Nettersheim – Die Miene von Bürgermeister Norbert Crump spiegelt die vielfältigsten Gefühle wider, als er nachdenklich durch das Literaturhaus geht. „Ich hatte hier die Bauleitung“, erinnert er sich an die Zeit, als das baufällige Gebäude im Ortskern in ein Schmuckstück verwandelt wurde. Von dem, was es mal war – der Anziehungspunkt, an dem sich die Bücherfreunde trafen – ist das Literaturhaus weit entfernt.
Bautrockner arbeiten noch
Oben hui, unten pfui. So lässt sich der momentane Zustand kurz fassen. In den oberen Stockwerken warten immer noch Bücher auf Leser, im Erdgeschoss ist das Haus im Rohbauzustand. Die Flutkatastrophe hat auch hier schwere Schäden verursacht. Dort, wo die Kinderbücher waren, die Ausleihtheke und auch die Buchhandlung Backhaus, stehen zwei Bautrockner, die unbeirrbar die Feuchtigkeit aus den Wänden ziehen. Ansonsten ist der Raum leer.
Nicht viel besser sieht es im Altbau aus. Es ist der einzige Teil des alten Eifeler Winkelhofs, der nicht vom Umbau betroffen war. Scheune und Schweinestall wurden in ihren Grundrissen und Dimensionen in Holzständerwerk nachgebaut. Ein Stahlgerippe im Inneren des Literaturhauses trägt die oberen Stockwerke.
Auf dem Lehmputz in dem alten Wohnhaus ist Schimmel zu erkennen. Das zeigt deutlich, wie viel Feuchtigkeit noch in den Wänden ist. Die Räume sind leer, die Wände bis zur Feuchtigkeitsgrenze von Putz oder Deckschicht befreit. Von Bauarbeiten ist hier noch keine Spur zu sehen.
Apotheke vor Rückkehr
Dafür geht es woanders bereits sichtbar voran. Das Literaturhaus ist eines von 16 gemeindeeigenen Gebäuden, die von der Flut im Sommer schwer beschädigt wurden. Bereits wiederhergestellt werden konnten das Gebäude, in dem der Bioladen Naturale und die Physiotherapiepraxis untergebracht sind. Auch der Waldkindergarten ist wieder am Start. Anfang Februar soll auch die Apotheke wieder dahin zurückkehren, wo sie früher einmal untergebracht war. Zur Zeit befindet sich die Apotheke im Begegnungszentrum.
Andernorts stockt es aber. „Nach dem Spurt kommen jetzt die kleinen Schritte“, sagt Crump. Drei Bauarbeiter hat die Gemeinde zusätzlich eingestellt, um viele Arbeiten in Eigenregie machen zu können. „Mit zehn kommunalen Fachhandwerkern sind wir gut aufgestellt“, so der Bürgermeister. Aber immer wieder gibt es Rückschläge, es tauchen neue Schäden auf oder es fehlt an notwendigem Material. Dies sei eine Phase, in der Geduld gefragt sei, sagt der Bürgermeister mit einem gequält wirkenden Gesichtsausdruck. „Ich hoffe, dass die Bürger das verstehen und uns noch gewogen sind“, sagt er.
Leben in den Ort zurückbringen
„Unsere erste Priorität ist es, unsere Partner wieder in den Ort zu kriegen“, sagt Crump. Dazu zählt er das Restaurant Freistaat Eifel, den Raum zum Da-Sein von Daniela Bergrath an der Steinfelder Straße, die Tierarztpraxis von Stieglitz, aber auch die Biostation des Kreises Euskirchen. Ziel sei es, das Leben wieder in den Ort zurückzubringen.
„Hier in Nettersheim pulsierte vor der Flut das Leben. Wenn ich jetzt in der Dunkelheit hier durchfahre, dann ist es nur noch dunkel“, beschreibt Crump die aktuelle Situation in der Gemeinde.
Um das zu ändern, sollen die Geschäfte wieder in den Ort zurückkehren. Mit der Buchhandlung Backhaus und der Eisdiele Serafin stehen bereits Gespräche an. Sorgen bereiten der Gemeinde auch zwei Immobilien, die aktuell leer stehen. Erst in zweiter Priorität sollen dann das Naturzentrum und die anderen beschädigten Gemeindeimmobilien wiederaufgebaut werden.
Recky Reck wird seinen Freistaat wieder öffnen
Zehn Minuten, sagt Andreas „Recky“ Reck, habe er überlegt, ob er sich den Gastro-Stress noch antun wolle. Zehn Minuten sind nicht viel in den sechs Monaten, die die Flutkatastrophe nun her ist, die auch Recks Restaurant Freistaat Eifel zerstörte. Als Zwischenlösung hatte er im Garten vor dem Lokal ein Zeltrestaurant eingerichtet – bis ein Herbststurm das Zelt davon wehte. Mit dem Erlös des Zeltrestaurants konnte Reck die Hilfsgruppe Eifel für Eifel mit 3800 Euro unterstützen.
In Geduld übt sich Reck seitdem – und hat anderen Aktivitäten gestartet. Denn der Freistaat dient mittlerweile als Proberaum. Zwei Röhrenverstärker hat Reck konstruiert, eine Gitarre gebaut. Damit sorgt er zwischenzeitlich für Ohren- statt für Gaumenfreuden. Doch dass der Freistaat wieder auf der Bühne der Eifeler Gastro-Szene erscheint, ist ausgemachte Sache – sowohl bei Reck als auch bei Bürgermeister Norbert Crump.
Rückschläge hat jedoch auch Reck zu verkraften. Denn das Wasser ist unter der Fußbodenplatte durchgelaufen, immer wieder tauchen neue Schäden auf. „Die Ferienwohnung im ersten Stock ist im Grunde in Ordnung“, so Reck. Zwar müsse die Treppe gemacht werden, aber er würde sie wieder in Betrieb nehmen, wenn denn Strom und Heizung vorhanden wären.
Die Küche fürs Restaurant ist bestellt und für Ende Februar avisiert. „Dafür reicht die Versicherung, der Rest wird improvisiert“, so Reck. Knapp 50 Plätze könnte er im Gebäude anbieten, 50 im Außenbereich. Vielleicht etwas weniger, überlegt Reck. Personal fehlt. Ein grobes Datum, wann es losgehen könnte, wäre hilfreich. „Wenn die Flut ein Gutes hatte, dann, dass ich mich nicht mit Corona herumschlagen muss“, sagt er. Wegen einer Sonderregelung wurde von der Flut betroffenen Gastwirten die Überbrückungshilfe von Juli bis Dezember weitergewährt. „Doch seit 1. Januar ist keine Rede mehr von den Flutbetroffenen“, moniert er. Aktuell lebt er von Hartz IV. Wie das Jahr weitergehen soll, das weiß er nicht. (sev)