Bronx, Carnegie Hall, SeelscheidDer ungewöhnliche Weg von Sänger Boysie White
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Boysie White ist als drittes von zehn Kindern in der New Yorker Bronx geboren und aufgewachsen.
Er dirigierte früher Chöre in Köln und Düsseldorf und leitet heute Workshops in ganz Europa.
Seine Frau Sabine lernte er bei einer Firmenfeier in Niederkassel kennen.
Neunkirchen-Seelscheid – Die Sonne verabschiedet sich gerade, der Abendhimmel taucht die grüne Hügellandschaft und die Skyline von Seelscheid in gelb-rötliches Spätsommerlicht. Auf der Terrasse seines Hauses blickt Boysie White (60) auf das Display eines Mobiltelefons, auf ein Musikvideo: „Nearer my god to thee“ singt die Junge Singfonie in der Wallfahrtskirche in Hennef-Bödingen. Leise singt White mit. „Wenn schon alle Stimmen da sind, Boysie findet immer noch eine dazwischen“, sagt Ehefrau Sabine White. Später lauscht ihr Mann den Klängen der bunten Brassband „Querbeat“, auch die findet er cool.
White glaubt an das perfekte Gehör
White nimmt alles auf: „Mein Kopf ist mein Rekorder.“ Dabei kann der Sänger, Entertainer, Regisseur und Texter gar keine Noten lesen. Harlem-Gospel-Singers, Tournee in Europa mit dem Ensemble des Hair-Musicals – zu keinem Zeitpunkt war dies für den gebürtigen US-Amerikaner ein Handicap für eine internationale musikalische Karriere. Er glaubt an das perfekte Gehör, entdeckt jeden Ton in seiner Umgebung wie ein Pfadfinder „das ist eine Gabe, für die ich Gott unendlich dankbar bin.“
Boysie White, als drittes von zehn Kindern in der New Yorker Bronx geboren und aufgewachsen, entdeckte schon früh seine Liebe zur Musik. Die alleinerziehende Mutter schickte ihren Kleinen in die Kirche, dort wusste sie ihn gut aufgehoben und konnte selbst zumindest in solchen Stunden langsamer treten. Mit Mühe gelang dem damals Zehnjährigen und seinem besten Freund die Aufnahme in den Chor mit ausschließlich erwachsenen Mitgliedern. „Die Kirche war mein Probenraum“, erklärt er. Die Jahre im Gospelchor und zuhause die Mutter, eine glühende Verehrerin der Musik von Aretha Franklin, Al Green oder James Brown – das alles legte den Grundstein für ein Leben mit Jazz, Soul, Pop und Gospel.
Kann jemand Gospel lernen, diese unverwechselbare Art der schwarzen Kirchenmusik, der nicht damit aufgewachsen ist, ebenso wie klassischen Gesang, Schlager oder Pop? White wird nachdenklich. „Es geht schon. Mit viel Probenarbeit kann es sein, dass du es zu einer guten Bühnenreife bringst. Dann bist du bei 45 Prozent. Der Rest ist etwas anderes, Du musst es haben – und du brauchst Glauben.“
Der Mann weiß, wovon er spricht. White sang bei „The best of broadway“ und trat in vielen Hallen, darunter auch in der legendären Carnegie Hall in New York auf, entschied internationale Wettbewerbe im Apollo-Theater in Harlem für sich.
Mit den Höhnern auf der Bühne
Heute leitet er Workshops in ganz Europa, begeisterte als Verstärkung für die Backstreet Boys unplugged (RTL), den Weather-Girls oder als Studiosänger, Texter und Arrangeur – und natürlich mit ganz eigenen Performances auf unterschiedlichsten Konzert- und Eventbühnen. Und er stand mit den Höhnern („Das sind großartige Jungs“) in der Kölnarena vor tausenden Fans. Brings und Paveier traf er, sang Backing Vocals beim Konzert am Tanzbrunnen.
Nach wie vor ist der passionierte Hobbykoch aufgeregt vor großen Auftritten. Aber genauso wie die großen Gigs genieße er die kleineren Veranstaltungen, Partys oder Hochzeiten, für die er gebucht wird: „Da ist man nah dran am Publikum.“
Einen Chor in Deutschland gründen mit jungen Stimmen, eine eigene Band und eine Zusammenkunft mit Sängerinnen und Sängern unterschiedlicher Nationen in den USA schweben ihm vor, das ist seine Zukunftsmusik. White weiß gut, wie er das Publikum für sich gewinnt, holt zuweilen einen überraschten Gast zu sich hinauf. Während er singt, sein Körper mit Takt und Rhythmus verschmelzt, ist er auf der Suche nach agiler Körpersprache bei den Besuchern, scannt die Reihen, fokussiert die Bewegungen seiner Fans. Beim Gospelkonzert des LivinGospel Choir Anfang November 2017 in der Troisdorfer Stadthalle entdeckte er Gisela Wurmbach (75), holte sie aus der ersten Reihe auf die Bühne, sang und tanzte mit der Niederkasselerin. „Sie ging mit, wippte mit dem Fuß und bewegte sich, da war Feuer“, erklärt der 60-jährige Entertainer später im Gespräch mit dieser Zeitung in seinem Haus in Seelscheid. „Das zählt, darauf kommt es an bei Gospel und Soul, überhaupt in der Musik.“
„Kommt an Karneval, dann ist es hier unglaublich“
Gerne richtet der Amerikaner den Blick nach oben, schaut offenbar innerlich über den großen Teich zur Familie in der Bronx, zur Kirche seiner Kindheit. Dort heiratete der, wie er sich selbst nennt „Embassador of Love“, 2006 die blonde Sabine aus Berlin. Bei einer Firmenfeier im Clostermannshof in Niederkassel hatte er sie entdeckt: erst die Stimme, dann die Frau seines Lebens. Damals tingelte er noch durch die Kölner Südstadt, wohnte in Ehrenfeld und dirigierte einen Chor in Köln, einen in Düsseldorf.
Heute gehört auch Moses dazu. Mit dem schwarz-weißen Mischlingshund geht White zum Bäcker in Seelscheid und in den Supermarkt. Moses ist bei den täglichen Proben dabei. Den Freunden und der Familie in den USA raten die Whites: „Kommt an Karneval, dann ist es hier unglaublich.“