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Interview mit Heiner Brand„Bei einem Aufstieg muss einiges passieren“

Lesezeit 7 Minuten
Heiner Brand

Heiner Brand

  1. Der Vfl ist in diesem Jahr zum ersten Mal in die Zweite Bundesliga abgestiegen.
  2. Ex-Bundestrainer Heiner Brand steht wie kaum ein anderer für die erfolgreichen Zeiten des Vereins.
  3. Im Interview spricht er über die Gründe des Abstiegs und Handball im Oberbergischen.

Hinter den Handballern des VfL Gummersbach liegt ein turbulentes Jahr mit dem erstmaligen Abstieg in die  Zweite  Bundesliga. Andrea Knitter sprach mit  Heiner Brand, der wie  kaum ein anderer für die ruhmreichen Zeiten des VfL steht, über das  Jahr und über den Stellenwert des Handballs.

Hätten Sie Anfang 2019 gedacht, dass der VfL absteigen könnte?

Die Befürchtung hatte ich schon lange, nachdem der VfL in den vergangenen Jahren immer gegen den Abstieg gespielt hat. Das es aber wirklich passieren würde, konnte ich mir nicht vorstellen. Ich habe die Möglichkeit verdrängt. Dann kam am letzten Spieltag auch noch Pech dazu. Auf der anderen Seite, wer dann nur 14 Punkte auf dem Konto hat, der hat es auch nicht anders verdient. Wenn man ehrlich ist, führte die Entwicklung in den vergangenen Jahren ja dahin.

An was machen Sie die Entwicklung fest?

Durch die verletzungsbedingten Ausfälle der Mittelmänner, zunächst Simon Ernst und in der vergangenen Saison Drago Vukovic, gab es keinen Führungsspieler. Mir hat aber auch die Mentalität der Mannschaft nicht gefallen. Wenn man eine der schwächsten Mannschaften in der Bundesliga ist, muss man das mit Disziplin und mannschaftlicher Geschlossenheit wettmachen.

Wie meinen Sie das?

Beim VfL hat sich jeder das Recht herausgenommen, Fehler zu machen, und das geht nicht. Man muss sich an die Vorgaben halten. Dass es anders gehen kann, hat der VfL 1991 gezeigt, als fünf Mannschaften in der Bundesligaliga deutlich besser besetzt waren, wir das aber mit Teamgeist und Disziplin wettgemacht haben und erster gesamtdeutscher Meister wurden. Das ist zwar schon länger her und die Spielweise hat sich verändert, nicht aber die Wege zum Erfolg.

Sie konnten sich nicht vorstellen, dass der VfL jemals zweitklassig wird. Hätten Sie andererseits gedacht, dass die Zuschauer dem VfL nach dem Abstieg mehr denn je die Treue halten würden?

Als es dann passiert ist, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass nach dem Abstieg teilweise über 3000 Besucher zu den Spielen der 2. Liga in die Halle kommen. Dass sie es tun, liegt vielleicht an der Mentalität der Oberberger, die ihren Verein jetzt erst recht unterstützen. Ich gehe selbst mittlerweile vor allem als Fan in die Arena, muss aber sagen, dass ab und zu auch noch der Trainer durchkommt.

Bei welchen Dingen vor allem?

Ich sehe die jungen Leute auf einem guten Weg. Ich finde es aber schade, dass Jonas Stüber, der eine Trefferquote von knapp 90 Prozent hat, in der Abwehr ausgewechselt werden muss.

Das war auch schon im Jugendbereich so, und damit hat man in seiner Ausbildung etwas verpasst, als man nur auf den Angriff setzte. Trotzdem, die Entwicklung von Spielern wie Stüber, Luis Villgrattner, Yonatan Dayan oder Fynn Herzig ist Ansporn für die Handballakademie.

Zum Jahresende steht der VfL in der Spitzengruppe der Zweiten Liga, hat Chancen auf den direkten Wiederaufstieg. Ist die Mannschaft schon soweit?

Der Aufstieg kann sicher gelingen, aber ob es dann in der Bundesliga reicht, wird sich zeigen. Da müsste schon einiges passieren. So fehlt der Mannschaft ein wirklicher Führungsspieler. Es sind auch weiterhin finanzielle Altlasten da. Man muss also mit relativ wenig Geld viel machen. Dafür wird ein gutes Scouting gebraucht, wie es beispielsweise die HSG Wetzlar über viele Jahre praktiziert und über das wieder gute Leute nach Gummersbach geholt werden können.

Auch wenn der Aufstieg auf zwei Jahre ausgelegt ist, was meinen Sie, würde passieren, wenn der VfL ein weiteres Jahr in der Zweiten Liga bleibt?

Das wäre sicher ein Schritt zur Konsolidierung des Vereins und der Mannschaft, da man einen weiteren Schritt nach vorne machen könnte, ohne finanzielle Risiken einzugehen.

