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InklusionRollstuhlsportgruppe Eifel droht Auflösung – Zwölfjährige hofft auf Mitstreiter

Lesezeit 7 Minuten
Josi Fischer steht auf der Terrasse ihres Elternhauses und wirft einen Ball. Sie trägt eine schwarze Weste, ein schwarz-weiß gestreiften Pulli und eine graue Jeans.

Würde gerne Basketball im Verein spielen: die zwölfjährige Josi Fischer aus Gemünd.

Die Rollstuhlsportgruppe Eifel sucht dringend Mitglieder, sonst droht die Auflösung. Für die zwölfjährige Josi wäre der Verein eine Chance.

Nele Moos sprang mit deutschem Rekord zu Silber, Josia Topf schwamm ohne Arme mehrfach zu Gold, und Thomas Wandschneider gewann mit 60 Jahren eine Medaille im Badminton – bei den Paralympics vor wenigen Wochen in Paris wurde erneut deutlich, zu welchen Leistungen Menschen mit Behinderung fähig sein können. Im Zuge des sportlichen Großereignisses wurde in Deutschland aber noch etwas anderes deutlich: Bei der Inklusion ist noch Luft nach oben – auch im Sport.

Im Kreis Euskirchen ist das Sportangebot für Menschen mit Behinderung nicht riesig, und es droht noch kleiner zu werden: Die Rollstuhlsportgruppe (RSG) Eifel steht vor der Auflösung. „Es macht ja keinen Sinn weiterzumachen, wenn wir keine aktiven Mitglieder haben“, sagt Elisabeth Küpper, Vorsitzende der RSG Eifel.

Seit der Corona-Pandemie findet kein Training mehr statt

Seit April 2020 finde kein Training mehr statt. Zunächst habe das an Corona gelegen. Nach der Pandemie sei dann die Halle, in der sie jeden Donnerstag trainiert hatten, nicht mehr für sie freigegeben worden. Durch die lange Pause mangelt es zusätzlich an Mitgliedern. Deshalb hat der Verein auch noch keine neue Halle gesucht. Damit will man warten, bis sich genügend Mitglieder gefunden haben.

Bisher habe man mit der Mitgliedersuche nicht viel Erfolg gehabt, aber man versuche, nun noch einmal zu mobilisieren, so Küpper. Deshalb lädt die RSG Eifel für Sonntag, 22. September, alle Interessierten im Kreis zu einer Versammlung ein.

Josi Fischer aus Gemünd sucht nach einem Hobby

Auf jeden Fall kommen will Josi Fischer aus Gemünd. Lange braune Haare, verschmitztes Lächeln – die Zwölfjährige sitzt am Esstisch und deutet auf eine Packung mit Schokoriegeln. „Nein, wir essen jetzt keine Schokolade“, sagt Mutter Nadine, lacht und stellt die Riegel weg. Schon lange sind Josi und ihre Mutter auf der Suche nach einem Hobby für die Jugendliche. Am besten etwas, wo sie Kontakt zu Gleichaltrigen hat und das sie ohne die Unterstützung ihrer Mutter machen kann.

Josi hat eine Hemidystonie, eine Bewegungsstörung in den Muskeln ihrer rechten Körperhälfte, und kann sich selbstständig nur im Rollstuhl fortbewegen. Sich einfach bei einem Sportverein ihrer Wahl anzumelden, ist für sie keine Option.

Durch Corona-Infektion seltene Stoffwechselstörung ausgelöst

Josi wurde nicht mit ihrer Behinderung geboren. Sie ist eine Folge einer seltenen Stoffwechselstörung, ausgelöst vermutlich durch eine Corona-Infektion. 2020, am Anfang der Pandemie, als man noch davon ausging, dass Kinder sich nicht so schnell mit dem Virus infizierten, hatte Josi einen Infekt. Nach drei Tagen sei sie mit Krampfanfällen ins Krankenhaus gekommen, berichtet Mutter Nadine.

Dann traten schlaganfallähnliche Symptome auf. Josi hörte auf zu sprechen, konnte sich immer schlechter bewegen. „Ich bin mit ihr von Uniklinik zu Uniklinik, von Neurologe zu Neurologe.“ Es dauerte mehrere Monate, bis sie eine Diagnose erhielten. Gegen Ende des Jahres war klar: Josi hat einen sehr seltenen Gen-Defekt, der eine Störung im Valin-Stoffwechsel verursacht.

Neben den Muskeln in ihrer rechten Körperhälfte ist auch Josis Stimme beeinträchtigt. Sie kann nicht mehr laut sprechen und hat Schwierigkeiten bei der Artikulation. Wer konzentriert zuhört, kann sie aber verstehen. Für Nadine Fischer und Josis Schwester Noreen ist es jedenfalls kein Problem, mit ihr am Esstisch zu scherzen. Kognitiv habe Josi keinerlei Einschränkungen, betont Mutter Nadine. Die Jugendliche liebt Tiere, knüpft Freundschaftsarmbänder und geht gerne reiten – was Zwölfjährige eben so mögen.

Ich glaube, dass es insgesamt ein Problem in der Gesellschaft ist, dass Menschen mit einer Behinderung zu wenig gesehen werden.
Elisabeth Küpper, Vorsitzende der RSG Eifel

Damit Josi auch einmal etwas ohne Mama machen kann, wollte Nadine Fischer sie vor ein paar Monaten zu einem Malkurs bei der Awo anmelden. Doch dort wurde Josi abgelehnt, ohne dass sich jemand die Mühe gemacht habe, sie richtig kennenzulernen, ärgert sich Mutter Nadine. Als sie versucht habe, sich für ihre Tochter einzusetzen, habe man ihr Egoismus vorgeworfen.

