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Serie „Babylon Köln“Baldur von Schirach – der Anstifter im Regenmantel

Lesezeit 6 Minuten

Die Angeklagten beim Nürnberger Kriegsverbrecher-Hauptprozesses am 20. November 1945

  1. Köln war in den frühen 30er Jahren geprägt von Auseinandersetzungen mit Nationalsozialisten.
  2. In der Serie „Babylon Köln“ blicken wir auf Baldur von Schirach, der als Reichsleiter des Studentenbundes eine Aufruhr an der Universität organisierte.

Köln – Um zu provozieren, reiste der spätere Reichsjugendführer Baldur von Schirach 1931 nach Köln. Verhandlungen standen nämlich an über die Reparationszahlungen, die Deutschland laut Versailler Vertrag zu leisten hatte. Die Weltwirtschaft war 1929 zusammengebrochen. Als keine seiner heimischen Maßnahmen von Erfolg gekrönt war, kam der amerikanische Präsident Herbert Hoover zur Überzeugung, dass vor allem die Situation in Europa die Schuld an der desolaten Lage trage. Wie aber Europa helfen? Am 20. Juni 1931 wurde Hoovers Einschätzung publik, der Weltkonjunktur wäre es sicher zuträglich, wenn das fast zahlungsunfähige Deutschland durch einen Aufschub der Reparationsverpflichtungen gestärkt würde. Deutschland schöpfte Hoffnung. Natürlich nicht ganz Deutschland.

„Das Hoover-Angebot wird unseren Sieg um etwa vier Monate verschieben“, schimpfte Joseph Goebbels am 24. Juni 1931 in seinem Tagebuch: „Es ist zum Kotzen!“ Die NSDAP wurde umgehend tätig. „Wir wollten die Auflösung des Reichstages und Neuwahlen, die uns in den Besitz der absoluten Macht bringen sollten“, erläutert Baldur von Schirach in seinen Memoiren: „Deshalb hatte ich an allen Universitäten Versammlungen und Demonstrationen organisiert. Und deshalb fuhr ich von Universität zu Universität und schürte Unruhe.“

Nach seiner Entlassung 1966: Baldur von Schirach

Weil aber Reichskanzler Heinrich Brüning seinerseits während der Verhandlungen kein heimisches Störfeuer wünschte, hatte er derlei Veranstaltungen untersagt. Entsprechend verbat auch Josef Kroll, Rektor der Kölner Universität, eine hier geplante Kundgebung gegen den Versailler Vertrag. Die Nationalsozialisten schäumten, sie würden mundtot gemacht.

Schon am Donnerstag, 2. Juli, hatte es Unruhen an der Universität in der Claudiusstraße gegeben. Das sollte sich tags darauf, am Freitag, 3. Juli, wiederholen. „Auf dem Vorplatz der Kölner Universität drängten sich einige hundert Studenten“, schreibt Baldur von Schirach in seinen Erinnerungen.

„Ist es würdelos, gegen Unrecht zu protestieren?“

„Um 10.15 Uhr begannen in den meisten Hörsälen die Vorlesungen. Eine Viertelstunde vorher hatte ich an der Freitreppe vor den Portalen die Kölner NS-Studenten, verstärkt durch SA-Leute, aufmarschieren lassen. Sie waren in ,Räuberzivil'; in Preußen herrschte Uniformverbot für alle politischen Formationen. Wer zur Vorlesung wollte, blieb im Gedränge stecken. Passanten beobachteten neugierig den Auflauf.“

Baldur von Schirach ergriff das Wort. „Kommilitonen!“, will er gerufen haben: „Der Rektor dieser Universität hat euch und euren Professoren verboten, am 28. Juni, dem zwölften Jahrestag der Unterzeichnung des Diktats von Versailles, gegen diesen Schandvertrag zu protestieren. Er hat es verboten mit der ungeheuerlichen Begründung, dass ein solcher Protest nicht vereinbar sei mit der Würde deutscher Studenten und der akademischen Disziplin. Ist es würdelos, ist es disziplinwidrig, wenn junge Deutsche im Verein mit ehrwürdigen Professoren gegen ein völkerrechtliches Unrecht protestieren?“

Noch während Schirach sprach, sah er aus den Augenwinkeln, wie die Schutzpolizei von beiden Seiten die Claudiusstraße entlang geeilt kam. Das brachte Schirach in eine unangenehme Lage. Er war zwar seit 1928 Reichsleiter des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, das aber mittlerweile hauptberuflich. Eingeschriebener Student war er gar nicht mehr. Somit jedoch durfte er die Universität streng genommen gar nicht mehr betreten. Deshalb hatte er vorgesorgt.

Hintergrund

Als unterschätzter Nazi-Führer wird Baldur von Schirach bezeichnet. Das mag am harmlosen Titel Reichsjugendführer liegen. Schirachs Vater war Intendant des Nationaltheaters Weimar, später des Staatstheaters Wiesbaden. Er war streng konservativ und nationalistisch eingestellt und verachtete die Weimarer Republik. 1925 traf der 17-jährige Baldur von Schirach Hitler hier das erste Mal – und verfiel ihm regelrecht. Er trat in die NSDAP ein und übersiedelte bald nach München. Er schrieb sich als Student an der Universität ein – ohne einen Abschluss zu machen.

