Erftstadt-Bliesheim – Chiara hat keine Erinnerung an das Unglück. Nur aus Erzählungen weiß sie, was ihr am Morgen des 15. Juli passiert ist – als die Flut kam und die 16-Jährige half, die Pferde von Gut Waldsee zu retten. Freitagmorgen ist sie auf der Intensivstation der Uniklinik Köln aufgewacht. Kieferbruch, Schädelbasisbruch, Schädel-Hirn-Trauma, noch im Rettungswagen hatte die Notärztin das Mädchen ins künstliche Koma versetzt.
Beim Aufwachen war Chiaras erste Frage: „Wo ist meine Mama?“ Die zweite: „Wo ist das Pferd?“ Und die dritte: „Ist jemand verletzt worden?“ An die Antwort des Krankenpflegers erinnert sie sich genau: „Ja, du.“ Vier Wochen später sitzt die 16-Jährige im Garten ihres Elternhauses in Bliesheim. Kopf und Gesicht wirken unversehrt. Der Kiefer ist gerichtet, später müssen Platten wieder entfernt werden. Am 28. Juli konnte sie das Krankenhaus verlassen.
Hochwasser in Erftstadt: Feuerwehrmann schrie Chiara an
Am Unglücksmorgen hatte sie mitbekommen, dass die Tiere aus dem unaufhörlich steigenden Wasser geholt werden mussten. Chiara und ihre Mutter haben dort auch ein Pferd untergebracht. „Ein Feuerwehrmann hat mich angeschrien, ich solle wegbleiben“, erzählt sie. Daraufhin sei sie durchs Gebüsch geschlüpft. „Der Mann hatte recht“, weiß sie im Nachhinein. „Aber sowas von recht!“ Sie sei ansonsten ein sehr ängstlicher Mensch, außer im Umgang mit Pferden. „Ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht, was passieren kann.“
Sie nimmt ein Pferd ans Halfter, die Stute Kahira. Chiara weiß, dass das Tier sehr ängstlich ist. Irgendwann im Chaos aus Sirenengeheul, Hubschraubergetöse und Geschrei tritt Kahira. „Sie hat mich nur am Kinn geschrappt“, sagt die 16-Jährige. Sie sei hingefallen und wieder aufgestanden. Der zweite Tritt trifft sie an der linken Kopfseite.
Rettungshubschrauber kann nicht in Bliesheim landen
Was dann geschieht, liegt für Chiara in gnädigem Dunkel. Ihr Onkel und ein Freund kümmern sich um das Mädchen, dem das Blut aus dem Ohr strömt. Jemand kämpft sich zu den Rettungskräften durch, Telefonieren geht ja nicht. Und der Rettungshubschrauber kann nicht landen.
Sie habe noch Kopfschmerzen und sei müde, erzählt die 16-Jährige. Doch die Ärzte hätten gesagt, sie könne nach den Ferien zur Schule. Nur Sport sei noch verboten. Und – das Schlimmste – das Reiten. Zumal sie wegen der Beulen keinen Helm aufsetzen könne. Ihr eigenes Pferd hat sie längst wiedergesehen, jetzt möchte Chiara unbedingt Kahira besuchen. „Ich möchte sie in den Arm nehmen und streicheln. Sie hatte ja solche Angst.“
So ist nach dem Hochwasser die Lage auf Gut Waldsee
Die Reithalle sieht schon wieder gut aus. Julia Roesgen fährt mit einem kleinen Hoftruck Holzschnitzel hinein, mit Sand vermischt wird das der neue Boden. Die Bande ist schon erneuert. Das Wasser hatte hier wie in den Ställen brusthoch gestanden. Aufgeben ist keine Option für die 40-Jährige, die den Familienbetrieb auf Gut Waldsee führt.
Die meisten Pferde grasen wieder ganz entspannt auf den Wiesen rund um den Hof am Rand von Bliesheim. An dem Morgen, als das Hochwasser das Gelände flutete, waren alle erst einmal in Richtung der Straße Lange Heide gebracht worden. „Die Nachbarn dort haben auf den Wiesen Behelfszäune gebaut aus allem, was sie irgendwie verwenden konnten, erzählt Julia Roesgen. Auch auf dem Gelände, auf dem normalerweise die Schafe und Ziegen des Naturschutzbundes grasen, fanden Pferde Zuflucht.
Als das Wasser abfloss, blieb ein Bild der Zerstörung. Die Zäune zertrümmert, die Boxen vollgelaufen. Nach vier Wochen Arbeit mit unzähligen Helfern soll allmählich wieder Normalität einkehren.