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Interview

Trumps Ukraine-Plan
„Die Großmächte teilen die Welt unter sich auf“

Lesezeit 7 Minuten
Wladimir Putin und Donald Trump beim G20-Gipfel in Osaka 2019. Jetzt soll es wieder zu einem Treffen kommen.

Wladimir Putin und Donald Trump beim G20-Gipfel in Osaka 2019. Jetzt soll es wieder zu einem Treffen kommen.

US-Präsident Donald Trump will mit Russland über ein Ende des Krieges gegen die Ukraine sprechen und dabei große Zugeständnisse zu Lasten Kiews machen. Was hat das für Auswirkungen? Was bedeutet das für die bisherigen Verbündeten der USA? Fragen an Politikwissenschaftler Thomas Jäger.

Herr Jäger, US-Präsident Donald Trump spricht mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin, informiert den ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj erst im Nachhinein, übernimmt das russische Narrativ, die Ukraine hätte diesen Krieg besser nicht geführt. Was geht da eigentlich vor?

Es gibt zwei Lesarten. Die erste: Trump macht, was man von ihm erwarten kann. Er übernimmt die russische Position, gesteht schon vor Gesprächsbeginn alles zu, was Russland fordert. Gebietsabtretungen, keine US-Sicherheitsgarantien für die Ukraine, keine Nato-Perspektive. Also das, was Putin immer wollte. Die zweite Lesart geht darüber hinaus: Man könnte eine Absprache vermuten, in die auch China einbezogen ist – eine Absprache über Gebietsansprüche der großen Mächte. Russland bekommt die Ukraine und hält dafür die Füße still, wenn Trump Ansprüche von Grönland bis Gaza stellt. Und China, das ja wohl mit daran beteiligt ist, dass ein Treffen von Trump und Putin in Saudi-Arabien zustande kommt, China bekommt Taiwan. Aus Sicht dieser imperialistischen Mächte könnte man drei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Das klingt wie eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert.

Ja, die Großmächte teilen die Welt unter sich auf und lassen die jeweils anderen in ihren Einflusssphären machen, was sie wollen.

Trump wird den Russen sagen: Wenn sie ukrainische Gebiete behalten wollen, müssen sie den Amerikanern eben Schürfrechte einräumen.
Thomas Jäger

Ist das, was Trump vorschlägt, realistisch? Er will die Ukraine nicht schützen, erhebt aber Anspruch auf ihre Bodenschätze. Wie will er die dann ausbeuten?

Das wird einer der wenigen Punkte sein, über die die Verhandlungskommission überhaupt noch reden muss, die da jetzt gebildet wurde, nachdem Trump Putin schon so viel zugestanden hat. US-Finanzminister Scott Bessent hat Präsident Selenskyj ein Abkommen über die Ausbeutung der Seltenen Erden vorgelegt. Trump wird den Russen sagen: Wenn sie ukrainische Gebiete behalten wollen, müssen sie den Amerikanern eben Schürfrechte einräumen. Das müssten Washington und Moskau noch aushandeln, aber Russland hätte damit kein grundsätzliches Problem. Ob die Absprache dann halten würde, ist eine andere Frage. Dieses Dreierdirektorium der Großmächte, das sich da bildet, ist ja äußerst fragil.

Putin könnte sich nun sagen: Ich hatte mit dem Angriff auf ein souveränes Land Erfolg. Foltern, Morden, Deportieren, auch der Tod Hunderttausender auf russischer Seite, das hat sich gelohnt. Also probiere ich das demnächst noch mal. Oder?

Ja, Putins Ziel war nie die Ukraine allein, sondern Europa. Einen entsprechenden Vertragsentwurf hat er ja im Dezember 2021, also vor dem Einmarsch in die Ukraine, von seinem Außenministerium vorlegen lassen. Jetzt passt das mit Trumps Kurs zusammen. Denn kein US-Präsident, der die Nato und die Beziehungen zu den europäischen Staaten für einen wichtigen Eckpfeiler seiner Außenpolitik hielte, würde zu einem anderen Nato-Land sagen: Ich will Territorium von Dir. So wie die USA es gegenüber Dänemark in Sachen Grönland tun. Im Kongress wird schon über eine Umbenennung von Grönland diskutiert. Da geht es ums Abstecken einer US-Hemisphäre. Und es ist bezeichnend, wenn Verteidigungsminister Pete Hegseth als erste Priorität den Schutz der Grenzen nennt. Das war immer Aufgabe der Heimatschutzbehörde. Niemand im Pentagon wäre bisher auf die Idee gekommen, man müsse die heutigen Grenzen militärisch verteidigen. Aber es geht jetzt um andere, erweiterte Grenzen. Die beiden amerikanischen Kontinente als US-Einflusszone, darüber müsste Trump mit China sprechen. Die Chinesen werden dann den Pazifik haben und Putin Europa.

Trump kapiert das nicht. Ich halte ihn für dumm. Er lernt nicht. Sonst wüsste er, dass die USA die Gegenküsten nicht aufgeben dürfen.
Thomas Jäger

Aber der Imperialist Trump müsste doch auch mal darüber nachdenken, dass das in 80 Jahren aufgebaute Bündnissystem einen erheblichen Teil der US-Macht sichert. Dass auch in Europa Verbündete zentrale US-Stützpunkte wie Ramstein schützen, die dabei helfen, die US-Macht weltweit zu projizieren.

Trump kapiert das nicht. Ich halte ihn für dumm. Er lernt nicht. Sonst wüsste er, dass die USA die Gegenküsten nicht aufgeben dürfen.