20 Jahre war er alt, als Schirach Führer des Nationalsozialistischen Studentenbundes wurde, mit 23 war er Reichsjugendführer, mit 28 Staatssekretär, und mit 32 Gauleiter der Ostmark (Österreich). Eine steile Karriere. Und er heiratet Henriette Hoffmann, die Tochter des Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann.

1940 wurde er Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien und zog mit seiner Familie in die repräsentative Wiener Hofburg. In dieser Position, die er bis zum Kriegsende 1945 behielt, war er für die Deportation der Wiener Juden verantwortlich.

Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher wurde er 1946 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er soll für die Deportation von 185 000 österreichischen Juden in Konzentrationslager verantwortlich gewesen sein. 1966 wurde er entlassen. Baldur von Schirach verstarb 1974 im Alter von 67 Jahren. (mft)

„Ein Kölner Kamerad hatte mir seinen Studentenausweis geliehen, damit ich eine etwaige Kontrolle vor der Universität passieren konnte. Die Freitreppe, von der aus ich sprach, war akademischer Boden, und nach uraltem Recht hatte die Staatsgewalt hier nicht mehr zu sagen. Andererseits waren Kundgebungen unter freiem Himmel durch die ,Notverordnung des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen’ vom 28. März 1931 verboten. Würde die Polizei es wagen, gegen unsere Kundgebung einzuschreiten?“

Sie wagte. Kaum hatte Schirach Zeit, seine Rede zur Schlussfloskel zu bringen. Als dann beim Deutschlandlied die Hände zum Hitlergruß emporschnellten, klappten die Seitenplanken zweier Bereitschaftswagen auf und ließen etliche Schutzpolizisten ausschwärmen. „Wenn ich ihnen in die Hände fiel, musste ich als Rädelsführer mit mehreren Monaten Gefängnis rechnen“, fürchtete Schirach: „Und das wollte und konnte ich mir nicht leisten.

Am 15. Juli sollte in Graz der 19. Deutsche Studententag beginnen, von dem ich mir für uns einigen Zuwachs an Einfluss versprach.“ Während die meisten Nationalsozialisten in die Universität hinein strömten, versuchte Schirach unerkannt zu flüchten. „Ein Kölner Freund warf mir seinen Regenmantel über und sagte: ,Tauch unter!’Ich schlug den Mantelkragen hoch und passierte unerkannt die Schupo-Kette. Allerdings achtete ich nicht darauf, dass mir eine Frau folgte. Und als ich an einer Gruppe von Polizeioffizieren vorbeiging, sagte sie: 'Festnehmen, das ist der Anstifter!' Die Frau war eine Kriminalbeamtin.“

Beim Verhör im Polizeipräsidium in der Krebsgasse, Ecke Schildergasse, bestritt Schirach zunächst, überhaupt der NSDAP anzugehören. Bald fand die Polizei jedoch trotz falschem Ausweis seinen wahren Namen heraus. Schirach kam ins Gefängnis Klingelpütz, wo es ihm so gar nicht gefiel. „Als Untersuchungshäftling wurde ich nicht besser behandelt als die Strafgefangenen. Die acht Tage, die ich auf meinen Prozess warten musste, kamen mir wie eine Ewigkeit vor.“

Ein Urteil im Schnellverfahren

Im Schnellverfahren wurde er am Freitag, 10. Juli 1931, vom Kölner Schöffengericht am Appellhofplatz verurteilt: Drei Monaten Gefängnis und 50 Mark Geldstrafe, weil er in bewusster Missachtung der bestehenden Bestimmung eine Versammlung unter freiem Himmel veranstaltet, in dieser Versammlung gesprochen und bei seiner Verhaftung einen falschen Namen angegeben hatte. Schirach legte sofort Berufung ein. Seine Kumpanen feierten ihn derweil. „Vor dem Gerichtsgebäude wartete eine riesige Menschenmenge auf mich“, schreibt Schirach.

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„Der Gauleiter des Rheinlandes, Dr. Robert Ley, hatte Tausende von Parteigenossen zu meiner Begrüßung mobilisiert. Sie riefen „Heil' und sangen das Horst-Wessel-Lied, als wäre ich nach jahrelanger Zuchthausstrafe befreit worden. Es gehörte zu unserer Propaganda, jeden zum Märtyrer zu stempeln, der mit den ,Kerkern des Systems' Bekanntschaft machte.“

Schirach entging seiner Haftstrafe, indem er bei den Wahlen am 31. Juli 1932 mit 25 Jahren als jüngster Volksvertreter in den Reichstag einzog und somit als Abgeordneter Immunität genoss. Schließlich aber kamen die Nürnberger Prozesse, bei denen er wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde.