Serie „Babylon Köln“Tod im Haferfeld – von einem Ehemord in Köln-Stammheim
- Köln war in den 20er Jahren geprägt vom ausschweifenden Leben, aber auch von hemmungsloser Gewalt und Kriminalität.
- In unserer Serie „Babylon Köln“ berichten wir über einen Ehemord in Stammheim im Jahr des Kapp-Putsches.
Köln – Es war bereits gegen 4 Uhr am Nachmittag des Freitag, 18. Juni 1920, als ein Fuhrmann unterwegs nach Flittard einen schrecklichen Fund machte. In einem Haferfeld an der Militärringstraße bei Stammheim, ungefähr 120 Meter von der Düsseldorfer Chaussee entfernt, sah er eine schlafende Frau liegen. Als er nur etwa 50 Meter weiter abseits des Weges auch noch eine Damenhandtasche entdeckte, dämmerte in ihm ein schrecklicher Verdacht. Er kehrte um. Das Mädchen, es mochte zwischen 20 und 25 Jahre alt sein, war tot.
Ein tiefer Schnitt ging vom Halswirbel nach der linken Halsseite zu durch die Halsschlagader. Eine weitere Wunde klaffte an ihrer linken Schläfe. Weil weder an der Leiche noch in der Handtasche Papiere zu finden waren, tappte die Polizei zunächst im Dunkeln, um wen es sich handelte. Immerhin meldeten sich schon bald Zeugen, die das Mädchen einige Stunden zuvor in Begleitung eines etwa 25 Jahre alten Mannes gesehen haben wollten. Die Spur führte schließlich nach Bochum.
Mehrfache Mordrohungen
Etwas über ein Jahr zuvor hatten sich weder die Eltern noch die Geschwister von Gertrud Knauf sonderlich begeistert von ihren Zukunftsplänen gezeigt. Auf schriftlichem Wege hatte sie den Zechenheizer Heinrich Vollmari aus Bochum kennengelernt. Allen Mahnungen zum Trotz, doch bitte nicht so unbedacht eine Ehe einzugehen, ließ sie sich nicht von ihren Heiratsplänen abbringen. Schnell dürfte sie ihre Entscheidung bereut haben. Vollmari misshandelte sie. Auch drohte er wohl nicht nur wiederholt, sie zu töten. Vor Gericht sollten Gertruds Brüder von mehreren konkreten Mordversuchen erzählen, etwa durch Chloroform, Ersäufen in einem Wasserkübel und Gasvergiftung.
Dabei wurde Gertrud allenthalben als treue, fleißig und gewissenhafte Frau beschrieben, die ihrem Mann keinen Anlass gegeben habe, sich über sie zu beklagen. Was nützte das? Zwar hatten bei der Wahl am 19. Januar 1919 erstmals in Deutschland Frauen auf nationaler Ebene wählen dürfen. Trotzdem wurden Ehefrauen immer noch vornehmlich als Art Eigentum des Gatten angesehen.
Start der Ehe in politisch bewegten Zeiten
Möglich also, dass Gertruds Brüder, wie sie vor Gericht aussagen sollten, wirklich geplant hatten, die Schwester von ihrem furchteinflößenden Ehemann wegzuholen, da das Verhältnis doch zu einer Katastrophe habe führen müssen. In die Tat umgesetzt wurde der Vorsatz nicht. Aber hatte es nicht ohnehin gerade erst Anzeichen der Besserung gegeben? Was für politisch bewegte Zeiten hatten das erste Ehejahr geprägt! Im März 1920 war der rechtsgerichtete sogenannte Kapp-Lüttwitz-Putschversuch vor allem Dank eines Generalstreiks der Arbeiterschaft gescheitert, die sich im Ruhrgebiet zur "Roten Ruhrarmee" formierten (siehe Infotext). Diesen Arbeiteraufstand hatte nach gebannter Gefahr dann eben jene Reichsregierung blutig niederschlagen lassen, die zuvor gerettet worden war.
Vom Bochum ins ruhige Köln
Und mittendrin in diesem Bürgerkrieg die Vollmaris. Was waren das für Zeiten? Als Lichtstreifen am Horizont wird Gertrud dann den Vorschlag ihres Gatten aufgenommen haben, eine Hamsterfahrt vom aufgewühlten Bochum ins ruhigere, englisch besetzte Köln zu unternehmen. Nicht nur die Vorräte sollten hier aufgefüllt werden.
Zusammen wollte man auch einmal die schöne Stadt bei Nacht genießen. Das Wetter war schon seit geraumer Zeit so schön.Natürlich war auch in Köln der Mangel der Nachkriegszeit spürbar. Das Kölsch hatte stark an Ansehen eingebüßt, weil wegen Malzmangels lange nur ein recht dünnes Bier gebraut werden konnte. Den Vollmaris aber schien zu schmecken, was es am Rhein zu trinken gab. Zu fortgeschrittener Stunde, nach reichlichem Bier- und Weingenuss, schlug Heinrich vor, doch einfach zu Fuß den Schwiegervater besuchen zu gehen, einen Bahnbeamten in Küppersteg. Er wolle sich mit diesem aussöhnen.
Man sah das Ehepaar dann den Rhein überqueren. Eigentlich war Mülheim im Zuge seiner Eingemeindung nach Köln eine neue Brücke versprochen worden. Aber woher das Geld nehmen? So ging es über die 12 Meter breiten Planken der altersschwachen Mülheimer Schiffbrücke. Eine Brücke aus zweiter Hand. Gebraucht war sie 1888 von Mainz hierher gekommen und schwamm wie aus der Zeit gefallen auf dem 20 Grad Celsius warmen Flusswasser.
