Vor dem Start in die neue Bundesliga-Saison spricht Thomas Eichin als Direktor Lizenz über seinen Job beim Doublesieger Bayer 04 Leverkusen.
Thomas Eichin„Eine One-Man-Show wie früher bei Rudi Assauer funktioniert nicht mehr“
Thomas Eichin fährt die gut 15 Kilometer von seinem Zuhause in Leichlingen bis zur BayArena fast jeden Tag mit dem Rad – oder er läuft. Der 57-Jährige ist topfit geblieben und sein Arbeitsplatz ist die Kabine von Bayer 04 Leverkusen. Martin Sauerborn hat mit Eichin gesprochen.
Herr Eichin, Sie waren von 1999 bis 2013 14 Jahre Geschäftsführer der Kölner Haie. Wie schauen Sie auf diese Zeit zurück?
Beruflich ist das auf jeden Fall die Zeit, die mich am meisten geprägt hat. Ich habe nach meiner Karriere als Fußball-Profi bei Borussia Mönchengladbach gemerkt, dass ich mich auch für andere Dinge interessiere und neben dem Trainerschein eine Ausbildung im Marketingbereich gemacht. Es war dann ein gewagter Schritt vom Fußball zum Eishockey und von Gladbach nach Köln. Als ich bei den Haien ankam, waren durchaus gewisse Vorbehalte mir gegenüber spürbar.
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Sie sind als Marketingleiter zu den Haien gekommen und waren schon nach einem Jahr Geschäftsführer. Wie konnten Sie die Verantwortlichen in so kurzer Zeit von sich überzeugen?
Die Haie haben mich ausgewählt, weil sie auch etwas von dem Fußball-Know-how bei sich reinbringen wollten. Der Bau des Trainingszentrums und der Umzug damals von der Lentstraße in die Kölnarena hatten eine gewisse Dimension. Es ging darum, den Zuschauerschnitt von 3500 auf 12000 bis 13000 zu heben, um die Arena rentabel zu machen. Wir haben das sehr gut gemeinsam hinbekommen und aus den Haien eine Marke in Europa gemacht.
Die Zeiten waren aber nicht immer rosig. 2009/10 standen die Haie vor der Insolvenz.
Es gab diese heftige Krise, als wir mit unserem Förderer Heinz Hermann Göttsch in eine finanzielle Schieflage geraten sind. Ich habe in den 14 Jahren bei den Haien das ganze Spektrum mitgemacht von der Meisterschaft bis zur Fast-Insolvenz. Ich habe sehr viel gelernt. Und auch, wenn ich heute sehr gerne für Bayer Leverkusen arbeite, bedeuten mir die Haie nach wie vor auch sehr viel.
Sie waren einer der Baumeister des bislang letzten Titelgewinns der Haie im Jahr 2002. Was hat damals den Ausschlag für den Titelgewinn gegeben?
Nachdem wir die beiden Jahre zuvor eine Wahnsinnstruppe zusammen hatten, aber im Finale gescheitert sind, hat 2002 niemand mit uns gerechnet. Wir sind dann in der Hauptrunde ganz unten gewesen und haben einen Trainerwechsel von Lance Nethery auf Rich Chernomaz vorgenommen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir darüber hinaus für die neue Saison schon Hans Zach verpflichtet und es ging nur noch darum, wie wir die Saison gut zu Ende bringen. Dann ist durch Rich eine Mentalität in der Kabine entstanden, die sich zu einer Jetzt-erst-Recht-Stimmung entwickelt hat. Zuerst wollten wir ins Viertelfinale, dann ins Halbfinale. Dann haben wir das Ding geholt.
Womit wir in der Gegenwart angekommen sind. Sie sind von den Kölner Haien nach Bremen zurück in den Fußball gewechselt und waren bis 2016 Sportchef bei Werder. Dann waren Sie kurz bei 1860 München und sind schließlich 2020 in Leverkusen als Leiter der Frauen- und Nachwuchsabteilung aufgetaucht. Von außen betrachtet wirkt das wie ein Schritt zurück in der Karriere des Thomas Eichin.
Ich war es gewohnt, als Geschäftsführer zu arbeiten, sowohl bei den Haien als auch bei Werder Bremen und bei 1860 München. Der Wechsel in die Spieleragentur-Branche war bewusst, um auch mal die andere Seite kennenzulernen. Es war interessant, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich lieber wieder für einen Verein arbeiten möchte.
Wie hat Ihr Weg dann zu Bayer 04 geführt?
Im Rahmen meiner Tätigkeit bei der Agentur habe ich für Austria Klagenfurt eine Mannschaft zusammengestellt und war auf der Suche nach Clubs, die keine zweite Mannschaft haben, um dort Spieler für Leihgeschäfte loszueisen. Deshalb habe ich Kontakt zu Simon Rolfes aufgenommen, um über die Option zu sprechen, Bayers talentierten U19-Spielern in Klagenfurt sinnvolle Spielpraxis im Seniorenbereich zu ermöglichen. Nach zwei, drei Treffen hat mich Simon gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, für Leverkusen zu arbeiten. Die klare Aufgabenstellung im Nachwuchs und bei den Frauen hat mich gereizt.
