Daran hat Alexander von Chiari eine lebhafte Erinnerung. Er war damals im zweiten Jahr Leiter des Kölner Rosenmontagszuges. Es gab auch handfeste Drohungen gegen den Straßenkarneval in deutschen Karnevalshochburgen. Reihenweise wurde ein Karnevalszug nach dem anderen abgesagt - nur nicht in Köln. Erst als am 17. Januar der Krieg tatsächlich begonnen hatte, gab das Festkomitee vier Tage später bekannt: keinerlei Straßenkarneval, nur die Empfehlung der Saalveranstaltungen. Karneval hinter geschlossenen Türen also.
Was aber würde am 11. Februar passieren, am Rosenmontag? In vielen Städten tat sich so gut wie nichts. In Düsseldorf war tote Hose, in Bonn trauten sich gerade mal 60 Karnevalisten auf die Straße, in Siegburg trat Prinz Hans im Ornat wenigstens zu einer Stadtrundfahrt im Bus einer Karnevalsgesellschaft an. Und in Köln? Dort verbreitete Flüsterpropaganda, aber auch die Rundschau, dass handfeste Verabredungen für einen Zoch getroffen wurden. Tatsächlich aber sollte es mehrere Züge geben: Friedensdemos und Demos karnevalistischer Lebensfreude, die sich zeitweilig friedlich vermischten und von Zehntausenden von Jecken am Straßenrand gefeiert wurden.
An der Börse versammelten sich die Altstädter. Und die Roten Funken. Und die Treuen Husaren. Hermann Josef Wirtz, Roter Funk und Wirt der „Schreckenskammer“, hatte sich bereits, als sich der Zochausfall andeutete, geschworen: „Do tricks widder durch Kölle, un wenn do et janz allein mähs!“ „Hänneschen“ Jacky von Guretzky-Cornitz hatte ihm ein Schild fertigen lassen mit der Aufschrift „Kölle Alaaf - Kölns größte, friedlichste Bürgerbewegung“. Das allerdings hatte vorab die Rundschau abgebildet. Korpsadjutant Schorsch Buhs hatte nun an Rosenmontag eine böse Überraschung für Wirtz: „Du sollst zur Börse kommen, da wartet der Polizeidirektor, weil du eine unerlaubte Demonstration planst.“
Man behielt seinen Personalausweis ein, damit man Wirtz im Schadensfall haftbar machen konnte; das Ordnungsamt bereitete ihn darauf vor, dass er gegebenenfalls auch für die Straßenreinigung aufzukommen hätte - in einer Größenordnung von 100 000 Mark. Hermann-Josef Wirtz bekennt heute: „Das war für mich kein schöner Zoch!“ Gottlob gab es keine Zwischenfälle, auch der Abfall blieb minimal, weil alles Wurfmaterial in die Hand der Beschenkten übergeben wurde.
So blieb die „Demo“ doch ohne böse Folgen, und sogar der Funken-Spielmannszug und eine Blaskapelle aus Düsseldorf, die Wirtz aufgeboten hatte, marschierten mit (andere Kölner Kapellen hatten aus Angst vor gewalttätigen Demonstranten gekniffen). Sie alle begegneten Ludwig Sebus und Marie-Luise Nikuta, Tröötemann Karlheinz Jansen, Claudia Engels, Paul Bong (MBZ) und Janus Fröhlich von den Höhnern, Chiari und FK-Chef Gisbert Brovot.
„Weltenbummler“ Gerd Rück sah sich unversehens Erichs Hermans (der im Jahr darauf den Geisterzug in neuer Gestalt erfand) und seinen Freunden gegenüber und hakte sich spontan bei dem als Engelchen kostümierten Friedensaktivisten unter. „Damals haben mich einige als ,Verräter beschimpft“, erinnert sich Rück. Im einsetzenden Schneetreiben (die Zuschauer sangen den „Schneewalzer“) bewegte sich dieser merkwürdigste Zoch, den Köln je gesehen hat, durch die Stadt. Da sah man Spruchbänder wie „Schwerter zu Zapfhähnen“, als Kostüme dienten auch Stahlhelme und Gasmasken. „Wir hatten mordsmäßigen Spaß, die Stimmung war super. Aber wir wurden nass bis auf die Haut“, weiß Rück noch.
