Bonn – Die Krankenschwester aus Beuel brennt für ihren Beruf. Die 29-Jährige verzichtet über Weihnachten darauf, ihre Familie zu besuchen, damit sie nur ja nicht krank wird. Auf keinen Fall will sie auf ihrer Station ausfallen. Dort ist das Personal schon knapp genug. Den neuen Corona-Impfstoff aber sieht sie skeptisch. „Die meisten von uns wollen sich nicht impfen lassen“, sagt die junge Frau, die in einer Bonner Klinik arbeitet.
Das passt zur Kritik, die SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach vor wenigen Tagen am deutschen Gesundheitspersonal geäußert hat. Es überrasche ihn, dass es in diesem Bereich eine so große Zurückhaltung gebe, sagte er in einem Interview. Auch auf Facebook, wo es große Gruppen von Krankenpflegerinnen und -pflegern gibt, spiegelt sich das Problem wider: Kurz vor der Verteilung des Covid-19-Impfstoffs der Firmen Biontech und Pfizer herrscht unter dem Klinikpersonal offenbar noch große Verunsicherung.
Eine bundesweite Online-Befragung von zwei Fachverbänden untermauert diesen Befund. Die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) wollte gemeinsam mit der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin wissen, ob Ärzte und Pfleger sich sofort impfen lassen wollen, wenn der Stoff da ist. Bis zum 12. Dezember beteiligten sich rund 2300 Ärzte und Pflegekräfte, darunter 70 Prozent mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung. Die meisten arbeiten nach Angaben der beiden Verbände auf Intensivstationen.
Nur 50 Prozent des Klinikpersonals will sich schnell impfen lassen
Das Ergebnis: Während 73 Prozent der teilnehmenden Ärzte sich so schnell wie möglich impfen lassen wollen, sind es bei den Pflegekräften nur 50 Prozent. Ein Fünftel der Pflegenden aus den Intensivstationen hat laut der Befragung „starke Bedenken“ wegen möglicher Nebenwirkungen und Langzeitfolgen. Bei den Medizinern hegen 20 Prozent „Bedenken“, davon fünf Prozent „starke Bedenken“. „Ich glaube aber, das wird sich in einigen Wochen relativieren, wenn die Impfungen angelaufen sind“, kommentiert Carsten Hermes, Intensivpfleger aus Bad Godesberg und Sprecher der Pflege-Sektion in der DGIIN. Er persönlich hege keine Bedenken, sich impfen zu lassen.
Auch am Universitätsklinikum Bonn (UKB) ist die Impfung ein kontroverses Thema. „Die Skepsis zieht sich durch alle Bildungsschichten“, berichtet Burkhard Klein, Vorsitzender des Personalrats der wissenschaftlichen Mitarbeiter. Nach seinem Eindruck werden sich die meisten Ärzte und Pflegekräfte impfen lassen, aber es gebe eine „breite Verunsicherung“. Klein selbst, ein Internist, will sich die Spritze auf jeden Fall setzen lassen.
„Die Mehrheit unserer Mitarbeiter hat den Wunsch, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen“, sagt der Ärztliche Direktor und UKB-Vorstandsvorsitzende Wolfgang Holzgreve. Ziel sei, möglichst alle Mitarbeiter zu diesem Schritt zu bewegen. Das sei Bestandteil der Infektions-Vorbeugung und spiele auch eine Rolle für die Planungssicherheit beim Personaleinsatz. Die Dienstpläne sind in der Corona-Pandemie in fast allen deutschen Kliniken eng gestrickt.
Impfung ist freiwillig
„Es ist eine freiwillige Impfung“, betont Holzgreve. „Wir informieren daher sehr transparent über die Vorteile und diskutieren offene Fragen.“Die Uniklinik Köln rechnet mit einer hohen Impfbereitschaft ihrer rund 5000 Pflegekräfte und Ärzte. Bei einer Online-Befragung unter den mehr als 11.000 Beschäftigen im Konzern haben laut Pressesprecher Timo Mügge „70 Prozent der Teilnehmer erklärt, dass sie sich so schnell wie möglich impfen lassen wollen“. Rund 20 Prozent der Befragten hätten sich unentschlossen gezeigt. In der Umfrage habe die Uniklinik nicht nach Berufsgruppen getrennt. Man könne daher nichts über mögliche unterschiedliche Auffassungen von Ärzten und Pflegepersonal zum Thema impfen sagen. „Wir gehen davon aus, dass sich rund 75 bis 80 Prozent unserer Mitarbeitenden impfen lassen werden“, sagte Mügge.