Dass es schwierig ist, für Kinder, die im Rollstuhl sitzen, gerade im ländlichen Raum wie dem Kreis Euskirchen einen Verein oder ein Hobby zu finden, weiß auch Küpper. „Es gibt einfach nichts für die Kinder.“ Außer der RSG Eifel seien ihr in der Region keine Angebote bekannt. Dafür müssten die Kinder dann nach Köln oder Bonn. Es hake in vielen Orten schon an den Sporthallen. „Entweder scheitert es an der Treppe oder an den Toiletten“, so Küpper.

Bei neu gebauten Hallen werde Barrierefreiheit inzwischen mitgedacht, das sei eine wichtige Entwicklung und doch noch zu wenig. „Ich glaube, dass es insgesamt ein Problem in der Gesellschaft ist, dass Menschen mit einer Behinderung zu wenig gesehen werden.“

Im Stadtgebiet Schleiden sind zwei barrierefreie Spielplätze in Planung

Eine Aussage, die Josis Mutter nur unterschreiben kann. In Sachen Inklusion gebe es gerade hier auf dem Land noch einigen Nachholbedarf. „Ich finde, man kann schon fast ein Buch darüber schreiben, was alles fehlt.“ Als Beispiel nennt sie die neuen Spielplätze in Gemünd. Kein barrierefreies Spielgerät sei dort aufgestellt worden. Hinzu komme, dass der Boden mit Sand und Kies ausgelegt worden sei – mit einem Rollstuhl komme man da nicht drüber.

Rollstuhlgerechte Spielgeräte seien um ein Vielfaches teurer, sagt dazu Ingo Pfennings, Bürgermeister der Stadt Schleiden. Doch die Stadt habe das Thema auf dem Schirm. Der neue Spielplatz im Gemünder Kurpark sei barrierefreie geplant, inklusive rollstuhlgerechter Spielgeräte. Und auch in Schleiden soll es einen solchen rollstuhlgerechten Spielplatz geben, voraussichtlich im Sturmius-Park.

Ich habe die Chance, sie so zu stärken, dass sie ein eigenständiges Leben führen kann. Das ist mein Ziel.
Nadine Fischer, Mutter von Josi

Nadine Fischer ist dem Behinderten-Beirat der Stadt Schleiden beigetreten, um etwas zu verändern. Sie habe aber zunehmend das Gefühl, den Leuten auf die Nerven zu gehen. Ein bisschen kann sie das nachvollziehen, aber es gehe ihr eben um ihre Tochter. „Ich habe die Chance, sie so zu stärken, dass sie ein eigenständiges Leben führen kann. Das ist mein Ziel.“

RSG Eifel hofft auf viele neue Mitglieder

Und das scheint ihr bisher gut zu gelingen. Josi ist aufgeweckt und geht mit ihrer Behinderung ganz selbstverständlich um. In der Schule habe sie zuletzt drei Einsen bekommen, erzählt sie stolz. Seit einer Operation vom Anfang dieses Jahres kann sie wieder kurze Strecken mit Unterstützung laufen, und im Sommer war sie das erste Mal mit einer Freundin ganz alleine in der Innenstadt ein Eis essen. Wenn man sie fragt, welchen Sport sie gerne im Verein spielen würde, antwortet sie bestimmt: „Basketball.“

Damit ist sie bei der RSG Eifel genau richtig. Obwohl die Gruppe eigentlich als reine Kindersportgruppe gegründet worden sei, habe man sich mit der Zeit auf Basketball fokussiert, berichtet Küpper. Dadurch habe man mit den Kindern und später mit den Jugendlichen auf Turniere fahren und Wettkämpfe bestreiten können. Inzwischen seien die Kinder von damals aber alle erwachsen, die RSG Eifel müsse also nicht bei Basketball bleiben. Nun sei erst einmal das Ziel, genügend aktive Mitglieder zu mobilisieren.

Da macht auch Josi mit. Eine befreundete Familie, deren Sohn auch im Rollstuhl sitze, habe sie schon für die Sportgruppe gewinnen können, berichtet Nadine Fischer. Sie hofft sehr, dass es mit der Rollstuhlsportgruppe klappt und Josi ein Stück mehr eigenständig sein kann. Und wer weiß, vielleicht tritt Josi dann eines Tages auch bei den Paralympics an.


Alle sind bei der Rollstuhlsportgruppe willkommen

Die Versammlung der Rollstuhlsportgruppe Eifel findet am Sonntag, 22. September, ab 15 Uhr im Restaurant Mayers in Schleiden statt. Es sind ausdrücklich nicht nur Mitglieder eingeladen, sondern alle, die sich für den Rollstuhlsport interessiert. Es sei vollkommen egal, wie alt man sei und ob man eine Behinderung habe oder nicht, betont die Vorsitzende des Vereins, Elisabeth Küpper.

Mehrere Jugendliche spielen Rollstuhlbasketball in einer Turnhalle.

Sind inzwischen erwachsen: die Jugendlichen auf diesem Archivfoto, die vor zehn Jahren in der RSG aktiv waren.

Sie hofft sehr, dass der Verein weiter bestehen kann. „Es wäre einfach schade“, sagt sie. Immerhin seien die Strukturen ja schon da. „Wir haben eine ganze Reihe Sportrollstühle angeschafft, auch viele in Kindergröße“, so Küpper weiter. Die sind nämlich nicht gerade günstig. Der Letzte, den sie gekauft habe, habe etwa 2500 Euro gekostet. Dass man die Rollstühle beim Verein leihen kann, entlastet die Teilnehmer finanziell. Für den Anfang reiche aber auch erst einmal der Alltagsrollstuhl, sagt Küpper. Je nach Grad der Behinderung könne man sowieso nicht jeden x-beliebigen Rollstuhl nehmen.