Interview mit Wirtschaftsweiser„Wir werden mit höherer Inflation leben müssen“
- Monika Schnitzer (60) berät seit 2020 als eine von fünf Wirtschaftsweisen die Bundesregierung.
- Warum sie die hohe Inflation nicht für ein dauerhaftes Problem hält, verrät sie im Interview mit Rena Lehmann.
Frau Schnitzer, Unternehmen und Verbraucher leiden unter der hohen Inflation, die mit 4,9 Prozent zum Jahresbeginn nur leicht zurückgegangen ist. Müssen wir uns daran gewöhnen, dass wir mit unserem Geld weniger kaufen können?
Tatsächlich hält die Inflation länger an als zunächst erwartet. Die Sondereffekte durch die temporäre Mehrwertsteuersenkung und -erhöhung und die Einführung des CO2 -Preises für Wärme und Verkehr zum Jahresbeginn 2021 spielen keine Rolle mehr. Trotzdem ist die Inflationsrate nur leicht zurückgegangen.
Wie lange wird diese Situation anhalten?
Auch wenn die Inflation länger anhält, muss daraus kein dauerhaftes Problem werden. Preistreiber sind zum einen Lieferengpässe. Wie schnell die sich auflösen, wird vom weiteren Verlauf der Pandemie abhängen, die die Engpässe verursacht. Wenn Omikron z.B. in China die Produktion lahmlegt, kann es sich länger hinziehen. Auch Transporte brauchen dann länger: bei der Delta-Variante stieg die Frachtzeit von China in die USA von 85 auf mehr als 100 Tage, während es zu normalen Zeiten rund 50 Tage sind. Momentan wichtigster Preistreiber sind aber die Energiepreise.
Strom, Gas und Öl sind extrem teuer geworden. Ist ein Ende der Preissteigerungen in Sicht?
Wir sehen aktuell, dass die Inflation massiv durch die Energiepreise angeheizt wird. Im Januar stiegen sie um mehr als 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, Nahrungsmittelpreise steigen um 5 Prozent. Die beiden Komponenten zusammen sind aktuell für gut die Hälfte der Inflationsrate verantwortlich. Wir haben selbst zur Preissteigerung beigetragen, in dem wir den CO2 -Preis eingeführt haben, aber es sind vor allem die gestiegenen Importpreise, insbesondere beim Gas, die die Inflation treiben. Deshalb ist entscheidend, wie sich die Energiepreise langfristig entwickeln.
Was ist der Grund für die zuletzt so gestiegenen Importpreise?
Die Gaspreise sind gestiegen durch die weltweit gestiegene Nachfrage, gleichzeitig sind die Vorratsspeicher nicht so gut gefüllt wie sonst. Man kann nicht ausschließen, dass die Verknappung beim Gas auch politisch getrieben ist. Russland hält die langfristigen Verträge ein, bringt aber auf dem Spotmarkt weniger Gas ein, trotz der hohen Preise, das hält die Preise weiter hoch. Hinzu kommt der Ukraine-Konflikt, der die Unsicherheit erhöht. Auch deshalb ziehen die Preise an.
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Was bedeutet das für die Energiewende der Ampel-Regierung?
Eigentlich ist es die beste Werbung für die Energiewende. Sie bietet doch die Chance, sich weniger abhängig zu machen von Gas- und Ölimporten. Je schneller das geschieht, desto unabhängiger wird man sowohl wirtschaftlich als auch politisch künftig sein. Auch in der Wirtschaft gibt es immer mehr die Einsicht, dass die Energiewende für uns in Deutschland eine Geschäftschance werden kann. Die Technologien und Maschinen dafür zu entwickeln und sie in die Welt zu exportieren, muss das Ziel sein.
Wie isoliert ist Deutschland inzwischen mit seiner Position, dass man nicht auf Dauer die Märkte mit billigem Geld fluten sollte und weitere Verschuldung nicht der Königsweg ist?
Die EZB hat schon angekündigt, dass das Pandemieprogramm für Anleihekäufe beendet wird. Außerdem hört man in Europa immer mehr Stimmen, dass die Inflation, wenn sie auf diesem Niveau bleibt, Gegenmaßnahmen erfordert. Damit steht Deutschland also nicht allein da. Trotzdem muss man sagen: Die EU ist nicht mit den Vereinigten Staaten vergleichbar. Dort ist die Inflation deutlich höher und man sieht Entwicklungen, die bei uns noch nicht eingetreten sind, wie eine deutliche Steigerung der Löhne. Das Fiskalprogramm war dort um viele Dimensionen größer als das europäische. Deshalb ist es verständlich, dass es dort früher zu Zinserhöhungen kommt. Auch in Europa wird eine Zinserhöhung nicht ausgeschlossen, die Frage ist nur, zu welchem Zeitpunkt. Die EZB bewegt sich hier auf einem schmalen Grat: Wenn sie die Zinsen zu schnell und zu stark erhöht, kann das die konjunkturelle Entwicklung abwürgen. Dabei haben wir das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht. Die USA sind schon lange weiter, sie sind sogar schon wieder auf dem Vorkrisen-Wachstumspfad.
Wann rechnen Sie damit in Deutschland?
Wir erwarten, dass Deutschland mit seiner Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal wieder auf Vorkrisenniveau ankommen wird. Die Zahl der Arbeitslosen ist fast schon wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie – die Arbeitslosenquote lag im Januar bei 5,4 Prozent. Das ist eine sehr gute Entwicklung. Auch was die Insolvenzen betrifft, müssen wir nicht mit starken Nachholeffekten rechnen. Wenn überhaupt, werden vor allem kleinere Unternehmen betroffen sein. Große Unternehmen mit vielen Beschäftigten haben die Pandemie überwiegend gut überstanden. Aber es wird strukturelle Veränderungen geben.
Inwiefern?
Viele Menschen haben sich z.B. daran gewöhnt, online einzukaufen. Es ist nicht gesagt, dass sich das nach der Pandemie wieder umdrehen wird und die Menschen wieder zurück in die Geschäfte strömen. Viele Geschäfte werden sich neu erfinden und ihr Geschäftsmodell verändern müssen.
Wie bewerten Sie die aktuelle Entscheidung der EZB, den Leitzins nicht zu erhöhen?
Die Europäische Zentralbank verfolgt normalerweise die Strategie, Energie- und Nahrungsmittelpreise bei ihrer Inflationsbetrachtung weniger zu berücksichtigen, weil sie typischerweise sehr stark schwanken. Das ist aber nicht mehr die richtige Politik, wenn es längerfristige Energiepreisrisiken gibt, wie die EZB selbst sagt. An den hohen Energiepreisen können wir als Importland nichts ändern. Wir werden deshalb längerfristig mit einer etwas höheren Inflation leben müssen, wenn die importierten Preise so hoch bleiben. Problematisch wird es, wenn es dadurch zu Lohnsteigerungen kommt. Erst dadurch entsteht die Spirale, die die Inflation immer höher treibt. Das ist aber bisher in Deutschland nicht der Fall. Vor dem Hintergrund halte ich die aktuelle Entscheidung der EZB, die Zinsen vorerst nicht zu erhöhen, für nachvollziehbar und richtig.