Ich weiß aber nicht, ob die Zuschauer die Geduld haben und die Mannschaft noch ein weiteres Jahr in dieser Form in der Zweiten Liga unterstützen werden.

Sie verkörpern wie kein Zweiter die erfolgreichen Zeiten des VfL Gummersbach und sind in Sachen Handball nicht nur bundesweit unterwegs. Werden Sie oft auf den VfL angesprochen?

Der VfL Gummersbach ist nach wie vor einer der bekanntesten Vereine der Welt. Ich werde oft nach den Gründen gefragt, wie es zu dem Abstieg kam.

Was haben Sie als Gründe ausgemacht?

Da ist einerseits die finanzielle Entwicklung. Wenn ich bei meinem Pizzabäcker Tino zum Essen bin und auf den Fotos an der Wand sehe, welche Spieler in den 2000er Jahren für Gummersbach angetreten sind, war das sportlich schon toll. Auf der anderen Seite wird heute noch dafür bezahlt. Es wurden sicher auch andere Fehler gemacht, deren Erörterung an dieser Stelle aber zu weit führen würde. Trotz aller Probleme und der herrschenden Euphorie, die Erste Liga ist schon passender für den VfL Gummersbach.

Wie sehen Sie den Handball überhaupt aufgestellt? Auch in einer Handball-Region wie dem Oberbergischen Kreis gibt es immer weniger Mannschaften.

Lässt man den Fußball außen vor, sehe ich den Handball besser aufgestellt als andere Sportarten. Auch die kämpfen damit, dass ihnen die Kinder und Jugendlichen wegbrechen und haben alle Riesenprobleme. Das ist eine Entwicklung, die man nicht aufhalten kann und von der selbst der Fußball nicht verschont geblieben ist.

Dabei ist der Handball eine gute Schule fürs Leben. Handball kann Vorbildwirkung haben insbesondere im Vergleich zu Profifußball, wo Schauspielerei, brutale Fouls, aggressives Verhalten gegenüber Schiedsrichtern und idiotische Jubelszenen an der Tagesordnung sind.

Was sind die Gründe dafür, dass immer weniger Jugendliche Handball spielen wollen?

Wie gesagt, das gilt nicht nur im Handball sondern für alle anderen Vereinssportarten auch. Kinder und Jugendliche wollen sich nicht mehr binden und sich nicht in einer Mannschaft verpflichten, daher zieht es sie häufig zu den Funsportarten.

Kann die Nationalmannschaft dabei helfen, den Handball wieder mehr in den Fokus zu rücken?

Das kann sie ganz sicher. Wie groß das Interesse an der Nationalmannschaft ist, haben die hohen Einschaltquoten im Fernsehen gezeigt, bei denen die deutschen Handballer vor den Fußballern lagen. Deshalb war ich auch schon als Bundestrainer dafür, in jedem Jahr ein großes Turnier zu spielen, wie jetzt im Wechsel von Welt- und Europameisterschaft.

Die Bundesligavereine klagen aber über die hohe Belastung für ihre Spieler.

Das gilt für die Spitzenvereine, die neben der Bundesliga auch noch in der Champions League antreten. Bei ihnen kommen neben der hohen Anzahl von Spielen auch noch die Reisestrapazen hinzu.

Diese Belastung haben Sie aber nicht gemeint, als sie kritisiert haben, dass es in Ihren Augen zu viele verletzte junge Spieler gebe.

Nein. Ich registriere, dass es auffällig viele verletzte junge Spieler gibt. Damit meine ich Simon Ernst, Tim Suton, Moritz Preuss, aber auch Paul Drux oder Fabian Wiede, die sich schon in den vergangenen Jahren mit vielen Verletzungen herumgequält haben. Ich denke, dass sie schon in jungen Jahren zu großen Belastungen ausgesetzt sind. Die jungen Handballer spielen oft in bis zu drei verschiedenen Mannschaften, haben neben Schule oder Ausbildung noch die Reisestrapazen. Dazu kommt zu häufiges und manchmal auch falsches Training. Da wäre ein Erfahrungsaustausch unter den Verantwortlichen aus Liga und DHB erforderlich.

Zurück zum Stellenwert des Handballs. Die Sportart ist unter dem Titel „Wenn es nicht kracht, ist es nicht Handball!“ erstmals mit einer Veranstaltung bei der LitCologne, dem überaus erfolgreichen zweiwöchigen Literaturmarathon in Köln, vertreten. Sie nehmen auf dem Podium mit Pascal Hens, Stefan Kretzschmar, Sophie Passmann und Panagiota Petridou Platz. Waren Sie von der Anfrage überrascht?

Eigentlich schon, ich fand es aber sofort interessant, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen, bei der es nicht alleine um Handball, sondern auch um das ganze Drumherum geht. Erstaunt war ich, dass die knapp 1000 Karten für das Theater am Tanzbrunnen in nicht einmal acht Stunden ausverkauft waren.