Schon während seiner Karriere auf dem Rasen hat Neven Subotic ein distanziertes Verhältnis zum Profifußball entwickelt. Über die Gründe, Geld und Moral, sein neues Lebensziel in Afrika sowie eine „Heiligsprechung“ durch Jürgen Klopp spricht der 33-Jährige im Interview mit Johannes Kapitza.
Herr Subotic, die Meisterschaften sind entschieden, die großen Finals gespielt. Kribbelt es manchmal noch in den Füßen?
Nee (lacht), sehr selten. Wenn ich in den letzten Monaten Fußball geschaut habe, dann war es vielleicht mal ein Highlight-Video auf dem Handy. Aber dann eher die Zwei-Minuten-Highlights. Keine fünf Minuten und erst recht nicht zehn Minuten.
Ihre Karriere ist in Österreichs erster Liga relativ still ausgeklungen...
Ich habe Gespräche geführt, aber es war nichts dabei, wo ich voll und ganz dahinterstand. Ich hätte sehr gerne noch weitergespielt, aber nicht um jeden Preis. Irgendwann muss ich mich noch mal mit meiner Karriere auseinandersetzen, aber im Prinzip habe ich mich ja die letzten zehn Jahre schon vom professionellen Fußball distanziert. Der Abschied hat sich sehr natürlich angefühlt.
Zur Person
Neven Subotic wird am 10. Dezember 1988 in Banja Luka geboren. Seine Familie flieht 1990 vor dem Jugoslawienkrieg nach Deutschland, muss 1999 das Land verlassen und geht in die USA. 2007 verpflichtet Zweitligist FSV Mainz 05 mit Trainer Jürgen Klopp den Innenverteidiger. Es folgen unter anderem 232 Bundesligaspiele für den FSV, Borussia Dortmund (zweimal Meister, zweimal Pokalsieger), den 1. FC Köln und Union Berlin, Engagements in Frankreich und der Türkei sowie 36 A-Länderspiele für Serbien. Am 15. Mai 2021 bestreitet er für den SCR Altach in Österreichs Bundesliga sein letztes Spiel als Profi. 2012 hat er die Neven-Subotic-Stiftung gegründet, die Brunnenbauprojekte in ländlichen Gebieten Ostafrikas durchführt. Zweimal im Jahr ist er für zwei bis drei Wochen vor Ort. Sein erstes Buch „Alles geben“ ist Donnerstag erschienen.
Sie hatten Erfolg, ein schnelles Auto, ein großes Haus, schöne Frauen – das ist alles nicht illegal, und doch hat es sich nicht gut angefühlt?
Ich habe enorm wichtige Jahre in meinem Leben zum Teil verschwendet. Nicht falsch verstehen: Vieles hat auch Spaß gemacht – vor allem, wenn man 19 ist. Aber aus der Zeit habe ich nichts Substanzielles mitgenommen. Habe ich Freundschaften geknüpft, die bis heute halten? Gar nicht. Mich als Mensch weiterentwickelt? Gar nicht. Einen Beitrag geleistet, auf den ich stolz bin? Gar nicht. Vieles von damals würde heute sicher immer noch Spaß machen, aber am Ende meines Lebens geht es nicht nur darum, ob ich Spaß hatte. Im Rückblick schäme ich mich, dass ich damals zum Teil so sinnlos gelebt habe.
Sie haben inzwischen ein anderes Lebensziel: Menschen in Ostafrika den Zugang zu sauberem Wasser zu ermöglichen. Ist diese Arbeit erfüllender als zwei deutsche Meistertitel und zwei Pokalsiege?
Das will ich gar nicht vergleichen. Die Titel mit Borussia Dortmund, geile Feiern mit 500000 Leuten in der Stadt: Das war einzigartig. Durch die Arbeit mit meiner Stiftung will ich nun einen Beitrag leisten, dass die Welt ein Stück besser ist. Wenn ich von den Leuten vor Ort das Feedback bekomme, dass unsere Arbeit einen hohen Wert für sie hat, dann sind das die größten Momente im Leben. Wasser ist dabei nur ein Mittel zum Zweck: Die Anlage können wir sehen, das ist die technische Seite. Aber wenn dadurch in der Folge weniger Kinder wegen Erkrankungen die Schule verpassen oder dir ein älterer Herr sagt, dass er durch die neuen Möglichkeiten seine Menschenwürde zurückbekommt, dann ist das schon echt cool und gleichzeitig ungreifbar, weil das eine so schwere Bedeutung hat.
Sie haben eine Stiftung gegründet, die im November schon zehn Jahre alt wird. Für die Stiftungsarbeit mussten Sie sich teilweise bei Ihren Clubs rechtfertigen...