Streit im Alkoholrausch?
Dann jedoch, so berichtet Vollmari später im Verhör, sei seine Frau im Alkoholrausch streitsüchtig geworden. Oder hatte er es so geplant? Aus seiner Hintertasche jedenfalls zog Vollmari eine Browning, mit der er Gertrud niederschoss. Damit nicht genug. Er beugte sich zu ihr, die mit Kopfschuss am Boden lag, herunter und schnitt ihr mit seinem Taschenmesser die Kehle durch. "Sowohl die Kopf- als auch die Halswunde waren jede für sich tödlich", berichtete Medizinalrat Dr. Fritz Plempel, der die Obduktion durchgeführt hatte, beim Prozess.
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Neben Gertruds verbluteter Leiche fanden die Ermittler eine alte, frischgestopfte, aber nicht angebrannte Pfeife sowie einen Bund verrosteter Schlüssel. Beides dürfte Vollmari dort platziert haben, um eine falsche Spur zu legen. Er selbst ging zurück nach Köln.Gegen 4 Uhr erreichte er die Mülheimer Schiffbrücke und warf sein Taschenmesser in den Rhein. In der Trankgasse verkaufte er den Revolver. Mit verstellter Handschrift schrieb Vollmari dann im Namen seiner Frau eine an ihn selbst adressierte Ansichtskarte. Sie gehe, ließ er sie sagen, mit ihrem früheren Liebhaber auf eine Spritztour nach Bonn.
Zuhause wartete bereits die Polizei
Der 23 Jahre alte Vollmari mied seine Wohnung in Bochum etwa zwei Wochen. Als er schließlich doch am 3. Juli heimkam, wartete schon die Polizei auf ihn und brachte ihn zum Klingelpütz. Zunächst gab Vollmari zu, seine Frau ermordet zu haben. "Das Motiv zur Tat dürften dauernde Ehestreitigkeiten gewesen sein, deren Ursachen auf sexuellem Gebiet gelegen haben", heißt es im Bericht des Polizeipräsidenten. Bei der zweitägigen Gerichtsverhandlung am Appellhofplatz Ende September 1921 bestreitet der angeklagte Ehemann dann aber, irgendetwas mit der Bluttat zu tun zu haben.Der Angeklagte brach fassungslos zusmammenGestanden habe er zwischenzeitlich nur, weil ihm ein Rechtsanwalt versichert habe, dass er dann billiger wegkomme. Die Anklage plädierte auf Mord. Vorbereitung und Ausführung der Tat seien genau durchdacht gewesen. Bei einer Affekthandlung hätte der Angeklagte seiner Frau nach dem Schuss nicht noch mit seinem Taschenmesser den Hals durchgeschnitten.
Verteidiger forderte Freispruch
Weil Vollmari die Tat leugnete, plädierte auch seine Verteidigung in erster Linie auf Freispruch. Sollte man aber doch zum Urteil kommen, Vollmari habe seine Frau getötet, dann beantrage man, nur Totschlag anzunehmen, da in diesem Falle der Halsschnitt dann nur eine nachträgliche Tat gewesen sei, um die Tatsachen zu verdunkeln. Die Geschworenen erkannten auf Mord und verurteilten Vollmari zum Tode.
Vollmari, der bis dahin sehr selbstbewusst aufgetreten war, brach daraufhin fassungslos zusammen. Von einem Justizwachtmeister geführt wankte er aus dem Gerichtssaal. Das Todesurteil wurde nicht vollstreckt.
Das Motiv zur Tat dürften dauernde Ehestreitigkeiten gewesen sein, deren Ursachen auf sexuellem Gebiet gelegen haben.Bericht des Polizeipräsidenten zum MordfallKöln war in den 20er Jahren geprägt vom ausschweifenden Leben, aber auch von hemmungsloser Gewalt und Kriminalität. In unserer Serie "Babylon Köln" berichten wir über einen Ehemord in Stammheim im Jahr des Kapp-Putsches.
Zum Hintergrund des Putsches
1920 begann am 13. März mit dem Einmarsch der Marinebrigade Ehrhardt in das Berliner Regierungsviertel ein Putsch rechtsradikaler Politiker und Militärs gegen die Reichsregierung und die junge deutsche Republik.
Der Politiker und Jurist Wolfgang Kapp erklärte die Reichsregierung unter Gustav Bauer (SPD) für abgesetzt und die Nationalversammlung für aufgelöst. Er rief sich selbst zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten aus und machte General Walther Freiherr von Lüttwitz zum Oberbefehlshaber der Reichswehr.
Die Reichsregierung und Reichspräsident Friedrich Ebert wichen zunächst nach Dresden und von dort nach Stuttgart aus. Hintergrund des Putsches war eine latente Gewaltstimmung in nationalistischen und militaristischen Kreisen, hervorgerufen auch durch den Versailler Vertrag, der eine Reduktion des Heeres von 400 000 auf 100 000 Mann vorsah.2Tage später riefen Sozialdemokraten und Gewerkschaften zum Generalstreik auf, worauf 12 Millionen Beschäftigte die Arbeit niederlegten. Diese größte Streikbewegung, die es bis dahin in Deutschland gegeben hatte, machte den Putschisten klar, wie gering ihr Rückhalt war. Am 17. März brach der Putsch zusammen. Kapp und Lüttwitz flüchteten; die Brigade Ehrhardt stellte ihre Aktionen ein. Am 20. März kehrte die Regierung nach Berlin zurück.(EB)