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Update

Stadtarchiv-Einsturz 2009
Landgericht Köln stellt Strafverfahren gegen vier Angeklagte ein

Lesezeit 6 Minuten
Trümmer liegen am 4. März 2009 an der Einsturzstelle des Kölner Stadtarchivs.

Trümmer liegen am 4. März 2009 an der Einsturzstelle des Kölner Stadtarchivs.

Mehr als 15 Jahre nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs hat das Landgericht Köln die Strafverfahren gegen die vier verbliebenen Angeklagten eingestellt.

Wie das Landgericht am Dienstag mitteilte, hat die zuständige 17. große Strafkammer die Verfahren gegen die vier Angeklagten am Freitag, 2. August, gegen Geldauflagen in Höhe von 5.000 Euro beziehungsweise 2.000 Euro vorläufig eingestellt. Sowohl die Staatsanwaltschaft Köln als auch die Angeklagten haben dem zugestimmt. Das bedeutet: Wenn die Angeklagten das Geld bezahlen, werden die Strafverfahren gegen sie endgültig eingestellt. Eine erneute Hauptverhandlung fände dann nicht mehr statt.

Einsturz erfolgte nach massiven Baufehlern

Das Kölner Stadtarchiv an der Severinstraße war am 3. März 2009 infolge gravierender Baufehler beim Bau der Nord-Süd-Stadtbahn kollabiert und in die Baugrube des im Bau befindlichen Gleiswechselbauwerks gestürzt. Dabei kamen zwei Menschen ums Leben. Zigtausende historische Dokumente wurden zerfetzt, sie müssen mit enormem Aufwand restauriert werden, ein Teil von ihnen ist unwiederbringlich verloren.

Grund für den Einsturz war, dass beim Bau der unterirdischen Baugrubenumschließung aus Beton, der so genannten Schlitzwand, ein in der Tiefe liegender Findling nicht herausgeholt wurde. So blieb ein Loch in der Schlitzwand zurück, durch das schon Monate vor der Havarie ständig Wasser und Sand in die Baugrube gespült wurden. Dort waren Dutzende Pumpen in Betrieb, doch niemand ging der Ursache für den Wassereinbruch auf den Grund.

Alles zum Thema Amts- und Landgericht Köln

Die Staatsanwaltschaft Köln klagte mehrere Beschuldigte an. Den Angeklagten L. und G. wurde in der Anklage vom 12. Mai 2017 zur Last gelegt, als Bauleiter der bauausführenden Arbeitsgemeinschaft Arge Los Süd hätten sie es unterlassen, markanten Hinweisen auf Ausführungsmängel bei der Errichtung der Schlitzwand nachzugehen und diese abzustellen. Dadurch sei es zu Undichtigkeiten und schließlich zu einem schlagartigen Eindringen großer Wasser- und Bodenmassen in die Baugrube gekommen, was dem Stadtarchiv dem Boden entzog und es einstürzen ließ.

Der weitere Angeklagte A. wurde von den Kölner Verkehrs-Betrieben (KVB) als Bauherrin intern mit der örtlichen Bauüberwachung betraut. „Ihm wirft die Staatsanwaltschaft vor, durch Unterlassen fahrlässig den Tod von zwei Menschen herbeigeführt zu haben, da er Fehler bei der Herstellung einer Schlitzwand hätte erkennen können und vor dem Hintergrund der besonderen bautechnischen Risiken es dennoch unterlassen habe, seine Aufgabe als Bauüberwacher ausreichend auszuüben“, erklärte das Landgericht.

Stadtarchiv Köln: Angeklagter 2018 zu Bewährungsstrafe verurteilt

Nach der Hauptverhandlung im Jahr 2018 mit 48 Verhandlungstagen wurde der Angeklagte A. wegen zweifacher fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Die beiden Bauleiter der Arge Los Süd wurden aus rechtlichen Gründen vom Vorwurf der zweifachen fahrlässigen Tötung durch Unterlassen in Tateinheit mit Baugefährdung freigesprochen. Zwar hätten diese ihre Sorgfaltspflichten verletzt, so das Landgericht, die festgestellten Pflichtverletzungen seien „für den Einsturz der Gebäude und den Tod der Geschädigten aber nicht ursächlich gewesen“.

Dem vierten Angeklagten H. warf die Staatsanwaltschaft Köln in einer Anklage vom 5. März 2018 zweifache fahrlässige Tötung durch Unterlassen und Baugefährdung vor. Als Oberbauleiter und Urlaubsvertreter des Bauleiters habe er bei der Errichtung der Schlitzwand seine Sorgfaltspflichten verletzt. Er wurde am 7. Februar 2019 wegen zweifacher fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt

Der Bundesgerichtshof hob 2021 die beiden Freisprüche gegen die angeklagten früheren Bauleiter L. und G. auf und verwies die Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Köln zurück. Auch die Verurteilungen der beiden Angeklagten A. und H. wurden aufgehoben und an das Landgericht Köln zurückverwiesen.

