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Bob-Weltmeisterin Leonie FiebigWarum sie Eis in die fünfte Etage schleppt

Lesezeit 6 Minuten

Bobfahrerin Leonie Fiebig

Zu unserem Gespräch erscheint Leonie Fiebig gefühlt zwei hundertstel Sekunden zu spät. Nicht der Rede wert eigentlich, aber für eine Bobfahrerin: verdammt viel – in einem 100 Kilometer pro Stunde schnellen Bob bedeuten zwei Hundertstel bereits 54 Zentimeter Rückstand.

Welche Wintererinnerungen verbinden Sie mit Ihrer Kindheit?

Meine Oma wohnt in Reit im Winkl. Da stand ich mit drei Jahren schon auf Skiern, bevor ich irgendwann aufs Snowboard umgestiegen bin. Wäre ich Ihr Sponsor, würde ich Ihnen das verbieten. Ja, ich mach’s auch nicht mehr. Meine Verletzungen hatten oft mit Ski- oder Schlittenfahren zu tun.

Tragen Sie heute rot-weiße Socken?

(lacht) Heute nicht, aber zuletzt an Karneval. Ich durfte im Rosenmontagszug mitfahren, auf dem ersten Wagen, zusammen mit den Hockey-Weltmeistern. Am Dom vorbeizufahren, Kamelle zu werfen, diese ganzen Kinderaugen zu sehen: Das war richtig toll.

Höhner oder Brings?

Beide hervorragend! „Prinzessin“, das neue Lied von den Höhnern, habe ich schon mindestens hundert Mal gehört.

Himmel un Ääd oder Rheinischer Sauerbraten?

Ich bin nicht so der Fleischesser. Aber ich mag Kölsch!

Südstadt, Ehrenfeld oder Belgisches Viertel?

Letzteres, weil da der „Joode Lade“ liegt, meine Stammkneipe. Ich war mal Bezirksmeister im Tischtennis.

Wie fühlt es sich an, Weltmeisterin im Zweierbob zu sein?

Ich habe das noch immer nicht realisiert. In einem Bereich die Besten auf der Welt zu sein, ist nicht richtig greifbar. Aber ich empfinde es auf jeden Fall als schöne Belohnung für die harte Arbeit davor.

Haben Sie sich die Durchläufe angesehen?

Nach dem letzten WM-Rennen schrieb mir mein Onkel: Du hast ein blaues Auge, wen muss ich verhaften? Aber als ich mich dann selbst im Fernsehen sah, erkannte ich: Das waren meine Augenringe. (lacht) Das waren harte Wochen vorher, nichts lief nach Plan.

2022 in Peking bei Olympia kamen Sie nicht zum Einsatz. Warum sind Sie ein Jahr später die beste Anschieberin?

Ich war auch in Peking gut drauf, aber so eine Entscheidung muss ich akzeptieren. Ich will nicht als schlechte Verliererin dastehen. Das war eine bittere Erfahrung, aus der ich umso stärker zurückkommen wollte. Sie haben nach der Olympia-Erfahrung überlegt, zum Skeleton zu wechseln und dann eben selbstständig zu sein. Die Abhängigkeit einer Anschieberin von ihrer Pilotin ist mir in der Vergangenheit schon oft zum Verhängnis geworden. Als Skeletonpilotin hat man mehr die Kontrolle, deshalb der Gedanke, vor allem nach der Olympia-Geschichte. Aber jetzt bin ich ja erstmal Weltmeisterin im Bob, also bleibe ich dabei.

Bobfahrer, Skeletonfahrer und Rodler sind lebensmüde Irre: Was ist falsch an diesem Satz?

(denkt länger nach) Nichts. (lacht) Wer sich mit 150 Sachen den Eiskanal runterstürzt, muss ein bisschen verrückt sein. Als Anschieberin agiere ich nur fünf Sekunden pro Rennen, arbeite dafür aber 24 Stunden am Tag.

Was können Sie als Copilotin beeinflussen?

Ich lehne mich wie beim Motorradfahren mit in die Kurven. Wenn wir auf zwei Kufen aus der Kurve kommen, kann so eine Körperverlagerung mit ein bisschen Glück das Umkippen verhindern. Aber ansonsten: Ich schiebe an, springe in das Ding rein, ducke mich und muss ab dann der Pilotin vertrauen.

Aber?

Aber wenn man unten ankommt, und die Bestzeit wird eingeblendet, entschädigt das für alles.

Können Sie sich an Ihre erste Bobfahrt erinnern?

Es war schrecklich. Zwischen Weihnachten und Neujahr rief mich mein Trainer an und meinte: Du hast morgen deine erste Fahrt, mit den Rumänen. Und dann gab er mir Protektoren gegen etwaige Stürze und den Tipp, mich mit Baumwollsachen darunter zu polstern – gegen die Verbrennungen beim Schliddern übers Eis. Ich dachte, oh Gott, worauf habe ich mich da eingelassen.

