Krippe mit HelfernSo wird im von der Flut zerstörten Ahrtal Weihnachten gefeiert
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Bad Neuenahr-Ahrweiler – Mit verschlammten Schubkarren, Eimern und Werkzeug ziehen Helfer am Marktplatz von Ahrweiler zum Jesukind. Es sind Schaufensterpuppen, ausstaffiert mit Uniformen von Feuerwehr, DRK, THW und anderen Hilfsorganisationen, die an der Weihnachtskrippe das Kind im Stroh umringen und den Drei Königen die Schau stehlen. Die gekrönten Häupter stehen abseits in einem anderen Teil des vom durchnässten Putz befreiten Raumes der Alten Stadtwache.
Touristen wurde der Prachtbau gerne als „Altes Rathaus“ vorgestellt, weil von hier aus übergangsweise ab 1797 der Rat die Stadt verwaltete. Doch der Prunk ist ab in einer Stadt, in der erst jetzt die zerstörten Ladenlokale nach und nach wieder Fenster erhalten und nicht jeder eine Heizung hat. Gold, Weihrauch und Myrrhe sind fünf Monate nach der Flut reine Nebensache.
Gipsfiguren bekamen bei der Flut nur nasse Füße
„Sie sind noch unterwegs“, sagt Werner Knieps trocken und zeigt auf die Könige, die mit ihrem Kamel an einem Lagerfeuer zu kampieren scheinen. Der Leiter des Orga-Teams der Pfarrei St. Laurentius spielt auf die Politiker und Spender an, die das Werk Abertausender Helfer im zerstörten Ahrtal mit Geld und Sachspenden unterfüttern. Die Helfer stehen indes ganz nah bei der Heiligen Familie.
Als die Ahr in der Nacht zum 15. Juli auf 800 Metern Breite meterhoch mit brachialer Gewalt durch die Stadt strömte, fast alle Brücken fortriss, Häuser einstürzen ließ und komplett den Inhalt aus Kellern und unteren Wohnetagen herausspülte, standen die Gipsfiguren der Weihnachtskrippe hinter der Kirche, im Organistenhaus, gerade hoch genug in einem alten Bauernschrank: Maria, Joseph und all ihre Begleiter bekamen bloß nasse Füße – das Jesukind lag sogar auf einem höheren Fach ganz im Trockenen. Das Wasser floss schnell genug ab, so dass die kräftig mit Lack überzogenen Figuren nicht aufquollen. „Den Stall, den wir 1994 mit Brettern aus einem bayrischen Heustadel gezimmert haben, hat die Flut mitgenommen. Die Bilder der Tore von Ahrweiler und Bethlehem auch“, bedauert Knieps.
Viele Kirchen und Kapellen sind nicht nutzbar
Seit Beginn des vorvorigen Jahrhunderts hatte die Krippe Generation um Generation an Weihnachten in der Kirche Freude bereitet, die ab 1269 errichtet wurde – noch im selben Jahrhundert, in dem Konrad von Are-Hochstaden den heutigen Kölner Dom in Auftrag gab und die Stadt Ahrweiler gründete. Planen verhüllen die mittelalterliche Wandmalerei in dieser ältesten gotischen Hallenkirche des Rheinlands. Die Holzbänke stehen beim Restaurator. Den Steinboden hat ein Kleinbagger herausgerissen, die Heizung im Keller ist Schrott.
„An der Platte vor dem Altar, unter der Gebeine von Kriegstoten ruhen sollen, ist ganz behutsam gearbeitet worden. Es wurden aber auch nur wenige Zentimeter entfernt“, erklärt der Hausherr, der Ahrweiler Dechant Jörg Meyrer. In der Hochwassernacht erlebte er, wie das Wasser vorne im Pfarrhaus hinein und hinten wieder heraus lief. Mit Klebeband gelang es ihm, Nebenräume abzudichten.
Die größten Kirchen in der Stadt und einige Kapellen sind wegen der Schäden nicht zu nutzen. Ein Abriss der Piuskirche auf der Grenze zwischen den einstigen Städten Ahrweiler und Bad Neuenahr ist immer noch nicht ausgeschlossen. Die evangelische Gemeinde hat gar keine Kirche mehr, weshalb an Heilig Abend im Kurpark von Bad Neuenahr im Zelt ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert wird. Für 185 Besucher ist Platz. Aus dem Ortszentrum von Bad Neuenahr geht es nur über eine Notbrücke dorthin. Sie ist so schmal, dass dort Maskenpflicht angeordnet ist.
Predigt schreibt sich in diesem Jahr wie von selbst
Auch die Menschen aus der Pfarrei St. Pius müssen über die Ahr – nach Bachem in die Anna-Kapelle. Sofern der Platz reicht. Die Pfarrei Ahrweiler feiert indes die Geburt des Herrn am Kloster Kalvarienberg, dem seit 2017 verlassenen, einstigen Weltsitz des Ursulinenordens. „Um 16.30 Uhr gibt es eine Kinderkrippenfeier in der Kirche, die Christmette, die um 22.30 Uhr beginnt, soll draußen, im Klostergarten, stattfinden“, sagt Meyrer. Seine gesamte Mannschaft mit Priestern, Küster und Organist ist an Bord, und so plant er wie in Jahren ohne Flut und ohne Corona. Doch die Pandemie diktiert, wie viele Besucher eine Messe haben darf. „Auf dem Kalvarienberg ist drinnen wenig Platz. Da bin ich froh, wenn nicht zu viele kommen, damit wir die Abstände einhalten können.“ Dechant Meyrer vermutet aber, dass die meisten Gläubigen „zu müde und kaputt vom Aufräumen nach der Flut sind, um sich noch zu einem Gottesdienst aufzumachen“.
Die Predigt wird sich in diesem Jahr wie von alleine schreiben, sagt Meyrer: „Weihnachten ist ein Fest, bei dem in die dunkle Nacht ein Licht gestellt wird. Da bin ich schnell von Bethlehem in Bad Neuenahr-Ahrweiler“, sagt Dechant Jörg Meyer. „Vom Stall in die Baustellen ist es auch nicht weit. Ich glaube, die Wege sind dieses Jahr kurz.“