AboAbonnieren

Stilles GedenkenEinsturz des Kölner Stadtarchivs jährt sich an Rosenmontag zum 16. Mal

Lesezeit 3 Minuten
Am Ort der Katastrophe: Christoph Kuckelkorn, Marvin Pagel, der Bruder eines der Opfer, Henriette Reker, Trompeter der Roten Funken (v.r.) Die vier Menschen stehen an einem Gitterzaun vor der Baustelle; an dem Zaun hängen zwei Kränze für die beiden Opfer mit Blumenschmuck in rot, weiß, orange und hellgrün sowie rot-weißen Gedenkschleifen.

Am Ort der Katastrophe: Christoph Kuckelkorn, Marvin Pagel, der Bruder eines der Opfer, Henriette Reker, Trompeter der Roten Funken (v.r.)

Auf denkbar tragische Weise verloren zwei Junge Männer beim Archiveinsturz ihr Leben. Sie sind unvergessen.

„Heute jährt sich die schreckliche Katastrophe, bei der Khalil und Kevin ihr Leben verloren, zum 16. Mal.“ Mit schlichten, eindringlichen Worten gedachte Oberbürgermeisterin Henriette Reker der Toten des Archiveinsturzes am 3. März 2009. Zu ihnen zählte sie auch eine ältere Anwohnerin, die unmittelbar nach dem Verlust ihrer Wohnung gestorben war. Am Ort der Gedenkveranstaltung neben der Gaststätte Papa Rudi's hatten die Häuser der Verstorbenen gestanden. Der Vater und der Bruder des zu Tode gekommenen Kevin Pagel nahmen am stillen Gedenken teil. Anwesend waren auch die Dezernenten Markus Greitemann und Stefan Charles, Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn, Vertreter der KVB und der Initiative Archiv-Komplex, die sich für eine dauerhafte Gedenkstätte und die Platzgestaltung des „neuen Waidmarktes“ engagiert.

Bauarbeiter warnten Menschen im Archiv und in den Häusern

Zum Zeitpunkt des Archiveinsturzes befand sich direkt vor dem 21 Meter und 50 Meter langen Stadtarchiv-Gebäude eine gut 20 Meter tiefe offene Baugrube als Teil des Bauprojektes Nord-Süd-Stadtbahn. Hier sollte die „Gleiswechselanlage Waidmarkt“ entstehen, an der die Bahnen auf ein anderes Gleis wechseln können. Um zu verhindern, dass Grundwasser in die Grube floss, wurde sie durch Schlitzwände abgedichtet. Am 3. Marz 2009 hatten Bauarbeiter um 13.58 Uhr einen Wassereinbruch im unteren Bereich der Baustelle bemerkt; sie rannten sofort aus der Grube heraus und warnten die Menschen im Archiv, die Bewohner der anliegenden Häuser und die Passanten. Die Mitarbeitenden des Archivs und die Besucher und Besucherinnen im Lesesaal konnte das Gebäude in letzter Sekunde verlassen, bevor es sich unaufhaltsam zur Straße neigte und in die Grube stürzte.

Nicht retten konnten sich die beiden jungen Männer in den Wohnhäusern; sie hatten zum Zeitpunkt des Unglücks vermutlich geschlafen. Ihre Leichen wurden nach fünf und nach neun Tagen unter den Trümmern geborgen. 36 Anwohner der Severinstraße und des Georgsplatzes verloren ihre Wohnungen; ihre stark beschädigten Häuser mussten abgerissen werden. Der etwa 30 Regalkilometer umfassenden Archivbestand versank nahezu vollends in der Baugrube.

Auf die Katastrophe folgte eine große Welle der Hilfsbereitschaft. Freiwillige aus Köln und dem Umland unterstützten Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und die Archivmitarbeitenden über viele Monate hinweg bei der Rettung der Dokumente. Bis zum Ende der Bergungsarbeiten im August 2011 konnten 95 Prozent der Archivalien geborgen werden; ihre Restauration wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Jahrestag fiel auch 2014 auf Rosenmontag

Die Beweissicherung und Ursachenforschung zog sich über Jahre hin. Im Laufe der Untersuchungen wurde unter anderem die Errichtung 19 illegaler Brunnen, gefälschte Messprotokolle und fortwährende Diebstähle von für die Schlitzwände gedachten Bewehrungseisen aufgedeckt. Im Juni 2020 wurde zwischen den Baufirmen und der Stadt Köln ein Vergleich ausgehandelt.

Im Mai und Juni wird eine Rotterdamer Künstlergruppe dort einen Pavillon errichten, um Beobachtungen und Gefühle der Bürger aufzuzeichnen.
Günter Otten, Archiv-Komplex

2014 fiel der Jahrestag des Archiveinsturzes ebenfalls auf Rosenmontag. Der Plan, den Zug an der Einsturzstelle vorbeilaufen und dort für einen Gedenken zum Stillstand kommen zu lassen, konnte aber nicht umgesetzt werdene. Stattdessen hatte die Initiative Archiv-Komplex 2014 an der Ecke Severinstraße/Löwengasse eine „Auffangplane“ gespannt und um Strüßjer für die Gedenkstätte gebeten; diese wurden dort zu einem Beet zusammengefügt.

In diesem Jahr ist die Initiative an der gleichen Stelle mit dem Transparent „Wann geiht d'r Zoch widder gradus?“ präsent. Sie will auch darauf aufmerksam machen, dass es intensive Planungen für den „neuen Waidmarkt“ gibt. „Ab dem 4. Mai und bis Juni wird dort der Panorama-Pavillon einer Rotterdamer Künstlergruppe stehen, in dem Beobachtungen und Gefühle der Bürger zum Waidmarkt aufgezeichnet werden“, sagte Günter Otten von Archiv-Komplex. „Und auch vonseiten der Stadt sollen die Bürger einbezogen werden.“