Nettersheim-Engelgau – Es war eine der wohl aufsehenerregendsten Pressekonferenzen des noch jungen Jahres 2022, als Max Eberl, Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach, unter Tränen seinen Rückzug bekanntgab. „Ich bin erschöpft und müde“, sagte er. Er sehe für sich nur einen Ausweg: „Ich will raus.“
Für Jörg Weitz sind solche Statements Alltag. Sein Beruf ist, Situationen wie eine solch dramatische Pressekonferenz zu verhindern. Seit 24 Jahren ist er als Mentalcoach aktiv und betreut dabei nicht nur viele Menschen in der Wirtschaft, sondern auch im Profisport.
Engelgauer als wichtige Person im Hintergrund
„Ich bin eine wichtige Person für die Leute, aber keiner kennt mich“, sagt der 45-Jährige lächelnd. Über seine Klientel bewahrt er Stillschweigen. Nur so viel: Darunter finden sich nicht nur Firmen, sondern auch mehrere Fußball-Bundesligisten, bekannte Namen aus verschiedenen Sportarten und Olympiateilnehmer.
Seit der Pressekonferenz von Eberl hat er wieder mehr zu tun, der Stress ist bei Vereinen und Spielerberatern wieder zum Thema geworden. „Eberl ist die Spitze des Eisbergs, ich weiß, wie es vielen Sportlern geht“, sagt Weitz und erinnert an ein weiteres prominentes Beispiel aus dem Sport: den Burnout von Trainer Ralf Rangnick 2011.
Coach lobt Max Eberls Entscheidung zum Rückzug
So etwas wie bei Eberl komme nicht von heute auf morgen. Dessen Rückzug aus dem Geschäft lobt Weitz als richtige Entscheidung. Der Gang an die Öffentlichkeit sei aber schwierig: „Ein Arbeitnehmer wird in so einem Fall einfach krank, doch Sportler sind Menschen, die im medialen Fokus stehen.“
Der Umgang mit seelischen Problemen sei ein Dilemma. So habe sich Rangnick bei seiner Rückkehr als Trainer Schmährufe von den Tribünen anhören müssen. Eberl werde jetzt für seinen Mut gelobt, seinen seelischen Zustand öffentlich zu machen. „Man sollte dafür keinen Mut brauchen, es sollte Normalität sein“, so Weitz.
Schon 1946 habe die Weltgesundheitsorganisation WHO Gesundheit definiert als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“. Da sei es ernüchternd zu sehen, wo die Gesellschaft heute stehe.
Stress kann als Statussymbol angesehen werden
Stress sei nicht nur negativ. Für viele sei Stress und Termindruck auch ein Statussymbol und ein Beweis ihrer Bedeutung. Im Profisport werde es als Schwäche angesehen, Probleme damit zu haben. „Viele Profis sind durch mediale Öffentlichkeit getrieben“, so Weitz. Der Druck von außen sei immens. Es werde gesagt: „Der verdient genug, da kann er es aushalten.“ Weitz hält dagegen: „Kein Geld der Welt kann Stressresilienz, kann Gesundheit kaufen.“
Stress sei in allen Bereichen der Gesellschaft zu finden: „Wir haben das auch im Business, wo Leistung auf hohem Niveau gefordert wird.“ Fehler zu machen sei keine Schwäche, sondern ein ganz normaler Prozess, bei Sportlern und im Geschäft: „Das wird aber so nicht von der Gesellschaft akzeptiert.“
„Für kein Geld der Welt" mit Profisportlern tauschen
Die Themen für die Sportler seien vor allem Leistungsstress und Außenwirkung. „Ich möchte persönlich für kein Geld der Welt in dieser Situation sein“, gibt Weitz zu. Die Öffentlichkeit sehe nur den Erfolg, aber nicht den Verzicht, den die Sportler für ihre Leistung üben müssten. Ein Beispiel seien die Jugendspieler im Fußball, die schon unter permanenter Beobachtung stünden: „Das ist eine reine Leistungsgesellschaft, ein schnelles und brutales Geschäft.“
Weitz kommt selbst aus dem Leistungssport. Mit zwölf Jahren wurde er Vizeeuropameister seiner Altersklasse im Sportkegeln. Schon als Jugendlicher unterwies er darin Erwachsene in dem Sportzentrum seiner Eltern in Erftstadt. Vor 24 Jahren machte er sich als Coach selbstständig.
