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DebatteRente mit 70 für alle – außer für Dax-Vorstände?

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ILLUSTRATION - Eine ältere Frau zählt Geld.

Berlin – Die Menschen in Deutschland sollen länger arbeiten – darin sind sich alle großen Arbeitgeberverbände einig. Die Rente mit 70 Jahren gilt Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf als Königsweg, wenn in Zukunft weniger Beschäftigte mehr Renten finanzieren müssen. Auch Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger und Industrie-Präsident Siegfried Russwurm fordern einen späteren Renteneintritt.

Pensionen im Vorstand ab 60

Immer, wenn sie das fordern, folgt der Widerspruch der Gewerkschaften auf dem Fuße. Was in den Tiefen der Geschäftsberichte börsennotierter Konzerne verborgen bleibt: Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite haben in den Aufsichtsräten jahrzehntelang Pensionen für die Vorstände beschlossen, die ab dem 60. Geburtstag fließen.

So auch beim Essener Traditionskonzern Thyssenkrupp, dessen Aufsichtsrat Russwurm leitet. „Das Ruhestandsalter ist im Fall von Dr. Klaus Keysberg das vollendete 63. Lebensjahr und im Fall von Oliver Burkhard das vollendete 60. Lebensjahr, sofern zu diesem Zeitpunkt kein Dienstverhältnis mit der Gesellschaft mehr besteht“, heißt es im jüngsten Geschäftsbericht zu der Regelungen für zwei der drei Vorstandsmitglieder.

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Das ist keine Ausnahme, sondern die Regel in deutschen Dax- und MDax-Konzernen. Laut einer Auswertung der Dax-Vergütungsberichte durch die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) galt bei BASF, Bayer, Eon, RWE, Munich Re und Siemens für die Vorstandschefs 2021 ein Renteneintrittsalter von 60 Jahren. BMW hat die Altersgrenze für seine Vorstände 2012 angehoben – von 60 auf 62 Jahre.

Einige arbeiten auch länger, als sie müssten – so trat RWE-Chef Rolf Martin Schmitz im vergangenen Frühjahr mit 63 ab, drei Jahre nach Erreichen seines vertraglichen Pensionsalters. Wenn Post-Chef Frank Appel im Mai 2023 planmäßig in den Ruhestand geht, kann er im Alter von 61 Jahren sofort über seine Pension verfügen. Zugestanden hätte sie ihm bereits mit 55 – so wurde es vereinbart, als er 2008 mit 46 Jahren Vorstandschef wurde. Die Große Koalition hatte zwei Jahre zuvor die Rente mit 67 beschlossen.

VW kommt dem Rentenalter der Arbeitnehmerschaft noch am nächsten: Je nachdem, wann die Vorstände in die Chefetage aufrückten, müssen sie bis 63 oder 65 arbeiten, um ihre Pensionszusagen einlösen zu können. Auch Adidas-Chef Kasper Rorsted bekommt erst mit 65 sein millionenschweres Ruhegeld.

„Das passt nicht mehr in die Zeit“

Aktionärsschützer und DSW-Geschäftsführer Marc Tüngler ist grundsätzlich gegen Pensionszusagen für Dax-Vorstände, „das passt nicht mehr in die Zeit“, sagte er unserer Redaktion. Die alten Regelungen entstammten „einer Vollkasko-Mentalität, die in der heutigen gesellschaftlichen Debatte nicht mehr zu rechtfertigen ist“, so Tüngler. Besser und geboten sei es, den Vorständen höhere Fixgehälter zu zahlen, aus denen sie selbst ihre Altersvorsorge bezahlen können.

Dazu ist auch Thyssenkrupp 2019 übergegangen: Vorstandschefin Martina Merz erhält laut Vergütungsbericht 536.000 Euro „Versorgungsentgelt zur Eigenvorsorge“ pro Jahr, Finanzchef Klaus Keysberg und Personalchef Oliver Burkhard je 280.000 Euro. Letztere erhalten freilich auch noch die zuvor erworbenen Ansprüche auf Altersversorgung nach dem alten Muster.

Auch wenn in Arbeitgeberkreisen betont wird, die Pensionen für Manager seien nicht vergleichbar mit dem gesetzlichen Rentensystem, haben viele die Regelungen für neue Vorstände bereits umgestellt, aber längst nicht alle. Auch sind Summen wie die des 2021 mit 61 Jahren als Eon-Chef abgetretenen Johannes Teyssen in Neuverträgen nicht mehr üblich – er sammelte laut Geschäftsbericht Anwartschaften auf Pensionen im Wert von 30,8 Millionen Euro. Joe Kaeser ging als Siemens-Chef vor einem Jahr mit 19,1 Millionen Euro aus Pensionszusagen und Entgeltumwandlungen in Rente. Rekordhalter ist und bleibt wahrscheinlich Ex-Daimler-Chef Dieter Zetsche mit 42 Millionen Euro – bei einer laut Geschäftsbericht von 2017 jährlichen Grundrente von 1,05 Millionen Euro.

Die IG Metall sitzt als größte Gewerkschaft Deutschlands in vielen Aufsichtsgremien, stellt bei den Autobauern jeweils den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden. Auf Anfrage nannte die Gewerkschaft die Arbeitgeber-Forderungen nach einem höheren Rentenalter „absurd“. „Wer einen späteren Rentenbeginn fordert, fördert geringere Renten. Bereits heute schaffen es viele Beschäftigte nicht bis zur Regelaltersgrenze“, so die IG Metall.

Zu den Altersgrenzen der Dax-Vorstände erklärte die Gewerkschaft, hier spiele „nicht das Alter der Vorstände die entscheidende Rolle, sondern die Angemessenheit ihrer gesamten Bezüge“. Sie müssten „in einem angemessenen Verhältnis zu ihrer Performance stehen“. Aber: „Problematisch und unangemessen ist es, wenn Vorstände nach nur wenigen Amtsjahren mit üppigen Gesamtbezügen auch noch Geld aus der betrieblichen Altersvorsorge erhalten.“ Ihr früher Renteneintritt dürfe nicht durch die Beschäftigten bezahlt werden, sondern von den Vorständen selbst.

Die Arbeitgeberverbände sahen sich nicht in der Lage, unsere Fragen zum Thema Dax-Pensionen zu beantworten. Der BDI erklärte sich für nicht zuständig und verwies an die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). Deren siebenköpfiges Presseteam wiederum erklärte sich für überlastet: Es könne sich unserer Anfrage „leider nicht widmen“, lautete die Antwort.