Das ging drei Jahre und jetzt sind Sie seit einem Jahr Direktor Lizenz bei Bayer 04 Leverkusen. Was verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung?
Ich bin für die internen und externen Abläufe verantwortlich – Reiseorganisation, Ernährung, Trainings- und Spielbetrieb – und bin die Schnittstelle zu verschiedenen Abteilungen wie Marketing und Medien sowie zu den Medizinern. Ich koordiniere die Dinge, die mit der Mannschaft zu tun haben, und versuche, Simon Rolfes den Rücken freizuhalten.
Ihre Zusammenarbeit mit Simon Rolfes gilt in der Branche als vorbildlich. Warum funktioniert es zwischen ihnen so gut?
Grundlage hierfür ist unser Vertrauensverhältnis. Ich teile Simons Ideen und Visionen, kann ihm aber auch sagen, wenn ich in einer Sache anderer Meinung bin.
Sie halten ihm in bestimmten Bereichen den Rücken frei. Wie darf man sich das vorstellen?
Als Geschäftsführer Sport ist Simon für die Zusammenstellung des Kaders, den Trainer, die Medien zuständig und hat in seiner Rolle als Geschäftsführer noch diverse andere Verantwortlichkeiten. Da fehlt die Zeit, im Alltag kontinuierlich bei der Mannschaft zu sein. Er braucht jemanden, dem er vertraut und der die Dinge in seinem Sinne löst. Eine One-Man-Show wie früher bei Rudi Assauer funktioniert im modernen Fußball nicht mehr. Ich bin seine Schnittstelle zu den einzelnen Abteilungen rund um die Kabine.
Wo bringen Sie Ihre unterschiedlichen Erfahrungen als Spieler, Marketingleiter und Geschäftsführer ein?
Aufgrund meiner eigenen Erfahrung im Fußball kann ich ganz gut beurteilen, mit welchen Dingen eine Mannschaft belastet werden kann und mit welchen nicht. Es ist nicht so, dass die Spieler nur zum Training kommen und dann wieder nach Hause gehen.
Wie organisieren Sie die Bayer-Kabine?
Ich muss gar nicht großartig organisieren. Es ist alles da und ich habe mein Büro in der Nähe der Kabine und kriege so quasi alles mit. In der Sommerpause haben wir Teile des Kabinentrakts etwas umgebaut, aus einem ehemaligen Lagerraum beispielsweise ist ein digital hochwertig bestückter Besprechungsraum entstanden. Ich versuche, überall eine gewisse Präsenz zu haben und mitzukriegen, was passiert, um Schwachstellen wie beispielsweise den fehlenden Besprechungsraum frühzeitig erkennen zu können.
Wie haben Sie die Strömungen innerhalb der Mannschaft in der vergangenen Saison wahrgenommen?
Es war relativ simpel, weil wir durchgehend einen Geist und eine Stimmung in dieser Truppe hatten, über die ich nur staunen konnte. Wie die Spieler miteinander und mit verschiedenen Situationen umgegangen sind, war absolut bemerkenswert. Die Mannschaft ist wie die Haie 2002 in einen richtigen Flow gekommen. Das Verrückte im Sport ist, dass Dinge manchmal nicht genau zu erklären sind. Dann ist da eben dieser Geist und daraus entwickelt sich der Glaube, das Ding auch in der 95. Minute noch drehen zu können. Diese Mentalität, die entstanden ist in der Kabine vor und im Spiel, war absolut beeindruckend. Die Mannschaft ist immer locker und gleichzeitig auf den Punkt fokussiert geblieben.
Es heißt, im Erfolg begeht man die größten Fehler. Wie steuert Bayer 04 dem nach dem Double-Gewinn entgegen?
Die Verantwortlichen im Klub kennen diese Thematik genau. Entsprechend gehen wir dieses Thema auch an. Trotzdem haben wir keine Garantie, dass es nicht auch negativ laufen kann, aber wir wissen genau, wie gefährlich eine solche Phase ist. Es wird jetzt noch härter gearbeitet.
Welchen Eindruck haben Sie nach der Vorbereitung?
Einen guten, obwohl durch die EM natürlich nicht alles optimal war. Wir wissen selbstverständlich, dass wir nicht wieder ungeschlagen durch das Jahr ziehen werden. Wir werden lernen müssen, mit Niederlagen umzugehen. Das zu beobachten, wird spannend. Das kennen wir im Ligabetrieb nicht. Nur gegen Bergamo waren wir das einzige Mal im ganzen Jahr nicht auf Spur, weil ein paar Voraussetzungen nicht gepasst haben. Nach dem 0:3 haben wir bis zum Pokalfinale gegen Lautern aber gut die Kurve gekriegt.
Was kann Leverkusen verbessern?
Es gibt immer Dinge, die man besser machen kann und muss. Und wir wissen genau, was wir noch besser machen können, und versuchen, das umzusetzen.
Welche Rolle wird Bayer 04 also in den nächsten Jahren im Fußball spielen können?
Ich glaube, dass wir in der Bundesliga und auch international eine gute Rolle spielen können. Wir haben auf jeden Fall die Basis dafür gelegt, um im Konzert der großen Vereine in Europa mitspielen zu können.