..was schade war. Ich war immer überzeugt, dass ich nichts Falsches mache. Aber im Fußballgeschäft hieß es manchmal: Du hast eine Stiftung, und das ist nicht gut – natürlich wurde das nicht so offensichtlich gesagt, sondern diplomatischer ausgedrückt. Das ist traurig, und den Vorwurf, dass ich wegen der Stiftung weniger auf dem Platz gemacht hätte, musste ich mir nie gefallen lassen. Ich war immer einer, der am härtesten gearbeitet hat, weil ich in meinen Mannschaften meistens nicht zur besseren Hälfte der Fußballer gehört habe.
Sie haben ein Buch geschrieben, „Alles geben“. Im Vorwort schreibt Jürgen Klopp, Sie hätten sich im Laufe Ihrer Karriere gewandelt: Vom Fußballprofi zum Heiligen...
Ich bin ganz sicher kein Heiliger. Da gibt es viele andere, wenn man mal die Augen öffnet. Ich bin in der Entwicklungszusammenarbeit in einem Kontext unterwegs, in dem es um mich herum „einen Haufen Heilige“ gibt. Da gibt es Menschen, die schon ihr Leben lang in einer nicht leichten Arbeit sehr viel geben und großen positiven Einfluss auf die Gesellschaft genommen haben. An denen kann ich mich orientieren, aber ich bin nur ein ganz kleines Rad im Ganzen.
Der Untertitel heißt: „Warum der Weg zu einer gerechteren Welt bei uns selbst anfängt“. Ein größeres Projekt als eine gerechte Welt hätten Sie sich kaum aussuchen können...
Stimmt, aber es ist wie mit Glück oder jedem anderen großen Prinzip: Es fängt immer mit dem Individuum an. Wir können uns zusammentun und sind dann ein bisschen größer. Aber ich kann nie das Handeln eines anderen verantworten. Ich kann nur mein Handeln verantworten und bei mir anfangen. Da gibt es noch enorm viel Potenzial, glaube ich.
Die Erderwärmung, Russlands Angriff auf die Ukraine und viele Krisen mehr auf der Welt – da denken sich viele: Wie soll ich als Einzelner was ändern?
Egal, was das Thema ist: Ich glaube, da sind immer noch viele Menschen um einen herum, die genauso denken oder sich für etwas einsetzen möchten. Wenn man erst mal losläuft, sieht man, dass auch viele andere in die gleiche Richtung gehen.
Fußballprofis wird eine Vorbildrolle zugeschrieben. Erwarten Sie, dass heutige und künftige Profi-Generationen weniger Wert auf Statussymbole und den Fokus mehr auf eine gesellschaftliche Verantwortung legen?
Ja, das hoffe ich sehr. Es gibt ja schon weitere Beispiele, zum Beispiel Andreas Luthe von Union Berlin. Ich hoffe, dass das noch weiter ausgebaut wird. Es besteht dabei immer die Gefahr, dass es eine PR-getriebene Aktion wird. Da muss man sagen: Wer so etwas aus den falschen Gründen macht, sollte es bitte lieber sein lassen.
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Im Fußball ist man schnell beim Geld, weil dort hohe Summen unterwegs sind. Aus Ihrer Sicht reicht es nicht, einfach nur Geld zu geben?
Genau. Sonst wandelt man auf den Spuren von Rockefeller oder Jeff Bezos, die Geld geben, aber das darf eigentlich nur ein kleiner Teilaspekt sein. Geld kann sicherlich auch wertvoll sein, aber wer glaubt, dass damit alle Probleme gelöst sind, hat die Welt nicht verstanden. Wenn es um Geld geht, hast du Leute, die irgendeine Summe abgeben, die sie selbst als ausreichend definieren. Nehmen wir die Initiative „common goal“ – da wird eine Spende von einem Prozent des Gehalts schon gefeiert. Aber wir brauchen nicht vor allem Geld, sondern Leute, die sich für eine Sache engagieren. Nicht eine Spendensumme, sondern die Haltung ist das Wichtigste, um etwas zu verändern. Denn die Welt ist ziemlich ungerecht, und das wissen wir nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine, sondern das ist schon viel länger klar.
Wie schaffen wir es, die Welt ein Stückchen gerechter zu machen? Braucht es mehr Anstand und Moral?
Die Moral haben wir schon. Wir wissen, was richtig und falsch ist. Wir wissen auch so viel wie noch nie über die Auswirkungen unserer Lebensweise. Wir müssen gar nicht noch mehr TV-Dokus sehen und denken: „Boah, ist das schlimm.“ Viele sind schnell von etwas betroffen, aber damit hat es sich dann schon. Sie verändern danach gar nichts. Das darf aber nicht das Ende der Denk-Logik sein. Wir müssen uns fragen, welche Handlungen wir aus dem Wissen und der Betroffenheit ableiten müssen.