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Interview mit Krankenhausärzte-Chef„Wir haben fürs Erste noch Kapazitäten“

Lesezeit 6 Minuten
Intensivstation Corona

Symbolbild

  1. Intensivmediziner fordern sofortige harte Corona-Schutzmaßnahmen, weil die Lage in den Krankenhäusern kritisch wird.
  2. Sandro Schmidt sprach mit NRW-Vorsitzenden des Verbandes leitender Krankenhausärzte, Dr. Thomas Dorsel.

Herr Dr. Dorsel, von Intensivmedizinern hört man dramatische Appelle an die Politik, endlich schärfere Corona-Maßnahmen zu beschließen. Der Eschweiler Professor Uwe Janssens, ehemaliger Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), sagt, es sei bereits fünf nach zwölf. Wie ist die aktuelle Lage in Nordrhein-Westfalens Krankenhäusern?

Die Lage stellt sich im Land sehr unterschiedlich dar. An der Rheinschiene und speziell in Köln ist sie teils dramatisch. In der Domstadt gibt es laut Divi-Intensivregister noch 31 freie Intensivbetten, von 455 sind 424 belegt, davon 116 mit Covid-Patienten, von denen aktuell 72 beatmet werden müssen. In anderen Bereichen des Landes ist die Lage bei weitem nicht so angespannt und es sind dort noch noch genügend Kapazitäten vorhanden.

Zur Person

Dr. Thomas Dorsel ist NRW-Landesvorsitzender des Verbands leitender Krankenhausärzte. Er ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und internistische Intensivmedizin sowie Hypertensiologe (DHL), einem Spezialgebiet, das sich mit dem Bluthochdruck beschäftigt. Von April 1999 bis Mitte 2020 leitete er als Chefarzt im Josephs-Hospital Warendorf die Medizinische Klinik II, Kardiologie – Angiologie, zugleich war er ärztlicher Direktor des Krankenhauses. (EB)

Das RKI meldet heute knapp 30000 Neuinfektionen. Viele dieser Erkrankten werden in einigen Tagen im Krankenhaus und sogar auf den Intensivstationen aufgenommen werden müssen. Sind die Kliniken angesichts der bereits bestehenden hohen Belastung vorbereitet?

Die Kliniken sind schon vorbereitet, weil wir vielfach die Zahl der Intensivbetten noch aufstocken können. Zudem ist es auch möglich, Patienten in noch nicht so stark belastete Krankenhäuser zu verlegen und dadurch in Hotspots mehr Kapazität zu schaffen.

Gibt es genügend Personal, um die schweren Fälle zu versorgen?

Wir haben in vielen Kliniken bereits im vergangenen Jahr Pflegepersonal geschult, das nun auch im Intensivbereich eingesetzt werden kann. Insofern haben wir hier fürs Erste noch Kapazität, auch wenn viele Krankenhäuser bereits jetzt am Limit arbeiten. Zu Gute kommt uns, dass die Pflegenden und Ärzte geimpft sind und dadurch weniger ausfallen.

Hat die Regierung seit Beginn der Pandemie genug unternommen, um mehr Pflegekräfte zu gewinnen, vorhandene Kräfte zu Intensivpflegern weiterzubilden und sie besser zu bezahlen?

Na ja, mit der Ausbildung ganz neuen Pflegepersonals geht das nicht von heute auf morgen. Beim vorhandenen Personal haben – wie gesagt – die Kliniken viel unternommen. Und bei der Bezahlung ist sicher noch Luft nach oben, auch wenn inzwischen durch Sonderzahlungen von der Regierung das ein oder andere geleistet worden ist.

Einzelne Stimmen warnen bereits vor einem Zusammenbruch des deutschen Gesundheitssystem. Sehen Sie auch diese Gefahr?

Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Zwar gibt es in einzelnen Regionen oder Bundesländern wie zum Beispiel in Thüringen eine äußerst angespannte Situation. Doch gibt es in anderen Regionen noch genügend Kapazität, um Patienten dorthin zu verlegen. Hier profitieren wir von der so oft kritisierten hohen Zahl an Krankenhäusern und Betten.

Betroffen sind in der dritten Welle der Pandemie viel mehr jüngere Patienten. Wie beeinflusst dies die Auslastung der Krankenhausbetten?

