Neunkirchen Seelscheid – Eine leere Packung Lucky Strike, ein zerknülltes Taschentuch und eine Quittung hat Dorothée Boldt im Malerkittel ihres vor 30 Jahren gestorbenen Vaters entdeckt. Und diese Fundstücke darin bis heute aufbewahrt. Nun hängt der Kittel an einem Haken in der Galerie Sattelgut, ebenso die Baskenmütze, ohne die Johann Josef Mertens nie aus dem Haus ging.
So beschwört die Hausherrin einen kreativen Geist, der natürlich vor allem in den Bildern des Troisdorfer Künstlers lebendig wird. Zu sehen in der Ausstellung zum 100. Geburtstag von Johann Josef Mertens. Für den Ehrentag am 4. April hatte Dorothée Boldt eine Punktlandung geplant, was durch die Pandemie verhindert wurde.
Doch nun leuchten die über 100 Bilder um die Wette. Etwa eine Komposition aus frischen Grüntönen, die mit Flächen in Orange, Blau und Weiß eine Frühlingswiese imaginiert.
Nach dem tristen Corona-Winter ist solch eine Explosion der Farbe hochwillkommen. Sie ereignet sich vor allem in den überwiegend abstrakten Gemälden aus den letzten zwei Lebensjahrzehnten, die Boldt für ihre Schau ausgewählt hat. Die lyrische Spielart des Informel und insbesondere der Tachismus hatte es Mertens seit den 1940er Jahren angetan.
Wie die französischen Kollegen zog er nicht nur gestische Pinselstriche und platzierte kontrastreiche Farbflächen auf Leinwand oder Hartfaser, sondern achtete auch auf die stimmige Wirkung der Valeurs: Dissonanzen gibt es in diesen Bildern nicht, die oft Landschaftliches wie Meeresstrand oder Rheintal evozieren.
Tatsächlich hatte Mertens mit altmeisterlicher Malerei und Zeichnung begonnen. Nach dem Krieg studierte er an der Düsseldorfer Kunstakademie und lebte von Auftragsmalerei, wie einige der frühen Bilder zeigen – etwa eine Ansicht des Sieg-Altarms Diescholl, wo Mertens als Fischerbruder auch ein Boot liegen hatte.
Erst eine erfolgreiche Geschäftsidee erlaubte es ihm seit den 60er Jahren, frei von wirtschaftlichem Druck zu malen: Die Erdbeerplantagen, die er als einer der ersten Landwirte im Rhein-Sieg-Kreis für Selbstpflücker anlegte, warfen genug zum Leben ab.
„Mein Vater hatte die Begabung, Klänge und Musik in farbige Kompositionen zu verwandeln“, sagt Dorothée Boldt. Klassik, aber manchmal auch Pink Floyd, regte ihn an, stärkte den Sinn für Rhythmus, Proportion und Kolorit, der aus diesen Bildern spricht. Meist bevorzugte Mertens eine weiße Grundierung, vor der sich die Farben strahlend entfalten.
Galeristin hat noch Tuben mit Mertens' Ölfarben
Doch er experimentierte auch mit schwarzem Samt als Bildgrund, aus dem Farbkörper wie aus der Unendlichkeit des Alls hervortreten. Oder er verwendete Sand, trug in zahllosen Schichten die Farbe auf, kratzte sie mit dem Spachtel teilweise wieder ab. So entstanden plastische Strukturen, die an Prozesse von Verwitterung, Erosion und Auflösung erinnern.
Von den Ölfarben, die Mertens benutzte, sind noch zahlreiche Tuben erhalten. Dorothée Boldt verwendet sie nun im eigenen Atelier, das sie sich während der Pandemie eingerichtet hat. Das väterliche Erbe – Liebe zur Farbe und Begabung zur Heiterkeit – trägt sie in in ihren eigenen Bildern weiter.
Die Ausstellung ist in der Galerie Sattelgut, Pinner Straße 10a, bis 4. Juli Samstag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung zu sehen. Eine Anmeldung unter 02247/757100 ist erforderlich.