Einige Bergisch Gladbacher Bürger sind unzufrieden mit der Politik in ihrer Stadt.
Statt zu schimpfen nehmen sie die Sache selbst in die Hand und gründen die Freie Wählergemeinschaft, die 2020 bei der Kommunalwahl antreten soll.
Sie wollen Grünflächen und Lebensqualität in Bergisch Gladbach erhalten – ihre Pläne haben auch Auswirkungen auf Köln.
Bergisch Gladbach – „Die Bürgerbeteiligung zur Stadtwiese war eine Farce“, schimpft der Architekt Wilfried Förster. Auch er sei maßlos enttäuscht, sagt Albert Stodko, ehemaliger Offizier der Bundeswehr und Fachmann für Kommunikationstechnologien: „Ich fühle mich verarscht.“
Schlechte Stimmung im Bergisch Gladbacher „Gasthaus am Bock“. 15 Mitglieder von zwölf Bürgerinitiativen sind gekommen, um ihrem Ärger Luft zu machen. Keine Gelbwesten, die voller Zorn Straßenblockaden errichten. Keine Wutbürger, die sich frustriert radikalen Parteien anschließen.
Ganz normale Menschen, die unzufrieden sind, wie die Dinge in Bergisch Gladbach laufen. „Aber wir werden nicht zugucken, wie die Stadt vor die Hunde geht“, sagt Marc Schneider. „Unsere Verärgerung ist eher Motivation weiterzumachen“, betont Benno Nuding, Leitender Oberarzt am Evangelischen Krankenhaus in Bergisch Gladbach.
Und weil das so ist, haben die Initiativen eine Freie Wählergemeinschaft gegründet, die bei der Kommunalwahl 2020 antreten will. Entbrannt ist der Konflikt mit Stadt und Politik am neuen Flächennutzungsplan (F-Plan) – einem planerischen Instrument, das die bauliche Entwicklung von Kommunen zum Teil für Jahrzehnte im Voraus steuert. In Bergisch Gladbach umfassen die stadtweiten Ausweisungen zu Bauland weite Teile geschützter Naturräume wie der Bergischen Heideterrasse und des Königsforsts.
Für ihren Protest hatten sich die Bürgerinitiativen zu einem Bündnis zusammengetan. Ihr gemeinsames Ziel: der Erhalt der Grünflächen und der Lebensqualität in ihrer Stadt. Die teils sehr emotional geführte Debatte um die Zukunft gipfelte darin, dass Mitglieder aus den Reihen der Initiativen die Wählergemeinschaft ins Leben gerufen haben.
Neue Bündnisse sind ein bundesweites Phänomen
Ein Phänomen, das bundesweit immer häufiger zu beobachten ist: Auch die Geschichte der F-Plan-Gegner erzählt, wie die Interessen von Einzelnen so hartnäckig in Konflikt mit etablierten Parteien geraten können, bis irgendwann gar nichts mehr geht. Wie sich diese Menschen nicht vertreten fühlen von der Politik. Und wie der Frust entsteht.
Lothar Eßer ist einer dieser Menschen. Eigentlich interessiert sich der 51-Jährige nicht für Lokalpolitik. Er begeistert sich für Oldtimer, erstellt als Produktmanager Marketingkonzepte für den IT-Großhandel. Mit seiner Familie wohnt er in Nußbaum, einem 1100 Seelen-Stadtteil von Bergisch Gladbach, drei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt.
Erst die Nachricht, dass die große Wiese direkt vor seiner Haustür zu Bauland werden soll, ist der Funke, der das Feuer bei ihm entfacht. Seit zwei Jahren dreht sich für ihn fast alles nur noch um den F-Plan: „Im Monat 20 Stunden, wenn das reicht.“
Vier Aktenordner des Ärgers
An diesem Nachmittag hat Eßer alles noch einmal hervorgeholt. Vier dicke Ordner stehen vor ihm aufgereiht auf dem Wohnzimmertisch. Er runzelt die Stirn bei der Sorge, dass er seinen Enkelkindern vielleicht nichts mehr von der Wiese zeigen kann als Fotos. „Wir brauchen den Wald und die Grünflächen. Sie sind unsere Zukunft.“
Wenn Eßer auf die Nußbaumer Wiese tritt, sieht er in der Ferne die Spitzen des Kölner Doms. Umrandet von Laubbäumen ist die Lichtung eine Insel aus Gras. Auf dem Wanderweg sind Spaziergänger unterwegs. „Manchmal kreist hier ein Rotmilan-Pärchen“, erzählt Eßer. Im Wald haben sich auch Fledermäuse, darunter geschützte Arten, eingenistet. „Das hier ist einer der wenigen Freizeitparks, die es überhaupt noch in der Stadt gibt“.
