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Leverkusen-Fan aus KölnWie es sich anfühlt, den „falschen Verein“ zu lieben

Lesezeit 5 Minuten
Leverkusen-Fan Verena

Verena an der Grenze zwischen Köln und Leverkusen: „Ein unauflösbares Dilemma“

Unsere Autorin ist Fan von Bayer Leverkusen – schon immer, und das als Kölnerin. Viel Häme und Missgunst musste sie ertragen, aber vor dem ersten Titelgewinn ist alles anders.

Mein Vater sagte früher immer: „Wenn Bayer Leverkusen endlich Deutscher Meister wird, hängen wir unsere Fahne aus dem Dachgeschoss-Fenster.“ Als Kind kam mir das unglaublich mutig vor. Immerhin wohnten wir auf Kölner Stadtgebiet, wenn auch wirklich am äußersten Rand. Kurz vorm Bayerwerk, aber in einer Sackgasse, womöglich voller FC-Fans.

Dazu gekommen ist es bekanntlich nie. Aber an diesem Wochenende kann es für Bayer 04 Leverkusen endlich so weit sein. Ausgerechnet an meinem Geburtstag (der 39.) am Sonntag können wir Deutscher Meister werden. Ja, auch ich. Denn ich bin Werkself-Fan. Seit immer schon. Und das als Kölnerin.

Ein Bayer-Fan in Köln – das schwarz-rote Herz bleibt versteckt

Als Bayer 04-Fan in der Domstadt aufzuwachsen, war eine Bürde. Zwischen der Liebe zu dieser, meiner Stadt und der Leidenschaft für den aus Kölner Sicht „falschen“ Verein – diese zwei Seelen in meiner Brust ließen sich einfach nicht miteinander vereinbaren. Ein unauflösbares Dilemma. Manchmal fühlte es sich an wie ein schmutziges Familiengeheimnis, manchmal wie etwas Verbotenes, wenn wir den Schal lieber unter der Jacke versteckten, bis wir die Stadtgrenze erreicht hatten. Häufig verheimlichte ich, dass ich eine Jahreskarte bei den Pillendrehern besaß. Selbst bei einigen meiner Freunde offenbarte ich nicht mein schwarz-rotes Herz. Zu groß die Häme, der Spott über den Plastikclub. Denn um mich herum waren natürlich immer alle FC.

Von wegen, kein Erfolg: der DFB-Pokal und der Uefa-Pokal stehen schon in der Clubvitrine.

Von wegen, kein Erfolg: der DFB-Pokal und der Uefa-Pokal stehen schon in der Clubvitrine.

Dabei ist so eine Fanschaft ja nicht frei gewählt. In die Wiege gelegt, heißt es. Schuld an meiner inneren Zerissenheit war mein Opa, der von seiner Ausbildung bis zum Renteneintritt im Werk arbeitete. Eine typische Kölner Stadtrand-Biografie. Er infizierte meinen Vater mit der Bayer-Liebe, und so feierten sie 1979 den Aufstieg in die erste Bundesliga.

Oft erzähle ich als Rechtfertigung für meine Fußball-Liebe, ich wäre als Erstgeborene für meinen Vater halt der Sohn gewesen, den er nie hatte, und hätte ihn deswegen zu den Spielen begleiten müssen. Aber in Wahrheit machte das für ihn einfach keinen Unterschied. Er nahm seine Kinder mit ins Stadion und dass das zwei Mädchen waren, war halt so. Punkt.

Ausgerüstet mit Jahreskarten, Schals und Fahnen

Also zogen meine Schwester und ich jedes zweite Wochenende mit ihm los. Auf den Rädern oder im Pendelbus am Bayerwerk vorbei zum Leverkusener Ulrich-Haberland-Stadion, später zur BayArena. Wir hatten Jahreskarten, wir waren ausgerüstet mit Schals und Fahnen. Auch der Plüsch-Löwe, der aussah wie Maskottchen ,Brian the lion“, durfte natürlich nicht fehlen.

