Euskirchen – Der Staatsanwalt verkniff sich am Donnerstag, sämtliche Anklagepunkte vorzulesen: „Sonst säßen wir morgen noch hier.“ 145 Betrugsfälle waren in der Anklageschrift aufgelistet. Und die wurden in einem im wahrsten Sinne des Wortes „kurzen Prozess“ juristisch aufgearbeitet. Nach nur gut einer Stunde war im Euskirchener Amtsgericht das Urteil in einem Verfahren gesprochen, das im Vorfeld in den Rathäusern Zülpichs und Mechernichs hohe Wellen geschlagen hatte: ein Jahr und zehn Monate Gefängnis.
Die Freiheitsstrafe muss der 50-jährige Angeklagte allerdings nicht verbüßen, wenn er sich in den nächsten drei Jahren nichts zu Schulden kommen lässt. Dass der Vorsitzende des Euskirchener Schöffengerichts, Richter Dr. Wolfgang Schmitz-Jansen, die Strafe zur Bewährung aussetzte, hatte sich der Angeklagte selbst zu verdanken. Er war in vollem Umfang geständig, hatte bei der Aufklärung des Sachverhalts kooperativ mitgewirkt und kündigte auch im Gerichtssaal an, alles nur erdenklich Mögliche zu tun, um den Schaden wieder gutzumachen. Das dürfte dem früheren Verwaltungsangestellten allerdings schwerfallen. Der heute 50-Jährige ist „ruiniert“, wie der Staatsanwalt feststellte. Dabei hatte der Mann, der im Euskirchener Stadtgebiet wohnt, allein im Zülpicher Sozialamt nach Berechnung der Staatsanwaltschaft 119.989,01 Euro auf sein Privatkonto abgezweigt. Die tatsächlich ergaunerte Summe dürfte um einiges höher liegen. Angeklagt waren nur die Griffe in die Kassen des Sozialamts und des Jobcenters in Mechernich, die der Mann zwischen dem 28. August 2006 und dem 11. August 2011 begangen hatte. Vorausgegangene Taten sind mittlerweile verjährt.
Fortsetzung Mechernich
Auch nach seiner Versetzung von Zülpich zum Jobcenter in Mechernich hatte er Ende 2010 munter weitergemacht und laut Anklageschrift weitere 9968 Euro in seine Privatschatulle umgeleitet und damit den Kreis Euskirchen geschädigt.
Doch der Angeklagte machte vor Gericht reinen Tisch: Er habe bereits vor 2006 in die Kasse des römerstädtischen Sozialamts gegriffen. Ende der 1990er Jahre habe er mit den unlauteren Machenschaften begonnen. Mittlerweile hat der 50-Jährige der Stadt Zülpich, dem Kreis Euskirchen und der Kommunalversicherung, die für den größten Teil des Schadens aufkam, notariell beglaubigte Schuldanerkenntnisse in der Gesamthöhe von über 200.000 Euro unterschrieben.
Das Geld wird er wohl bis an sein Lebensende abstottern müssen. Von der ergaunerten Summe habe er „nichts beiseite geschafft“, sagte der Angeklagte vor Gericht. Das Geld sei für laufende Anschaffungen und die Finanzierung des wohl nicht seinen Einkommensverhältnissen angepassten Lebenswandels restlos draufgegangen. Seit einem Monat habe er zwar einen neuen Job, der bringe ihm allerdings mit 1300 Euro nur etwa die Hälfte dessen ein, was er im Staatsdienst verdient habe. Die Stadt Zülpich hatte ihm am 23. September 2011 offiziell fristlos gekündigt.
Asylverfahren reaktiviert
Die Masche war über Jahre immer dieselbe gewesen: Der Angeklagte hatte bereits abgeschlossene Asylverfahren „wiederbelebt“. Unterbringungskosten für Asylbewerber, denen längst keine staatliche „Stütze“ mehr zustand, hatte er auf sein Privatkonto überwiesen. Die Chose war im August 2011 aufgeflogen. Eine Mitarbeiterin des Zülpicher Sozialamts musste sich mit einem Altfall ihres mittlerweile nach Mechernich versetzten Kollegen befassen, beim Aktenstudium waren ihr Ungereimtheiten aufgefallen. Zuvor, so der Angeklagte, habe es immer nur Einzelfallprüfungen durch Vorgesetzte gegeben, bei denen aber zufälligerweise immer nur korrekt abgewickelte Fälle herausgepickt worden seien. Die Polizei wartete, bis der Angeklagte aus seinem Urlaub zurückgekehrt war. Am 15. September 2011 wurde er im Mechernicher Rathaus erstmals von Beamten der Kreispolizeibehörde mit den Vorwürfen konfrontiert. Er legte sofort ein Geständnis ab.
„Erschreckend“, so Richter Schmitz-Jansen, sei, dass es im Zülpicher Rathaus nicht einmal Prüfmechanismen gegeben habe, wie sie in jedem kleinen Handwerksbetrieb üblich seien: „Man hat es Ihnen leicht gemacht.“ Andererseits zeuge die lange Dauer der Taten von einer erheblichen kriminellen Energie. Und wer schon 1978 seine Ausbildung im Rathaus begonnen habe, werde dort im Laufe der folgenden Jahrzehnte zu einer „festen Größe“ und genieße das Vertrauen seiner Vorgesetzten. „Das haben Sie missbraucht“, schrieb der Vorsitzende dem Angeklagten in der Urteilsbegründung ins Stammbuch.