Rot-Weiß Köln ist der Heimatverein der ersten deutschen Wimbledon-Siegerin Cilly Aussem. Ihr größter Gegner war sie selbst.
Spurensuche KölnDeutschlands erste Wimbledon-Siegerin Cilly Aussem kam aus Köln
„Die Deutsche Junioren-Meisterin, Cilly Außem (Köln), hat Zukunft“, schreibt die Presse am 28. August 1925. „Ihr temperamentvolles Spiel, das jedenfalls, da es sich auch durch Anmut der Bewegung auszeichnet, für das Auge des Zuschauers recht erfreulich ist, wird ihr sicher noch weitere Erfolge bringen.“ Tatsächlich sollte ihre gefürchtete Vorhand sie zur ersten und lange Zeit einzigen deutschen Wimbledonsiegerin machen.
Der begüterte Südfrüchte- und Käsegroßhändler Johann „Jean“ Aussem und seine Helen genannte Frau Ursula, geboren Wisbaum, wohnten in der Königstraße 2, als Cäcilia Edith am 4. Januar 1909 zur Welt kam. Sie besuchte ab 1916 die Ursulinenschule in der Machabäerstraße und anschließend ein Schweizer Internat. Da nahm sie erstmals einen Tennisschläger in die Hand und weckte damit, zurückgekehrt in die elterliche Wohnung am Deutschen Ring 16 (heute Ebertplatz), den Ehrgeiz der Mutter. „Im Sommer 1923 schleppte mich meine Mutter zum Rot-Weiß Klub meiner Heimatstadt Köln, wo sie unter der Fuchtel von Roman Najuch morgens zur Gymnastik den Schläger schwang“, berichtete Cilly Aussem.
Helens Träume schienen sich zu verwirklichen. Schon vor ihrem 18. Geburtstag galt die Tochter trotz wohl übersichtlichen Talents dank ihrer Willenskraft und ihrer wuchtigen Vorhand als beste deutsche Tennisspielerin. Schnell wurde klar, dass der größte Gegner der burschikosen Frau mit dem kölschen Akzent der eigene Körper und die eigene Psyche sein sollten. Krankheiten und Unfälle beim Skilaufen oder Autofahren wetteiferten mit ihrem Können. Mit gebrochener Rippe und trotz jüngster Operationen am rechten Fuß triumphierte Cilly 1926 über die amtierende Deutsche Meisterin Ilse Friedleben. An anderen Tagen aber schien alles zu misslingen – und Cilly brach in Tränen aus, weil sie die Mutter enttäuscht hatte.
Alles zum Thema Ebertplatz
- Ecstasy und große Menge Bargeld sichergestellt Polizei gelingt Schlag gegen Drogendealer auf dem Ebertplatz
- „Tatort“ Ebertplatz Kölner Verein „Krake“ will den Zigarettenstummeln den Garaus machen
- Linie 14 betroffen KVB dünnen Fahrplan aus Personalmangel weiter aus
- Umwege am 6. Oktober Diese Straßen sind beim Köln-Marathon 2024 gesperrt
- Großevent am Sonntag Das sind die Zuschauer-Hotspots beim Köln-Marathon 2024
- „Aufenthaltsqualität fehlt bislang“ Am Altleinigenweg in Bilderstöckchen entsteht ein Quartiersplätzchen
- Opfer bis ans Hotel gefolgt Erneut Goldkette am Ebertplatz geklaut – mutmaßlicher Täter festgenommen
Zum Eklat kam es, als Cilly Aussem in kurzer Zeit zweimal gegen Paula von Reznicek verlor. Helen Aussem schrieb erbost an den Deutschen Tennisbund. Paula von Reznicek habe ihre Tochter hypnotisiert und nur deshalb gewonnen. Als beide Frauen sich anlässlich eines Turniers in Hamburg über den Weg liefen, verlangte Reznicek eine Entschuldigung. Helen Aussem giftete zurück und fing sich dafür eine schallende Backpfeife. Aussem klagte wegen tätlicher Beleidung, Reznicek konterte mit einer Verleumdungsklage. Mit Mühe einigte man sich außergerichtlich.
Weil der maximale Erfolg ausblieb, fragte Helen Aussem den Amerikaner „Big“ Bill Tilden, der als größter Tennisspieler aller Zeiten galt, bei einem Treffen in Südfrankreich, wie Cilly eine wirklich große Spielerin werden könnte. Tilden soll einen kurzen Blick auf die verschüchtert neben der Mutter stehende Tochter geworfen und geantwortet haben: „Indem Sie, Frau Aussem, den nächsten Zug nach Deutschland nehmen!“
Tilden, selbst noch überaus erfolgreich als Spieler aktiv, nannte Cilly einmal „das reizendste junge Mädchen, das jemals Klassetennis gespielt habe“. Als seine Schülerin und Doppelpartnerin stabilisierte sie ihre Leistungen. Sie erreichte 1930 das Halbfinale beim Vorläufer der French Open, die sie im Mixed mit Tilden sogar gewann und somit Deutschlands erste Grand-Slam-Siegerin wurde – wobei der Begriff erst 1933 auftauchte.
