Meister-Trainer Xabi Alonso hat geschafft, was vor ihm keiner geschafft hatte: Er hat Bayer 04 Leverkusen zum Titel geführt – die erste deutsche Meisterschaft in der 120-jährigen Geschichte des Vereins.
Deutscher MeisterWie Xabi Alonso Bayer Leverkusen zum Titel führte
Xabi Alonso ist ein Mann mit ausgesprochen guten Manieren – und er war exzellent vorbereitet auf den großen Tag. Hinter seinem Rücken summte und brummte, knallte, dudelte und schepperte es. Es waren die Geräusche, die aus dem Innenraum der BayArena an die Ohren des Leverkusener Cheftrainers drangen. Tausende glückseliger Fans hatten dort mit dem Schlusspfiff den Rasen gestürmt, feierten nun eine ausgelassene Party und verdrückten zwischendurch auch mal eine Träne. Wegen der Klubhistorie, die Señor Alonso, auch wenn er seinen Job an der Dhünn erst vor 18 Monaten begonnen hat, nur allzu gut kannte.
Das Spiel bei West Ham United am Donnerstag, in dem die Werkself erneut, wie im Vorjahr, den Einzug ins Halbfinale der Europa League schaffen kann? Das Liga-Duell am Sonntag mit den Dortmundern, denen sein Team gerade eindrucksvoll gezeigt hatte, wie man die endlose Regentschaft der Bayern stoppt? Alles erst mal egal, winkte Alonso – von der spanischen Zeitung „Marca“ kurzerhand zu „Xabi I. von Deutschland“ gekürt –, ab und erklärte stattdessen: „Die nächste Woche, das ist ein anderes Thema. Jetzt ist der Moment, den wir genießen müssen. Für die Geschichte, für diesen Verein – zum ersten Mal nach 120 Jahren.“
120 Jahre – so alt ist der Klub, der seine Premieren-Meisterschaft am Sonntag mit einem 5:0 gegen Bremen vollendet hat. Eine Meisterschaft wie aus dem Bilderbuch, und der Architekt dieses sportlichen Kunstwerks sendete die passende Botschaft dazu ins Land. „Es ist“, betonte Alonso, „gesund für die Bundesliga und für den deutschen Fußball, auch mal andere Mannschaften siegen zu sehen.“ Andere Mannschaften als den FC Bayern, der den Titel zuletzt elf Mal in Folge einkassierte.
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Nun hat Leverkusen den Münchnern das Meister-Abo auf beeindruckende Weise gekündigt: Fünf Spieltage vor Saisonschluss. Mit gewaltigen 16 Punkten Vorsprung auf die Bajuwaren und das Überraschungsteam aus Stuttgart. Mit einem ebenso leichtfüßigen wie dominanten Fußball, mit dem Alonsos Ensemble dem für Rekorde ansonsten alleine zuständigen FCB mal eben zwei Bestmarken abgeluchst hat: nach 29 Spieltagen in der Liga noch ungeschlagen zu sein. Und dabei 79 von 87 möglichen Punkten auf das pralle Konto gebucht zu haben.
Leverkusen wird Meister: Rheinisches Husarenstück
Dieses rheinische Husarenstück goutierte auch Bayers Mittelfeld-Filou Robert Andrich, als er mit einem riesigen Bierhumpen in der Hand festhielt: „Es gibt nicht nur Bayern München, es gibt auch Bayer Leverkusen. Jetzt ist Bayer-Leverkusen-Zeit, jetzt habt ihr endlich mal einen guten Meister.“ Dieser spezielle Anlass führte zur Abwechslung sogar Werner Wenning in den Bauch der BayArena. Die graue Eminenz von Bayer 04, im konzerneigenen Fußballunternehmen seit 14 Jahren Vorsitzender des Gesellschafterausschusses, tritt ansonsten nie in der Öffentlichkeit auf. Nun aber lobte Wenning „vor allem die Art und Weise, wie diese Meisterschaft zustande gekommen ist“. Und damit meinte er ausdrücklich: „Wir sind das alles auch mit einer inneren Haltung angegangen, niemand ist überheblich geworden.“
Als Hommage an den für diese Haltung zuständigen Coach hatten die Leverkusener Fans die Schilder an der Bismarckstraße, die direkt an der BayArena vorbeiführt, am Sonntag überklebt und in Xabi-Alonso-Allee umbenannt. Auch andere Straßen der Chemie-Stadt wurden auf diese Weise auf den Namen jenes Mannes umsigniert, der als Fußballer eine Weltkarriere hinlegte, bei seinem Start ins rheinische Abenteuer als Coach von Profiteams aber noch Novize war.