Jetzt in der dritten Welle, wo viele der älteren Menschen bereits geimpft sind und eher die 30- bis 70-Jährigen erkranken, ist die Verweildauer in den Krankenhäusern und vor allem auch auf den Intensivstationen viel länger als vergangenes Jahr. Die jüngeren Patienten haben weniger Vorerkrankungen, sind in der Regel in einer besseren körperlichen Verfassung und haben einen deutlich längeren Intensivverlauf, weil sie im Gegensatz zu den Hochbetagten in der ersten und zweiten Welle – so makaber das klingt – nicht so rasch sterben. Aber natürlich sind durch die langen Liegezeiten die Kapazitäten in den Kliniken schneller ausgelastet.

Zudem muss man leider aber auch sagen, dass die Situation rund um soziale Brennpunkte oft deutlich dramatischer ist als etwa auf dem Land. Überdurchschnittlich oft sind dort die Menschen stark übergewichtig und durch Vorerkrankungen gehandicapt, so dass sie viel schwerer an Covid erkranken als andere Patienten.

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Professor Michael Hallek von der Uniklinik Köln sagt, von einer Triage, bei der nur noch ausgewählte Patienten behandelt werden, sei man nicht weit entfernt. Befürchten auch Sie eine solche Entwicklung?

Das kann schon passieren. Wir können durchaus in den Krankenhäusern in die Situation kommen, dass wir uns überlegen müssen, welcher Patient eine größere Chance hat zu überleben und wieder gesund zu werden, und dann nicht mehr allen Patienten gleichermaßen eine angemessene Behandlung zukommen lassen können.

Welche Folgen hat die Entwicklung für andere Patienten, die zum Beispiel dringend auf eine Herz-OP warten?

Für Patienten mit akuten Beschwerden wie einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt werden wir weiter genügend Behandlungskapazität vorhalten können. Auch hier ist es zur Not möglich, von hoch belasteten Kliniken in weniger frequentierte Krankenhäuser auszuweichen. In Ihrer Region wären da zum Beispiel die Eifel oder der Hunsrück Gebiete, wo sicher noch Behandlungsmöglichkeiten zu finden wären.  Bei Patienten mit verschiebbaren Eingriffen kann es allerdings einige Zeit dauern, bis diese vorgenommen werden. Jedoch wird es immer so sein, dass sich für dringend erforderliche Operationen Kapazitäten finden.

Was erwarten Sie in der jetzigen Lage von der Bundespolitik an politischen Maßnahmen?

Ich erwarte von der Politik insgesamt, dass das Impftempo weiter beschleunigt wird. Alles, was an Impfstoff da ist, muss möglichst schnell verimpft werden. Auf Vorratshaltung soll man hier weitgehend verzichten. Das Impfen ist der Schlüssel zum Weg aus der Pandemie.

Ist eine bundeseinheitliche Notbremse, wie sie jetzt die Bundesregierung vorbereitet, die richtige Maßnahme, nachdem die einzelnen Bundesländer vielfach die gemeinsam getroffenen Beschlüsse sehr locker interpretiert haben?

Klare und bundeseinheitliche Maßnahmen sind notwendig, um damit die Fallzahlen zu senken. Auch wenn bundeseinheitlichen Maßnahmen schwieriger zu vermitteln sind. Aber wenn bestimmte Regionen noch niedrige Fallzahlen haben, werden dies sich erhöhen, wenn dann dort viele hinreisen. Wenn Sie, wie derzeit in Schleswig-Holstein, ein geringes Infektionsgeschehen haben, müssen diese Regionen diese Maßnahmen solidarisch mittragen, um so die Intensiv- und Inzidenzzahlen zu senken.

Macht eine Ausgangssperre bei Inzidenzwerten von dauerhaft mehr als 100 Fällen pro 100000 Einwohnern in sieben Tagen Sinn?

Eine Ausgangssperre kann schon Sinn machen, um hohe Infektionszahlen zu senken. Es geht ja nicht nur darum, dass sich abends keine Menschenansammlungen im Freien bilden, sondern dass auch private Treffen in fremden Wohnungen dadurch eingeschränkt werden sollen.

Müssen wir schnell noch einmal in einen wirklich harten Lockdown, um die kritische Situation zu entspannen?

Kurzfristig befürworte ich einen harten Lockdown und eine weitere deutliche Erhöhung des Impftempos. Die Pandemie hat keinen Platz für politisches Taktieren.