Aber vor allem: „Das ist die Klimaanlage unserer Stadt und die schaltet man nicht einfach ab“, weist Eßer daraufhin, dass das Gelände als Kaltluft-Entstehungsgebiet für Gladbacher und Kölner Stadtteile dient. Im neuen Flächennutzungsplan sind sieben des elf Hektar großen Areals als potenzielles Bauland vorgesehen. Das sind etwa zehn Fußballfelder. Eßer hat es genau vor Augen, wie im Zeitraffer sieht er alles vor sich: Nur in der Mitte soll eine Schneise als Aussichtsplattform auf Köln unbebaut bleiben.
Kritik der Bürger wurde nicht gehört
Eßer und die anderen sind ernüchtert, dass ihre Kritikpunkte zu wenig berücksichtigt wurden. Der Sturm der Empörung gegen die Einzelbewertung der Grundstücke hat sich in der ersten Runde des Planverfahrens mit 4400 Eingaben entladen, im zweiten Durchgang sind es 2300 Stellungnahmen. Die Argumente der Bürger liegen auf hohem fachlichem Niveau, ebenbürtig dem der Naturschutzverbände. „Hunderte von Seiten, die ganze Arbeit, alles für die Tonne“, ärgert sich der 51-Jährige. Kritisiert werden etwa Verstöße gegen den Artenschutz von Vögeln und Pflanzen oder die EU-Wasserrahmenschutzlinie.
„Das macht die inhaltliche Auseinandersetzung lästig“, glaubt Eßer, „unsere Lösungsangebote wie die Schließung von Baulücken haben bei den Adressaten in Politik und Verwaltung eher Abwehr ausgelöst als Dankbarkeit.“ Die Sache wäre womöglich noch zu retten gewesen, wenn die Stadtverwaltung mit Transparenz reagiert hätte. Vielleicht.
Dokumente zu spät zugänglich gemacht
Aber so kommt es nicht. Die Sache schaukelt sich hoch. Weil die Bebauungs-Gegner sich missachtet fühlen. Weil ihnen Dokumente verspätet zugänglich gemacht werden. Weil ihnen ein Rederecht in den Fachausschüssen verwehrt wird. Weil die Mehrheitsfraktionen von CDU und SPD sich das Projekt schon längst zu eigen gemacht haben, bevor sie es im Dezember 2018 endgültig absegnen. Jedenfalls kommt es bei den enttäuschten Bürgern um Lothar Eßer so an.
Auf der Gegenseite argumentiert Bürgermeister Lutz Urbach mit dem Gesamtwohl der Stadt und macht kein Geheimnis daraus, dass er sich insbesondere im Gewerbebereich noch mehr Flächenausweisungen gewünscht hätte. Dass es nun eine neue politische Kraft in der Stadt gibt, stimme ihn nicht nachdenklich: „Ich freue mich über jeden Menschen, der sich den Mühen der Kommunalpolitik stellt.“
Urbach betont, die Verwaltung habe mehr als die bürokratisch üblichen Beteiligungsverfahren durchgeführt, um die Bürger einzubeziehen. CDU und SPD weisen aber auch auf die Grenzen der Bürgerbeteiligung hin. Die Stadtverordneten seien die gewählten Repräsentanten, die die Bevölkerung vertreten. Zudem seien in der ersten Planungsphase die Flächen für Wohnen und Gewerbe außerordentlich verringert worden.
Botschaft des Wachstums
Diese Botschaft des Wachstums jedenfalls, sollte sie schlüssig sein, ist bei vielen Betroffenen nicht ankommen. Für die Bürger ist nicht nachvollziehbar, wie Argumente für oder gegen ein Grundstück abgewogen wurden. Die Gruppe, die sich im Gasthaus trifft, vermisst einen echten Dialog. „Deshalb ist die neue Wählergemeinschaft auch ein positives Zeichen für die Demokratie“, meint Benno Nuding, Vorsitzender der Gruppierung. Heike Leipertz, Reisemanagerin, hat noch etwas anderes, positives gefunden: „Solidarität.
Es ist eine richtige Gemeinschaft entstanden.“ Auch wenn unklar ist, wie erfolgreich die Arbeit der Freien Wähler sein wird: Sie bringen einen starken Rückhalt in der Bevölkerung mit. Bei der Kommunalwahl könnte ein gutes Wahlergebnis herauskommen.
Lothar Eßer hat über den Kampf um die Natur erst begonnen über seinen eigenen Lebensstil nachzudenken. Er ärgere sich im Nachhinein über jeden Kaugummi, den er mal auf die Straße gespuckt habe. Für ihn ist ein Ende des Streits erst dann abzusehen, „wenn sich alle an einen Tisch setzen und wirklich miteinander reden würden.“ Aber danach sieht es im Moment nicht aus.