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Bonner GastronomiePolitik mit Nebenwirkungen

Lesezeit 4 Minuten

Was hat sich in der Bonner Gastronomie verändert? (Archivbild: dpa)

Bereits im September 1997 zogen die ersten Wolken über dem gastronomischen Bonner Himmel auf. Die Lokalgrößen Friedel Drautzburg und Harald Grunert, die in der Kaiserstraße das beliebte „Grunerts Nachtcafé“ betrieben, eilten der großen Politik voraus, schlossen ihr Lokal und zogen nach Berlin, um am Schiffbauerdamm die „Ständige Vertretung“ zu eröffnen.

Viele Beobachter interpretierten diesen Umzug als Vorboten einer drohenden Apokalypse. Die Befürchtungen waren immens, schließlich würden mit der Karawane, die im Sommer 1999 vom Rhein an den Spree ziehen sollte, weite Teile der solventen Kundschaft der ehemaligen Bundeshauptstadt den Rücken kehren: Politiker, Diplomaten, Beamte, die Presse und der Tross der Lobbyisten. Der Einzelhandel jammerte und vor allem die Vertreter der gehobenen Gastronomie klagten.

Seit zehn Jahren isst und trinkt die politische Elite nun 600 Kilometer weiter östlich. In Bonn blieb die Zahl der gastronomischen Betriebe nahezu unverändert, und auch die gehobene Gastronomie verzeichnet nur geringe Verschiebungen. Haben sich die düsteren Prognosen nicht bewahrheitet? „Wir waren anfänglich skeptisch und wussten nicht, wie es weiter gehen sollte“, erinnert sich Holger Klagge, Betreiber des Restaurants „Aennchen - Zur Lindenwirtin“. Klagge arbeitet seit 1991 für den Traditionsbetrieb, den er 1998 als Geschäftsführer und wenig später als Inhaber übernommen hat.

Das Restaurant im südlichen Stadtbezirk Bad Godesberg verströmt historisches Flair und pflegt die Tradition der meistbesungenen Lindenwirtin Europas, die hier vor mehr als 100 Jahren täglich 400 Studenten die Krüge auf den Tisch stellte. Dieses Erkennungsmerkmal, gepaart mit hochwertiger Küche und ausgezeichneter Weinauswahl, erleichterte das Überleben auch im Stadtbezirk in Bad Godesberg, wo bis vor zehn Jahren die Mehrzahl der hochrangigen Diplomaten und ein Großteil der Spitzenbeamten residierten.

„Rückblickend haben wir sogar profitiert. Im Umfeld haben mittlerweile mit Post, Postbank und Telekom drei Dax-Unternehmen ihren Hauptsitz. Die Geschäftsleute haben sicherlich einen hohen Anspruch, aber sie sind auch bereit, dafür entsprechend zu zahlen. Die frühere Klientel war nicht immer so einsichtig.“ Klagge merkt zudem an, dass sich Bonn auf dem besten Weg befinde, als Konferenzstandort Fuß zu fassen und inzwischen auch mehrere Abteilungen der Vereinten Nationen hier ihren Standort haben.

„Ein großes,

schwarzes Loch“

„Ein großes schwarzes Loch hat sich glücklicherweise nicht aufgetan“, sagt auch Manfred Dung. Gemeinsam mit Bruder Albert bewirtet er seit vielen Jahren im Stadtteil Endenich das Alte Treppchen. Das Restaurant zählt zu den Klassikern der Bonner Gastronomie und war früher vor allem dank seiner urigen Atmosphäre bei Politikern beliebt. Die Dungs haben zunächst Einbußen hinnehmen müssen, sind jedoch längst in der Gegenwart angekommen.

„Die Telekommunikationsunternehmen, aber auch die Wissenschaft hat vieles kompensieren können. Allerdings sind die neuen Branchen konjunkturabhängiger als die große Politik“, weiß Dung. „Die Politiker kamen völlig unabhängig von Wirtschaftskrisen. Sobald die Telekom Sparmaßnahmen beschließt, macht sich das heute auch bei uns bemerkbar.“ Auch in punkto Tourismus hat sich ein Wandel vollzogen. Die Gästestruktur hat sich wie in kaum einer anderen Stadt verändert. „Der Polit-Tourist, der früher automatisch an den Rhein kam, weil er die Hauptstadt besuchen wollte, ist von der Bildfläche verschwunden. Das musste erst in das Bewusstsein der kommunal Verantwortlichen dringen“, berichtet Rolf Hiller, Chef des Sudhauses am zentral gelegenen Friedensplatz. Das Restaurant zählt zu den Häusern, in denen der Gast typisch Bönnsche Atmosphäre schnuppern kann.

„Man musste sich 40 Jahre lang keine Gedanken machen, wie man die Leute locken sollte. Nun existiert eine Konkurrenzsituation mit allen anderen Orten in der Region.“ Nach anfänglichen Schwierigkeiten habe man die neue Situation in der Stadt und auch in der Gastronomie angenommen. „Seit einigen Jahren befinden wir uns auf einem guten Weg. Klagen über den Verlust der politischen Bedeutung und der damit verbundenen Anziehungskraft sind verstummt. Die Bereitschaft, nach vorne zu schauen, ist gewachsen.“

Giorgio Tartero, der das italienische Spitzenrestaurant Sassella im Stadtteil Kessenich betreibt, berichtet ebenso von anfänglichen Schwierigkeiten: Insbesondere das Mittagsgeschäft sei drastisch eingebrochen. Schon ein halbes Jahr vorher habe eine gewisse Melancholie geherrscht. „Die Stimmung war im Keller.“ Die Familie Tartero hat diese Phase jedoch überstanden, investierte in eine eigene Nudelfabrik und schaffte sich so ein zweites Standbein. Außerdem hat das Abendgeschäft wieder das alte Niveau erlangt. Die gehobene Cucina Italiana scheint auch bei der neuen Klientel gut anzukommen.

Das Mittagsgeschäft allerdings wird wohl kaum mehr die frühere Bedeutung zurückerlangen. „Die Mitarbeiter von Post und Telekom haben offensichtlich mehr Druck als die Politiker. Da bleibt nur wenig Zeit für ein genussvolles Mittagessen.“