An der Gürzenichstraße stieß Brovot auf Kabarettist Jürgen Becker, damals Präsident der Stunksitzung; beide waren sich seit einer persönlichen Begegnung freundschaftlich zugetan. Von seinem Traktor herab fragte Becker: „Gisbert, wo jeiht he dä Zochwäch wigger?“ Der lotste ihn Richtung Severinstraße. „Ich kannte den Weg wirklich nicht so genau; der Gisbert musste das ja besser wissen. Aber natürlich war die Frage auch spaßig gemeint.“ Auf dem großen Wagen hinter dem Traktor hatten sich das Ensemble der Stunksitzung und die Musiker von Köbes Underground versammelt, und der ganze Trupp rumpelte in Richtung Severinstor. Dort entdeckte man Tommy Engel, der damals dort wohnte und noch Frontmann der Bläck Fööss war. „Ey, Tommy, kumm erunder“, rief Becker. Tommy ließ sich nicht zweimal bitten, kletterte auf den Wagen und sang „Mer kläve am Läve“.
Becker erinnert sich, dass die Stunker beschlossen hatten: „Wir feiern weiter. Dieser Krieg ist nicht unser Krieg.“ Es gab vor der Tür der Stunksitzung Protestdemos. „Wir haben gesagt: Klar dürft ihr demonstrieren, aber nicht den Leuten verbieten, zur Karnevalssitzung zu gehen.“
Mit viel Musik waren Ehrengarde, Große Mülheimer, Bürgergarde und Neppeser Ahrschwärmer unterwegs. Regimentstochter Uta Wingenfeld thronte auf einem kleinen Kutschwagen, den Ehrengardisten zogen, und verteilte Schokotafeln und Pralinchen. Vom Rathaus aus zog der Zoch zur Hahnepooz, die gerade zum Domizil der Ehrengarde geworden war. Unterwegs lasen sie das Dreigestirn mit Prinz Heinz-Ludwig „Buba“ Busbach, Peter Schnepf und Dr. Dieter Maffei samt Prinzenführer Helmut Urbach auf, alle in Zivil und einigermaßen still. Der Rudolfplatz war voller Menschen. „Viele Kölner haben damals Flagge gezeigt. Wir hatten damals ein lachendes und ein weinendes Auge“, zieht Maffei Bilanz. „Trotzdem: Wir hatten einen schönen Tag.“
Der Zoch von 1991 hatte 1992 ein Nachspiel, bei dem Bäckermeister Busbach völlig fassungslos war und sogar Tränen vergoss. „Ruft mir ein Taxi, es soll nicht sein, ich fahr' nach Haus!“ Als ganz große Ausnahme sollte das gewesene Dreigestirn nämlich in vollem Ornat neben dem amtierenden Trifolium doch noch die Jecken am Zugrand begeistern, und dann kam der Wagen nur wenige Meter weit: Unter der Last der drei (!) Tollitäten samt ihrer Familien und der geballten Ladung Wurfmaterial platzte ein Vorderreifen. Das endgültige Aus!
Oder doch nicht? Die Müllabfuhr schaffte einen hydraulischen Wagenheber heran, der Wagen wurde mit Hilfe vieler Passanten entladen, ein Zwillingsreifen von hinten nach vorn montiert, die Hälfte des Wurfmaterials auf den Lastwagen des Bäckereigroßhandels „Bäko“ verladen, und dann ging's los. Das heißt: noch nicht ganz, erinnert sich Jungfrau „Dietlinde“ Maffai: „Ein Festkomitee-Ordner wollte uns nicht in den Zoch lassen.“ Denn der unverkleidete „Bäko“-Wagen wäre verpönte Werbung im Zoch gewesen. Doch da schritt Zugleiter von Chiari ein: „Die Jungs haben so viel Pech gehabt: Die fahren mit!“ Das Happyend konnte beginnen.