Also zum Beispiel Europa, damit man den Nordatlantik beherrscht?

Genau. Und die Verbündeten im Pazifik, die dabei helfen, China einzuhegen. So etwas gibt man vernünftigerweise nicht her. Aber Trump denkt nicht so. Für ihn ist die Vergrößerung der USA um Kanada und Grönland wichtiger als Verbündete, mit denen man sich auch noch einigen muss. Was er von Europa hält, sieht man daran, dass die europäischen Staaten über seine Gespräche nicht einmal informiert wurden, obwohl Verteidigungsminister Hegseth in Europa ist. Das ist die völlige Missachtung von allem, was Verbündete ausmacht. Aber Verbündete kommen in Trumps Welt nicht vor.

Trump kommt von den Zugeständnissen, die er Putin gemacht hat, gar nicht mehr runter, ohne das Verhältnis vollkommen zu zerrütten.
Thomas Jäger

Gibt es denn irgendwelche besseren Aussichten? Könnte es nicht sein, dass Trump wieder einmal etwas raushaut, um die Europäer unter Druck zu setzen, beispielsweise mehr US-Waffen zu kaufen? So dass sie ihn besänftigen könnten?

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln

Prof. Thomas Jäge lehrt Internationale Politik an der Universität zu Köln.

Das hätte ich auch gedacht, wenn die Dinge nicht schon institutionell so festgezurrt wären, wie es jetzt aussieht. Ein Quartett soll die Gespräche führen, in dem bemerkenswerterweise Trumps Sondergesandter für die Ukraine, Keith Kellogg, nicht vertreten ist. Trump kommt von den Zugeständnissen, die er Putin gemacht hat, gar nicht mehr runter, ohne das Verhältnis vollkommen zu zerrütten. Und der Hinweis, die Europäer sollten ihre Verteidigung selbst in die Hand nehmen, ist nur der Abgesang auf die transatlantischen Beziehungen. Jeder weiß, dass die Europäer auch bei enormer Erhöhung ihrer Verteidigungshaushalte nicht in drei Jahren entsprechende Abschreckungsfähigkeiten aufbauen können.

Hat die Ukraine ohne USA noch eine Chance?

Die große Frage ist, wie die Ukraine reagiert. Bis jetzt versucht Selenskyj, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Aber wie wird sich die Armee verhalten? Wenn Trump Russland weitere Gebiete zugesteht, die Putin beansprucht, wird sich die ukrainische Armee zurückziehen? Das ist nicht ausgemacht. Es könnte eine Art Guerillakrieg geben. Oder auch die Flucht von weiteren Millionen Menschen ins westliche Europa.

Könnten die Europäer helfen?

Wenn Starlink abgeschaltet wird und keine US-Aufklärungsdaten mehr kommen, können sie das nicht ersetzen. Ansonsten können die Europäer zwar noch einiges tun, aber das wird zu heftigen Konflikten unter den europäischen Staaten führen, denn nicht alle haben überhaupt ein Interesse an der Ukraine. Bisher hatten die USA auch darauf zumindest etwas Rücksicht genommen, den europäische Einigkeit war auch für die USA von Vorteil. Jetzt ist das Trump egal.

Nato-Fachleute und Bundeswehrgeneräle warnen, fünf Jahre nach einem Ende des Ukraine-Krieges könne Russland wieder angriffsfähig sein. Haben die Europäer überhaupt eine Chance, in diesem Zeitraum genug Abwehrfähigkeit aufzubauen?

Dazu müsste es den politischen Willen geben. Der Krieg läuft seit drei Jahren, und seit drei Jahren fehlt der politische Wille, uns entsprechend zu ertüchtigen. Das ist erschreckend.

Es war ein CSU-Verteidigungsminister, der die Bundeswehr geschreddert hat.
Thomas Jäger

Sehen Sie den Willen beim Kanzlerkandidaten Merz?

Ich tue mich mit einer Antwort schwer. Für die heutige Lage sind ja nicht nur SPD und Grüne verantwortlich. Es war ein CSU-Verteidigungsminister, der die Bundeswehr geschreddert hat. Man muss abwarten, ob eine Koalition entsteht, die hier die Priorität setzt. Das hieße ja, Mittel aus anderen Haushaltstiteln umschichten. Und dann brauchen wir auch den europäischen Willen, die großen Aufgaben gemeinsam zu schultern. Polen und Skandinavier haben zwar verstanden, dass sie ihre Souveränität schützen müssen, weil das kein anderer tut, aber ihnen fehlt die deutsche Wirtschaftskraft. Die mittel- und südeuropäischen Staaten machen da eher bräsig vor sich hin.

Könnten wir uns da zumindest mit Polen, Skandinaviern und Großbritannien zusammentun?

Das wäre ein sinnvoller Weg. Aber dazu muss der Wille in Deutschland aufgebracht werden. Auch die Franzosen können zwar die nukleare Komponente bieten, aber konventionell gibt es ohne Deutschland nicht die erforderliche Schlagkraft. Denn wir haben die 83 Millionen Einwohner. Im Wahlkampf spielte das Thema Verteidigung aber keinerlei Rolle.

Da ging es um Rente, Steuersenkungen …

… und … und … und. Dabei leben wir in einer Situation wie 1989. Die Ordnung um uns herum bricht auseinander. Alles ordnet sich neu. Da muss man eben sehen, wo ist der Platz Deutschlands? Scholz hat das nie verstanden. Das hat ihn auch, glaube ich, nicht interessiert. Und ob Merz das versteht, da bin ich mir nicht sicher.