Wie geht man mit dem Anpressdruck um?

Vor der ersten Fahrt war von 5 g die Rede. Mein Papa meinte, Kampfjetpiloten müssten 9 g aushalten. Also dachte ich mir, okay, stell dich nicht so an. Und dann saß ich da, zusammengeklappt, ohne etwas zu sehen, und stieß hier und da an. Irgendwann waren wir unten, ich hatte überall blaue Flecken und wusste nicht wirklich, was passiert war.

Klingt nicht gerade motivierend. Wie beschreiben Sie einem Laien die Faszination des Bobfahrens?

Die Geschwindigkeit, das Adrenalin, die Explosivität von 0 auf 100, das alles fasziniert mich. Dennoch, wahrscheinlich würde ich mir den Sport nicht aussuchen, wenn ich die Wahl hätte. In einem anderen Leben wäre ich lieber Beachvolleyballerin.

Zumal Sie sich selbst als „Frostbeule“ bezeichnen.

Ich laufe bei dreißig Grad noch mit einem Jäckchen herum. Und im Winter mit bis zu zehn Schichten.

Kann man sich da nicht desensibilisieren?

Manches Opfer muss man bringen: Ich steige seit fünf Jahren ins Eisbad, auch wenn ich dabei die größte Mimose bin.

Wie Cristiano Ronaldo in seine eigene Luxustonne?

Ja, nur dass es bei mir die Badewanne ist und ich die zehn Kilo Eis selber in den fünften Stock hochschleppe. Gegen meine Kälteempfindlichkeit hilft das nicht – aber danach fühlt man sich erfrischt.

Sie waren Turnerin und Sprinterin. Wie schnell waren Sie?

Meine Bestzeit waren 12,2 Sekunden auf hundert Meter – recht durchschnittlich.

Mal einen Überschlag auf dem Schwebebalken gemacht?

Nein. Höchstens mal einen Flic Flac mit Hilfestellung auf einem verbreiterten Balken.

Mit Ihren 32 gelten Sie im Profisport als steinalt. Wie fühlen Sie sich?

(lacht) Ich habe erst mit 28 mit dem Bobfahren angefangen, das ist tatsächlich relativ spät. Aber solange ich mich noch verbessere statt verschlechtere und Startbestzeiten hinlege, spielt das Alter keine Rolle.

Ihr erstes Weltcuprennen sind Sie 2018 gefahren.

Viele haben mir den Sprung an die Spitze nicht zugetraut. Von daher war es wichtig für mich, Erfolge vorzuweisen. Mein erstes Weltcuprennen habe ich ja dann 2020 mit Laura Nolte gewonnen.

Sie haben Ihren Ehrgeiz einmal damit erklärt, dass Sie aus einer Nicht-Akademiker-Familie stammen.

Meine Mutter ist Erzieherin, mein Vater war lange Inhaber eines Gaststättenbetriebs, sie haben immer hart gearbeitet. Ich bin dankbar für die Werte, die meine Eltern mir vermittelt haben. Für mich war aber schnell klar: Ich will studieren. Eine akademische Ausbildung war mir sehr wichtig, da der Sport ja doch nur ein kleines Zeitfenster im Leben ist.

Sie haben einen Master in Sportwissenschaften. Mit Bobfahren kann man kein Geld verdienen, oder?

Man wird nicht reich, das steht fest. Aber weil ich in der Sportförderung der Bundeswehr bin, kann ich davon leben. Um Sponsoren muss ich mich noch selber kümmern.

Man sieht Sie auf Gaffel-Bierdeckeln. Wie viel Freibier bekommen Sie?

(lacht) Die Brauerei sponsert mir tatsächlich die Getränke, wenn ich mal eine Party mache.

Worauf achten Sie bei den Konkurrentinnen?

Mich interessieren die Routinen der anderen Athletinnen: wie sie sich aufwärmen und natürlich auch ihre Technik beim Anschieben. Ich feile auch nach fünf Jahren noch immer an meiner Technik für diese paar Sekunden Anschub. Am schwierigsten erscheint mir der Sprung in den Bob. Da kann man sicher auch mal auf dem Eis landen. Das ist mir bisher zum Glück nur beim Training passiert. Ansonsten vergleiche ich das mit dem Weitsprung. Nur dass man hart landet und nicht weich. (lacht)

Es gibt legendäre deutsche Bobfahrer wie Francesco Friedrich und André Lange. Ihr Lieblingssportler ist jedoch Dirk Nowitzki.

Ich mag ihn als Sportler und Mensch. Er ist bescheiden geblieben, setzt sich für gute Sachen ein – ein inspirierender Mann.

Sie sind Weltmeisterin, die Saison ist vorbei. Was soll im nächsten Winter kommen?

Nächstes Jahr haben wir eine Heim-WM, bei meinem Verein in Winterberg. Und der Plan ist natürlich, den WM-Titel vor eigenem Publikum zu verteidigen.