Zunächst lehnte Xabi Alonso ab
Dabei kann bei dem bärtigen Basken von Abenteurertum gar keine Rede sein. Als Gladbachs damaliger Sportchef Max Eberl 2021 bei Alonso, zu der Zeit für die Reserve von Real Sociedad San Sebastian zuständig, anklopfte, lehnte der ab. Weil er sich als Trainer noch zu unerfahren für den Sprung ins Ausland fühlte. Im Oktober 2022 schien ihm sein persönlicher Reifegrad dann aber ausreichend.
Alonso, mit Spanien Welt- und zwei Mal Europameister, mit Liverpool und Real Madrid zudem jeweils Gewinner der Champions League, übernahm Leverkusen als zutiefst verunsicherten Tabellenvorletzten. Gleich bei seiner Vorstellung offenbarte er sein Credo bei der Arbeit als Trainer: Kontrolle über den Gegner und somit auch über das Spiel zu haben. Und mindestens genauso wichtig in Alonsos Erfolgsrezept als Coach ist der enge Draht, den er zu seinen Spielern pflegt.
Jüngstes Beispiel: Während der Pressekonferenz nach der Bremen-Partie verpasste ihm das Rasenpersonal des Werksklubs die obligatorische Bierdusche. Alonso stand sofort auf, tanzte und sang eine Runde mit seinen Spielern. Und als die euphorisierte Bande, die am Montag freibekam, wieder abgezogen war, erläuterte der 42-jährige Spanier seine generelle Einstellung: „Ich will nah bei den Spielern sein. Denn ich weiß, was sie fühlen. Diese Empathie ist wichtig – und ich nutze diese Verbindung zur Mannschaft.“
Zu einer Mannschaft, die Simon Rolfes auch in der nächsten Saison „auf jeden Fall“ als „konkurrenzfähig in der Spitzengruppe der Bundesliga“ ansieht. „Das ist ein wichtiger Grund, warum Xabi trotz großen Interesses anderer Klubs hierbleibt. Er hat das Gefühl, am richtigen Ort zu sein“, erwähnte Bayers Sport-Geschäftsführer nach einer „nicht allzu langen Nacht“ am Montagvormittag noch. Und berichtete außerdem, die Spieler seien von der Party im Stadion aus „noch weitergezogen“.
Sogar drei Trophäen in Reichweite
Dem ohnehin starken Zusammenhalt in einem auf höchstem Niveau ausgeglichenen Team wird die gemeinsame nächtliche Meistersause sicher nicht schaden. Das ahnte wohl auch Übungsleiter Alonso, als er den feiernden Fans in der BayArena mit ungezügeltem Offensivgeist zurief: „Wir wollen mehr. Wir wollen den Pokal und die Europa League.“
Das wären dann drei Trophäen in einer Saison. Für einen Klub, der es zuvor in 119 Jahren auf insgesamt zwei Titel brachte – und dessen erster Meistertrainer am Sonntag die wichtige Vorarbeit vieler seiner nicht ganz so erfolgreichen Vorgänger hervorhob. Namentlich nannte er dabei Christoph Daum, Klaus Toppmöller und Roger Schmidt – und kommentierte: „Ich will das teilen mit vielen Leuten.“ Schließlich ist Xabi Alonso ein Mann mit ausgesprochen guten Manieren – und einer, der exzellent vorbereitet war auf den großen Tag.