Auch in Wimbledon lief es gut. Cilly stand im Mixed mit Tilden im Viertelfinale. Im bei brütender Hitze ausgetragenen Einzel-Halbfinale schlug das Schicksal zu. 4:4 stand es im entscheidenden dritten Satz, da trat Aussem auf einen Ball und verletzte sich am Knöchel. Sie brach, berichtet die Presse, „unter den Einwirkungen der Hitze und der Aufregung zusammen“. Ohnmächtig wurde Cilly Aussem vom Platz getragen.
1931 griff die 22-Jährige wieder an. Sie siegte am 31. Mai im Einzel von Paris. Am 3. Juli gab es dann ein rein deutsches Wimbledon-Endspiel. Cilly gewann den ersten Satz gegen die Essenerin Hilde Krahwinkel. Diese ging im zweiten Satz in Führung. Aussem kämpfte sich wieder heran, gewann den zweiten Satz und das gesamte Spiel. „Cilly, ganz Köln gratuliert zum großen Sieg“, telegrafierte der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. „Ihre Heimatstadt ist stolz auf Sie!“
Menschenmassen warteten auf Bahnsteig 3, als die inoffizielle Weltmeisterin am 7. Juli gegen 12 Uhr mit dem D-Zug aus London zurückkehrte. „Fräulein Aussem, die sich stets durch ihre Bescheidenheit auf allen Tennisplätzen Europas die Sympathien der Zuschauer erwarb, war ob dieser Huldigung sichtlich verlegen“, berichtet die Zeitung. „Als der Rot-Weiß-Vorsitzende ein Hoch auf die deutsche Weltmeisterin ausbrachte, standen ihr dicke Tränen in den Augen.“ Obwohl sie sich sträubte, trug man sie auf Schultern zum väterlichen Auto, wo sie ein Blumenregen erwartete, bevor es durch die Menge zur elterlichen Wohnung auf dem Deutschen Ring ging.
Doch ihr Pech holte sie ein. Hepatitis. Eine verschleppte Blinddarmentzündung. Neuerliche Operationen. Schon seit Jahren war sie auf dem linken Auge fast blind. Lichtempfindlich verkroch sie sich vor Spielen in abgedunkelte Räume. Ihr Körper streikte. Ein letztes Mal versuchte sie 1934 ein Comeback, schaffte es ins Halbfinale von Paris und ins Viertelfinale von Wimbledon. Dann trat sie zurück. Gerade einmal 26 Jahre alt. Am 12. März 1936 heiratete sie in aller Heimlichkeit den in Mombasa stationierten italienischen Offizier Graf Fermo Murari. „Ich habe meiner Mutter nichts erzählt“, sagte sie der Presse, „weil ich kein Aufhebens von meiner Heirat gemacht haben wollte.“ „Ich bin natürlich nicht zufrieden, dass meine Tochter nach Afrika geht, und beunruhigte mich sehr“, klagte die überrumpelte Mutter. „Aber was soll man mit verliebten jungen Leuten anfangen. Cilly hat bis zu der Begegnung mit dem Grafen nur eine Liebe gehabt, und diese war das Tennis.“ Der Graf sei „ein tapferer Soldat, aber kein hervorragender Tennisspieler.“
Cilly Aussem: 1952 war sie fast völlig erblindet
Während ihr Gatte im völkerrechtswidrigen Abessinienkrieg kämpfte, fing sich Cilly, deren NSDAP-Mitgliedschaft mit Umzug nach Afrika erloschen war, die Malaria ein. Contessa Cilly zog sich 1939 zurück in die Villa Tarika am Gardasee, die sie nur selten verließ. 1952 nächtigte sie, mittlerweile fast völlig erblindet, letztmals im Hotel Excelsior ihrer Heimatstadt Köln, um ihren kurz hintereinander verstorbenen Eltern, zuletzt wohnhaft in der Kastanienallee 9 in Marienburg, die letzte Ehre zu erweisen. „Ich würde gerne nochmals ins Klubhaus fahren, mein Elternhaus noch einmal sehen, all das besuchen, was mir so lieb geworden ist – aber ich kann nicht, dazu habe ich keine Kraft mehr“, schrieb sie ihrem alten Tennisfreund, Rechtsanwalt Friedrich Wilhelm Esser.
Gräfin Cäcilia Edith Murari dalla Corte Brà starb am 22. März 1963 mit 54 Jahren kurz nach einer Leberoperation in Portofino. Seit 1965 ist die deutsche Juniorenmeisterschaft nach der ersten deutschen Paris- und Wimbledon-Siegerin benannt. Vieles aus ihrem Nachlass kann in einer Ausstellung ihres Heimatvereins Rot-Weiß Köln bewundert werden.