Die Fan-Ausschreitungen vor und im Stadion des jüngsten FC-Gegners OGC Nizza in der Conference League hat zu großem Entsetzen in der Fußball-Öffentlichkeit geführt.
Hintergründe zu den skandalösen Vorkommnissen.
Die Aufarbeitung der Zuschauer-Krawalle beim Conference League-Spiel zwischen OGC Nizza und dem 1. FC Köln am 8. September ist in vollem Gange. Staatsanwaltschaft, Polizei und UEFA ermitteln, beiden Clubs drohen empfindliche Strafen. Es stellen sich eine Reihe von Fragen.
Was ist beim Spiel des 1. FC Köln in Nizza passiert?
Ein vollständiges Bild der Ereignisse rund um das Spiel zu geben, ist aufgrund der vielen einzelnen Vorkommnisse schwierig. Augenzeugen berichten von einer ersten Auseinandersetzung während des FC-Fanmarsches auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants. Rund ums Stadion machten Hooligans aus Nizza auch auf friedliche FC-Fans Jagd, bewarfen sie mit Steinen und gingen mit Latten auf sie los. Dem ehemaligen FC-Mitarbeiter Tim H. wurde dabei die Nase zertrümmert. Ziel soll auch der Diebstahl der FC-Shirts mit der provozierenden Aufschrift „Europa auffressen“ gewesen sein, mit denen sich die Franzosen unerkannt Zutritt zum FC-Block verschaffen wollten.
Im Stadion initiierten Hooligans des FC und andere aus dem Gästeblock heraus eine Vergeltungsattacke auf den Heimbereich des OGC. In der Folge kam es zu brutalen Auseinandersetzungen. Dabei wurden Messer, Feuerwerkskörper und sogar E-Scooter sowie aus dem ViP-Bereich entwendete Champagner- und Weinflaschen eingesetzt. Offiziell gab es 32 Verletzte, die Dunkelziffer dürfte höher liegen. „Es ist an der Tagesordnung, dass sich Hooligans nach den Schlägereien nicht beim Rettungsdienst melden“, erklärte ein Kölner Polizist. Nach dem Spiel machten OGC-Ultras weiter Jagd auf FC-Fans. Davon berichten unter anderem die Kult-Anhänger „Zwei Kölsch“, die mit dem ehemaligen Mitgliederratsvorsitzenden Stefan Müller-Römer in Nizza waren.
Die FC-Ultras pflegen seit 2003 eine Freundschaft mit den „Supras“, aus der Virage Auteil-Fankurve von Paris St. Germain (PSG). Eine Gruppe, die in Folge einer Auseinandersetzung mit der rechtsextremen Ultragruppe aus der „Kop de Boulogne (KOB)“-Kurve von PSG, bei der 2010 ein Mitglied der KOB zu Tode kam, verboten ist. Mitglieder der Supras und der Wilden Horde treffen sich seit Jahren in Köln und bei Spielen, wie nun in Nizza. Auch Ultras aus Dortmund und Essen sollen sich im Kölner Block aufgehalten haben. Ein „Supras“-Mitglied brach sich bei einem metertiefen Sturz vom Mittelrang (nur) drei Rippen. Der massive Angriff aus dem Gästeblock soll nach übereinstimmenden Augenzeugen-Berichten nicht wie zunächst verbreitet geplant, sondern eine spontane Racheaktion gewesen sein. Aus diesem Grund dürfte sich die „Wilde Horde“ beim FC-Heimspiel gegen Union Berlin mit den „Supras“ solidarisiert haben. Die nicht autorisierte Banner-Aktion in der Südkurve heizte die ohnehin angespannte Lage zusätzlich an.
Wie sah die Sicherheitslage vor Ort in Nizza aus?
Obwohl der 1. FC Köln und die Vertreter der UEFA bei dem obligatorischen Lagegesprächen im Vorfeld der Partie auf die zahlreichen Risiken aufmerksam machten, reagierten die zuständigen Behörden sowie OGC Nizza offenbar nicht. Das berichteten Verantwortliche des FC. Augenzeugen erzählten etwa, dass die eingesetzten rund 600 Polizisten bei den Auseinandersetzungen rund um das weitgehend ungesicherte Stadion tatenlos zugesehen hätten – und auch nicht eingriffen, als FC-Fans in großer Angst sie um Hilfe gebeten hatten. Auf dem Weg ins Stadion gab es nur sporadische, oberflächliche Einlasskontrollen, die Drehkreuze an den Durchgängen waren ausgeschaltet oder zerstört. Die meisten der mehr als 8000 Kölner mussten ihre Tickets auf dem Weg zu ihren Plätzen nicht einmal vorzeigen. Die Polizei ließ elf Minuten verstreichen, bis sie damit begann, die mit nackter Gewalt aufeinander losgehenden Hooligans zu trennen. Im 2013 eröffneten Stadion fehlen jegliche bauliche Blocktrennungen. Es waren zudem nur eine unzureichende Zahl an Ordnern im Einsatz. Für den Transport der FC-Fans standen zu wenig Bahnen und keine Shuttle-Busse bereit. Beim Sammelpunkt an der Fontaine de Soleil in Nizza fehlten Toiletten und Müllbehälter. Auch ein Nährboden für die Motive einer unverbesserlichen Minderheit an Gewalttätern, um den Fußball als Bühne zu missbrauchen.