Zum Ende der 1990er-Jahre saßen wir als Teenies in der ersten Reihe. Einige Male schnupperten wir in diesen Jahren an dem ein oder anderen Titel – endgültig 2000 an der Meisterschale. Als es so sicher schien und doch nicht Realität wurde. „Unterhaching“, wo wir es am letzten Spieltag vergeigten, galt fortan nicht mehr nur als Ortsbezeichung, sondern auch als Synonym für Situationen, in denen unerwartbar einfach alles schiefgeht.

Die Unterschrift von Zé Roberto: ein wertvoller Schatz.

Die Unterschrift von Zé Roberto: ein wertvoller Schatz.

Und dann kam es noch schlimmer: das verpatzte Triple 2002. Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League – alles zum Greifen nah. Doch der einzige Titel, der uns blieb, war der zunächst spöttisch gemeinte und danach selbstironisch vermarktete Begriff: Vizekusen. Der ewige Zweite, das sollte uns noch lange verfolgen. Wir waren am Boden zerstört, traumatisiert. Aber in solchen Momenten sind Fußball-Fans ja erstaunlich resilient und machen einfach weiter. Zwölf Monate später fuhren wir zum letzten Spieltag nach Nürnberg. Dieses Mal ging es – unfassbar – sogar um den Klassenerhalt.

Aber egal wie es lief, die Stadionbesuche blieben über all die Jahre Teil meines Lebens. Wir gingen weiter bei Wind und Wetter – und es gab eine eiserne Regel: „Wir bleiben bis zum Abpfiff, egal wie bescheiden das Spiel ist.“ Wir gingen zur Bundesliga und zum DFB-Pokal, mal zur Champions League, mal zur EuroLeague. Wir kämpften uns die Treppen zum Oberrang hoch (ja, da war ich schon lange aufgestiegen aus der ersten Reihe), als mein Vater seine Chemo hatte und ich hochschwanger war. Wir gingen ins Stadion nach der Geburt meines Sohnes. Und ich ging in die BayArena nach dem Tod meines Vaters – und saß weinend zwischen jubelnden Fans.

Plötzlich gibt es keine Karten mehr

Die aktuelle Saison hätte ich ihm gegönnt. Denn dieses Jahr ist einfach alles anders, jetzt schon legendär, rekordebrechend. Das zu realisieren, hat bei mir lange gedauert. Am Anfang war es nur ein guter Saisonstart. Noch zum Jahresende hin verbot mir mein inneres Unterhaching, an die Möglichkeit eines Titels zu glauben. Doch spätestens nach den ersten Spielen der Rückrunde ließ sich dieses Hirngespinst nicht mehr bändigen. Ich gab nun stolz überall zu, ja immer schon Leverkusen-Fan gewesen zu sein, wenn auch zuletzt nicht immer mit Dauerkarte.

Nach dem Sieg über Bayern München schrieben mir befreundete FC-Fans, sie würden es uns dieses Jahr gönnen. Und selbst nach dem Derby-Sieg gab es keine bösen Kommentare. Als der Punkte-Vorsprung auf die Bayern wuchs, kam die Frage auf, welcher Balkon zum Feiern in Leverkusen wohl tauglich sei. Gleichzeitig gab es begrenzte Ticket-Kontingente und zum Vorverkaufsstart digitale Warteräume im Online-Shop. Da las ich: „Deine Nummer in der Warteschlange: 90.709. Wartezeit: mehr als eine Stunde.“

Unnötig zu erwähnen, dass alles ausverkauft war, als ich Stunden später an der Reihe war. Und nun scheint es wirklich so weit zu sein. Wenn Bayer 04 Leverkusen erstmals Meister wird, werde ich einige Tränchen verdrücken. Eine für meinen inzwischen Neunjährigen, dessen größter Wunsch in Erfüllung gehen wird. Denn natürlich hat er das Werkself-Gen geerbt und sitzt mit mir in der BayArena. Und eine für meinen Vater, mit dem ich dieses Ereignis so gerne gefeiert hätte.

Und dann werde ich seine Bayer-Fahne, auf der einst Zé Roberto unterschrieb, aus dem Dachgeschoss meines Elternhauses in Köln hängen. Ich werde es tun. Wenn Bayer 04 Leverkusen tatsächlich zum ersten Mal Deutscher Meister wird.