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ProzessauftaktPfleger schlägt, beraubt und vergewaltigt Seniorin in Hennef

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Prozessauftakt vor dem Landgericht in Bonn gegen einen 30-Jährigen, der sich als angebliche Pflegekraft von einer polnischen Agentur hatte vermitteln lassen. In Hennef beraubte und quälte er eine 81-Jährige.

Prozessauftakt vor dem Landgericht in Bonn gegen einen 30-Jährigen, der sich als angebliche Pflegekraft von einer polnischen Agentur hatte vermitteln lassen. In Hennef beraubte und quälte er eine 81-Jährige.

Der 30-Jährige hatte sich als angebliche Pflegefachkraft über eine Agentur vermitteln lassen.

Es war kurz nach Mitternacht, als der polnische Pfleger bei seiner neuen Arbeitsstelle in Hennef eintraf: Bei einem betagten Ehepaar sollte er den bettlägerigen Ehemann pflegen, so die Verabredung mit einer polnischen Pflege-Agentur. Wie verabredet, fand der 30-Jährige den Hausschlüssel zu dem Einfamilienhaus unter der Fußmatte vor dem Eingang. Der Mann schloss auf, zögerte aber wohl nicht lange: Ohne weiteres ging er in das Schlafzimmer, zerrte die 81-Jährige aus dem Bett, fesselte sie mit Seilen an einen Stuhl und knebelte sie.

Das aber war - laut Anklage der Bonner Staatsanwaltschaft - nur der Anfang der Tat, die sich in der Nacht zum 2. August 2024 in dem Haus der Eheleute abgespielt haben soll. Die Anklägerin wirft dem angeblichen Pfleger nicht nur schweren Raub, räuberische Erpressung und Körperverletzung, sondern auch eine Vergewaltigung der 81-Jährigen vor.

Um die Pin-Nummer zu erfahren, soll der Mann die gefesselte Henneferin mit Schlägen gefoltert haben

Seit Mittwoch muss sich der 30-Jährige vor dem Bonner Landgericht verantworten. Die Staatsanwältin trug die Anklage vor, die dem Polen von einer Dolmetscherin übersetzt wurde: Nach Fesselung der alten Frau soll der Angeklagte gezielt Schmuck im Wert von 7000 eingesteckt, aus der Handtasche 400 Euro sowie zwei Scheckkarten genommen haben. Um die Pin-Nummer zu erfahren, soll er die gefesselte Frau mit Schlägen gefoltert haben, bis sie die Geheimnummer preisgab. Anschließend verließ er das Haus, fuhr mit einem Taxi zu zwei Bankautomaten und zog insgesamt 1500 Euro.

Danach kehrte der Mann zum Tatort zurück. Die Anklage wirft ihm vor, er sei erneut ins Schlafzimmer gegangen, habe sich ausgezogen und die Seniorin vergewaltigt. Gegen 3 Uhr morgens fesselte er sie erneut und ließ sich anschließend mit einem Taxi nach Berlin bringen; den Fahrpreis von 1700 Euro zahlte er mit der EC-Karte der Geschädigten.

Da seine Mobilfunknummer bekannt war, er sich auch offiziell auf diese Stelle beworben hatte, hatten die Ermittler eine Spur: Zwei Wochen später wurde der Pfleger am Kölner Hauptbahnhof festgenommen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft.

Der Angeklagte legte am Ende des ersten Prozesstages ein umfassendes Geständnis ab. Die Vergewaltigung nannte er „eine Dummheit“, für die er sich sehr schäme. Damals sei er „krank, dumm und besoffen“ gewesen. Zuvor hatte er freimütig von Verwahrlosung in der Kindheit berichtet, die er bei seiner Großmutter oder in Kinderheimen verbracht hatte.

Erst mit zehn Jahren kam er in die Schule, machte eine Lehre zum Hilfskoch, fiel immer wieder durch Straftaten auf. Ein polnisches Gericht hatte ihn 2018 wegen der vielen Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von knapp sieben Jahren verurteilt; bis 2022 saß er im Gefängnis.

2023 und 2024 soll der Angeklagte als Pfleger insgesamt in sechs Kurzzeitstellen vermittelt worden sein

Nach der Haftentlassung soll er sich mit verschiedenen Alias-Namen bei Pflegeagenturen als „erfahrene Pflegekraft“ beworben haben, der angeblich auch Erfahrungen auf Demenzstationen gesammelt habe. Der 30-Jährige beteuerte, dass die offiziellen Bewerbungen letztlich von den Agenturen geschrieben worden seien. Jedenfalls soll er in den Jahren 2023 und 2024 bis zu seiner Verhaftung insgesamt in sechs Kurzzeitstellen in Privathaushalten oder Pflegeeinrichtungen vermittelt worden sein, bei denen ebenfalls Wertsachen verschwunden sein sollen.

Nur in einem Fall wurde er dafür bislang mit einem Strafbefehl verurteilt. Als Pfleger bei einem Hotelier in Löbau hatte er wenige Tage nach Antritt der Stelle dem behinderten Mann geholfen, die Tageseinnahmen zu zählen. Den Beutel mit 800 Euro nahm er schließlich an sich und verschwand.

„Ich bin völlig fassungslos, ja entsetzt, was sich auf dem Pflegemarkt abspielt“, kommentierte Nebenklage-Vertreterin Dagmar Schorn den Fall am Rande des Prozesses. Da würden Bewerbungen von Pflege-Agenturen ungeprüft, ohne gesetzliche Vorgaben, ohne Führungszeugnisse der Bewerber, geschweige denn Ausbildungsnachweisen, übernommen und die Personen vermittelt.

Die Eheleute aus Hennef jedenfalls werden sich laut Schorn nie mehr „von diesem entsetzlichen Geschehen“ erholen, auch werde die 81-Jährige psychisch nicht in der Lage sein, als Zeugin im Prozess aufzutreten. Die Eheleute, so berichtet es die Rechtsanwältin, hätten nach dieser Nacht ihr Haus, in dem sie ein Leben lang wohnten, nicht mehr betreten können. Auch gäbe es kein gemeinsames Leben mehr: Er wird jetzt in einem Pflegeheim betreut, sie wohnt in einem Seniorenstift.