Die Uefa ermittelt sowohl gegen Kölner als auch OGC-Fans wegen des Werfens von Gegenständen, das Zünden von Feuerwerkskörpern und der Beteiligung an den Ausschreitungen. Nizza sieht sich zudem Vorwürfen der mangelnden Personenkontrollen und fehlenden Sektorentrennung gegenüber. Bei der Kölner Polizei sind bislang rund 200 Hinweise zum Tatgeschehen eingegangen. Außerdem seien den Ermittlern 500 Dateien mit Foto- und Video-Bildmaterial zur Verfügung gestellt worden. „Nun ist der Zeitpunkt für eine akribische Auswertung“, erklärte ein Behördensprecher. Für das FC-Gruppenspiel am Donnerstag gegen den 1. FC Slovacko aus Tschechien habe die Polizei bislang keine Erkenntnisse über bevorstehende Ausschreitungen erhalten. Nach den Vorfällen in Nizza hat die Uefa das Spiel als „Risikospiel“ eingestuft. Um gewalttätige Chaoten aus den Stadion fernzuhalten, empfehlen Experten in Sachen Fußballkriminalität dringend europaweite personalisierte Eintrittskarten.
Welche Konsequenzen drohen den Beteiligten?
Dem FC droht für die Vorfälle in Nizza eine saftige Geldstrafe. Die Uefa verhängte erst am Montag für den Einsatz Pyrotechnik und geworfene Gegenstände beim Playoff-Spiel in Fehérvar eine Strafe in Höhe von 56.000 Euro gegen die Kölner. Zudem droht ein Ausschluss von FC-Fans für die beiden Conference League-Auswärtsspiele in Belgrad und Slovacko. Am Sonntagabend gab es ein Treffen zwischen FC-Spitze und Ultras, die sich schon länger im Dialog befinden. Hauptthema dürfte gewesen sein, dass sich die Fan-Gruppierungen von den Gewalttätern distanzieren und sie ausschließen. "Wichtig ist, eine Debatte darüber zu führen, wie wir mit den Gewalttätern umgehen, die wir nicht identifizieren können. Sie werden auch künftig unter uns in der Kurve stehen und weiterhin die Werte des FC mit Füßen treten, zu denen neben Fairness auch der Gewaltverzicht zählt. Sie lassen keinen Dialog zu. Sie lassen sich nicht identifizieren, sie schützen sich in der Masse. Diesen Schutz finden sie durch eine Mischung aus Tolerierung, Gleichgültigkeit, aber auch Angst seitens der FC-Fans um sie herum", erklärte der FC-Vorstand am Montagabend.
Strenge Kontrollen beim Frankfurt-Spiel
Die stimmungsvollen Bilder mit fröhlichen Eintracht-Fan wie in der vergangenen Saison in Barcelona oder Sevilla wird es am Dienstag nicht geben. Wenn Eintracht Frankfurt zum Champions League-Spiel bei Olympique Marseille antritt, gelten in Folge der jüngsten Ausschreitungen in Nizza sowie der Vorkommnisse rund um das Europa League-Geisterspiel beider Clubs 2018 mit einem Aufenthaltsverbot für Frankfurter Fans scharfe Verhaltensregeln für die 3500 Anhänger des Fußball-Bundesligisten. In vier zentral gelegenen Stadtvierteln ist das Tragen von Frankfurter Fan-Kleidung am Tag vor dem Spiel ebenso verboten wie das Singen von Fan-Liedern. Am Spieltag ist die Anreise zum Stadion nur in bereitgestellten Bussen gestattet. Die Körperkontrollen an den Eingängen werden von Polizisten durchgeführt. So soll ein Aufeinandertreffen gewaltbereiter Fans aus beiden Lagern verhindert werden.
Beim Conference League-Spiel des 1. FC Köln bei OGC Nizza war es am 8. September zu schweren Krawallen im Stadion gekommen. Nach einer Reihe von Vorkommnissen außerhalb des Stadions hatten Gewalttäter aus dem Kölner Block heraus Ultras aus Nizza auf der Tribüne und in deren Block attackiert. Kurz danach starteten Franzosen auf der gegenüberliegenden Tribüne einen Angriff, wurden aber von einer Plexiglasscheibe gestoppt. Nach den Ausschreitungen durften am Sonntag keine OGC-Fans zum Ligue 1-Spiel nach Ajaccio auf Korsika reisen. (sam)