Wie kommt es zur Einstellung der Verfahren?

Zur Einstellung der Verfahren gegen Geldauflage erklärte das Landgericht Köln am Dienstag, das Gericht könne „ein Strafverfahren bei Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen eine Auflage einstellen, wenn durch deren Erfüllung das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigt wird und die Schwere der Schuld der Einstellung nicht entgegensteht. Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung des Gerichts erfüllt.“

Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass den Angeklagten nur eine mittelbare Verantwortlichkeit für die Havarie der Baugrube zum Vorwurf gemacht werden könne. Die unmittelbare Schadensursache soll vielmehr durch zwei weitere ursprüngliche Mitangeklagte, einen Baggerfahrer und einen Polier, gesetzt worden sein. Bei der Errichtung der Schlitzwand hätten sie „das mit hinreichender Wahrscheinlichkeit schadensursächliche Hindernis nicht beseitigt“ und „zudem die mit der Bauleitung und Bauüberwachung betrauten Angeklagten bewusst getäuscht“.

Beide ehemaligen Mitangeklagten könnten aber nicht mehr verfolgt werden, so das Landgericht, „da der Baggerfahrer verstorben sei und der Polier aufgrund einer Erkrankung während der 2018 durchgeführten Hauptverhandlung verhandlungsunfähig geworden sei, sodass die ihm vorgeworfene Tat infolgedessen verjährt sei“. Im Verhältnis zur Rolle der ursprünglich Mitangeklagten sei die etwaige Verantwortlichkeit der verbliebenen Angeklagten als geringer zu bewerten.

Einsturz Stadtarchiv: Gesunkenes öffentliches Interesse

Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung sei aus zweierlei Gründen gesunken, betonte das Gericht. Zum einen liege der Einsturz mehr als 15 Jahre zurück, wobei die mutmaßliche Ursache bereits vor etwa 19 Jahren gesetzt worden sei soll. Zum anderen sei die Frage nach der technischen Ursache des Unglücks in den bisherigen Strafverfahren sowie im zivilrechtlichen selbständigen Beweisverfahren hinreichend aufgeklärt werden können.

Im Zivilrechtsstreit der Stadt Köln mit der Arge Los Süd hatte die Stadt ursprünglich Schadenersatz in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro geltend gemacht. Im Jahr 2020 stimmte der Stadtrat einem Vergleich mit den Baufirmen zu. Sie zahlten 600 Millionen Euro an die Stadt und tragen sämtliche Sanierungskosten.

Geldauflagen fließen an Förderverein des Archivs

Eine weitere Aufklärung der Schadensursache sei nach Einschätzung der Kammer durch eine erneute Beweisaufnahme „lediglich im überschauba-ren Ausmaß zu erwarten“, so das Landgericht. Wesentliche neue Beweismittel stünden nicht zur Verfügung, es sei mit einer eingeschränkten Erinnerung von Zeugen und Sachverständigen zu rechnen. Auch die Schwere der Schuld stehe einer Einstellung der Verfahren nicht entgegen. Die Angeklagten seien durch den Einsturz und den Tod zweier Menschen „schwer erschüttert und hätten sich über lange Zeit den Belastungen eines von hohem medialen Interesse begleiteten Strafverfahrens stellen müssen“. Die vorgeworfenen Taten lägen 19 beziehungsweise 16 Jahre zurück - eine Wiederholung sei nicht zu befürchten.

Die Geldauflagen fließen auf Wunsch der Kammer an den Förderverein des Stadtarchivs. Die Bauleiter L. und G. müssen je 5000 Euro zahlen, der KVB-Bauüberwacher A. und der Oberbauleiter H. je 2000 Euro. Zu der eher niedrigen Höhe der Beträge erklärte das Gericht, es beabsichtige, mit der endgültigen Einstellung des Verfahrens „den Angeklagten die Auslagen ihrer Verteidigung und die notwendigen Auslagen der Nebenkläger aufzuerlegen“. Allein letztere hätten sich im ersten Rechtsgang, ohne die Revisionsverfahren, insgesamt auf über 58.000 Euro belaufen. „Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die individuellen Zahlungsverpflichtungen der Angeklagten jeweils einen mittleren fünfstelligen Betrag erreichen werden“, so das Landgericht. (Aktenzeichen 117 KLs 23/22 und 117 KLs 29/22)