In Köln bereits einige Anmeldungen zur Impfung
Die städtischen Kliniken erklärten auf Anfrage der Rundschau, dass man „von einer recht hohen Impfbereitschaft ausgehe“. Eine Befragung wurde nicht durchgeführt, doch die Kliniken sehen ein Indiz darin, „dass sich bereits im Herbst deutlich mehr Mitarbeitende als in den Vorjahren für eine Grippe-Impfung entschieden haben.“ Zudem hätten sich in kürzester Zeit „weit über 100 Kolleginnen und Kollegen freiwillig für den Dienst in unserem Impfzentrum angemeldet“, so Pressesprecherin Sigrid Krebs. Dort werden keine Patienten, sondern nur die eigenen Beschäftigten geimpft.
Auch die Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria, die in Köln die Kliniken Heilig-Geist, St. Franziskus, St. Marien und St. Vinzenz betreibt, konnte keine konkreten Zahlen nennen, geht aber ebenfalls von einer hohen Impfbereitschaft bei Ärzten und Pflegepersonal aus. Prof. Dr. Stefan Weber, Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin im Heilig Geist-Krankenhaus in Köln-Longerich: „Diejenigen, die nah an den Covid-19-Patienten arbeiten, zeigen natürlich eine deutlich höhere Bereitschaft. Das betrifft vor allem die Intensiv- und Isolierstationen, aber auch die Zentralen Notaufnahmen. Wir gehen aber davon aus, dass auch alle anderen Bereiche in unserem Haus kontinuierlich dem Impfaufruf folgen werden.“
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Das bestätigt auch Dr. Guido Lerzynski, Geschäftsführer des St. Marien-Hospitals in der Innenstadt: „Vor allem die Kolleginnen und Kollegen auf der Intensivstation haben sich zum größten Teil bereits für eine Impfung angemeldet. Aber auch aus den anderen Abteilungen gab es schon eine gute Resonanz.“
Das Bonner Gemeinschaftskrankenhaus und das Helios-Klinikum Bonn/Rhein-Sieg haben die Impfbereitschaft ihrer Mitarbeiter abgefragt. „Zum jetzigen Zeitpunkt planen rund 67 Prozent, sich impfen zu lassen und wir freuen uns über diese Bereitschaft“, teilt Helios-Sprecherin Christina Fuhrmann mit. Im Gemeinschaftskrankenhaus liegt die Impfbereitschaft nach eigenen Angaben bei 70 Prozent.
WHO nennt Impfquote von 60 bis 70 Prozent notwendig
Aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine Impfquote von 60 bis 70 Prozent notwendig, um die sogenannte Herdenimmunität zu erreichen. Als erster Impfstoff ist in Deutschland der von Biontech und Pfizer verfügbar, der nach den erfolgten Studien eine Erfolgsrate von rund 95 Prozent haben soll. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) beurteilt ihn als wirksam und sicher. Anders als in den USA und Großbritannien hat die EMA keine Notzulassung erteilt, sondern eine vorläufige Zula ssung für ein Jahr – nach einer gründlicheren Prüfung.
Nach zwei Fällen allergischer Reaktionen hat die britische Arzneimittelaufsicht allerdings eine Warnung an Menschen mit „erheblicher allergischer Vorgeschichte“ ausgesprochen. Die beiden betroffenen Mitarbeiter des britischen Gesundheitsdienstes hatten bereits in der Vergangenheit so schwere Allergien entwickelt, dass sie Notfallsets mit Medikamenten bei sich tragen müssen. Auch in Alaska gab es laut Medienberichten einen Fall von schweren allergischen Reaktionen nach der Impfung mit dem Biontech-Stoff.
Thomas Bieber, Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am UKB, hält ihn aufgrund der Studien trotzdem für sicher. Allergische Reaktionen seien nur sehr selten zu erwarten. Er rät drei Gruppen, abzuwarten, bis die Allergiefälle genauer analysiert worden sind: Schweren Allergikern mit Notfallsets, Patienten, die an der seltenen Krankheit Mast ozytose leiden, und Menschen, die allergisch auf den Trägerstoff Polyäthylenglykol (PEG) reagieren.
Trotz aller Skepsis lassen sich möglicherweise auch viele kritische Klinikmitarbeiter am Ende doch impfen. So wie eine Intensivkrankenschwester aus dem Bergischen, die in Wuppertal Corona-Patienten an Beatmungsgeräten versorgt: „Bei uns sind bestimmt 90 Prozent skeptisch“, sagt die 43-Jährige. „Das gilt auch für mich. Aber ich werde es trotzdem tun.“