären, dass Natur eben nicht nur süß und schön, sondern auch grausam sein kann – was will man mehr“, sagt der „Eulenmann“. Eine Schulklasse aus der Eifel postete ein Klassenfoto. Die Kinder halten ein Transparent in die Kamera: „Lotte 2022 – wir sind dabei!“
Immer wieder muss Stefan Brücher Uhus umsiedeln
Gäbe es nur Probleme mit den Waschbären, Brüchers Welt wäre dennoch in Ordnung. Doch er hat viel schwierigere Aufgaben. Die bedürfen eines langen Atems. Etwa die nötigen Einigungen mit den Besitzern der Steinbrüche in der Eifel. Sie müssen im Hinblick auf den strengen Naturschutz Arbeiten, die Uhus in den Gruben gefährden könnten, aussetzen oder zumindest aufschieben. Im Zweifelsfall siedelt Stefan Brücher sogar Uhus um, indem er ihnen selbst neue Nistmöglichkeiten an ungefährdeten Stellen in den Abbruchwänden baut.
Genauso wichtig ist für Brücher der Kampf gegen ungesicherte Strommasten, die allen Großvögeln zum Verhängnis werden können, wenn sie mit den Krallen noch geerdet sind, mit den Flügeln aber stromführende Bauteile berühren. Im Kreis Euskirchen habe es neun Jahre gedauert. Doch 2023, zeigt sich Brücher zuversichtlich, sollen alle Strommasten im Kreisgebiet ummantelt sein.
Auch deshalb, weil Stefan Brücher dank Hartnäckigkeit und mit Expertise mittlerweile bei Stromnetzbetreibern, Steinbruchbesitzern, Naturschutzverbänden und Kommunalverwaltungen als Fachmann anerkannt ist.
„Ein bisschen jeck muss man schon sein, wenn man das so macht wie ich“, meint Brücher. Wer würde schon wie er in einem kleinen Steinbruch ins Kletterseil steigen, den Presslufthammer im Arm, und Uhudamen einen tieferen Nistplatz im Fels hinter der ausgesetzten Nische schaffen. Die Folge: „Die hören, wenn ich gegenüber mit dem Auto zur Beobachtung ankomme. Dann sind sie sofort in ihrer kleinen Höhle verschwunden.“ Da merkt der „Eulenmann“ augenzwinkernd: Undank ist halt auch des Uhus Lohn.