Ausnahmezustand am Kilimandscharo
Widerstandsfähig in Extremsituationen
Resilienz, Widerstandsfähigkeit – so wäre die Exkursion von Jörg Weitz auf den Kilimandscharo kurz beschrieben. Mit einer Gruppe von zwölf Klienten, geführt von seinem Trainerkollegen Karl Nesseler, bestieg er im Oktober 2021 den Sechstausender und machte dabei unschätzbare Erfahrungen. „Ich liebe die Berge, war vorher aber nur auf einer Höhe von 3200 Metern“, erzählt Weitz. Die Idee sei gewesen, den Menschen zu beweisen, dass sie resilienter sind, als sie denken. Es sei sinnvoll, das in Extremsituationen zu beweisen. „Und ich wollte es mir selbst beweisen.“
Dünne Luft, Höhenkrankheit – das waren nicht planbare Elemente: „Du spürst die Kälte anders, bist müde, schläfst in Zelten, hast Kopfschmerzen, es regnet und ist kalt.“ Das müsse man annehmen. Drei Tage lang seien sie zum Basecamp auf 4675 Metern gegangen, bevor um 23 Uhr der Gipfelangriff startete – 1266 Höhenmeter, die um 6 Uhr geschafft waren. „Ich hatte aber nicht auf dem Schirm, dass wir nicht nur ins Camp zurückgehen, sondern noch acht Kilometer weiter, so dass wir 3000 Höhenmeter runtergingen“, so Weitz. Neuneinhalb Stunden seien sie unterwegs gewesen: „Das war scheiße anstrengend.“ Ihm sei klar gewesen, dass es hart werde – aber nicht wie hart. „Eigentlich war es genau, was wir propagiert hatten, Leben im Ausnahmezustand“, sagt er.
Als Gründer der Hilfsorganisation „Eifel für Eifel“ stellt er einen Bezug zur Flutkatastrophe her. „Es ist entscheidend, nicht in die Opferrolle zu gehen.“ Die Situation müsse angegangen werden, um sie zu bestehen. (sev)
Auf dem Feld des Anti-Stress-Coaching kennt Weitz sich aus. Das Berufsnetzwerk Xing kürte 2019 sein Unternehmen „3fach anders“, in dem er mit einem Trainerteam zusammenarbeitet, als eines von 54 „Top Business Coaches“ im deutschsprachigen Raum. Er ist zertifizierter Mediator, arbeitet mit verschiedenen Methoden wie Structogram oder Wingwave, aber setzt auch Hypnose ein.
Schwere Fälle verweist Jörg Weitz an Psychologen
Und er kennt seine Grenzen. Schwere Fälle verweise er an Psychologen oder Psychotherapeuten: „Bei Suizidgefahr bin ich raus.“ Und eines stellt er klar: „Ich kann keinen Sportler besser machen, ich kann ihn nur unterstützen, seine Leistung und sein Potenzial zielgerichtet abzurufen.“
Doch was genau macht er mit seinen Klienten? „In allererster Linie reden“, so Weitz. Für seine Kunden sei es ein gutes Gefühl, dass da eine Person sitze, die sich mit Stress und persönlichen Problemen auskenne: „Ich weiß aus eigener Erfahrung aus der früheren Vergangenheit, wie nah körperliche und mentale Höchstleistung und seelische Erschöpfung liegen.“ So empfiehlt er auch ein Genusstraining: „Die Leute haben vergessen, was ihnen guttut.“
Doch es setze ein Umdenken ein, die Work-Life-Balance werde zum Thema. „Leistung und Karriere waren immer alles, doch bei der jüngeren Generation ändert sich da was“, hat Weitz festgestellt. Dazu komme, dass aus dem früheren Arbeitgebermarkt inzwischen ein Arbeitnehmermarkt geworden sei, bei dem sich Unternehmen mehr um ihre Mitarbeiter bemühen müssten.